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Stiftung Warentest prüft Erkältungsmedikamente: Nur günstig oder auch gut bei Erkältungen?

Welche Arzneimittel empfiehlt Stiftung Warentest bei Erkältungsbeschwerden? | Bild: New Africa / Adobe Stock

Noch immer ist Stiftung Warentest kein Fan von Erkältungskombi-Präparaten – wie Aspirin® Complex (ASS, Pseudoephedrin), Wick® Medinait (Paracetamol, Doxylamin, Dextrometorphan, Ephedrin) oder Grippostad® (Paracetamol, Chlorphenamin, Coffein, Vitamin C). Die typischen Kombinationspräparate seien „nicht oder wenig sinnvoll zusammengesetzt“ und deshalb bei Erkältungen „wenig geeignet“.

Diese Einstellung seitens Stiftung Warentest ist nicht neu. Seit Jahren plädiert sie dafür, jedes Erkältungssymptom besser einzeln zu behandeln, da bei einem Infekt nicht zwangsläufig Husten und Schnupfen, Fieber und Schmerzen immer gemeinsam auftreten. Zu viele Wirkstoffe hingegen könnten den Körper unnötig belasten. Außerdem betrachten sie systemische α-Sympathomimetika wie Pseudoephedrin oder systemische Antihistamine wie Chlorphenamin zum Abschwellen der Nasenschleimhaut für überflüssig, würden doch lokal angewandte Nasensprays den Körper weniger belasten. Bei Wick® Medinait kritisiert Stiftung Warentest die enthaltenen 18 Prozent Alkohol.

Was also können Erkältungspatienten nach Ansicht von Stiftung Warentest an Arzneimitteln anwenden, um ihre Beschwerden zu lindern? Mit Rat und Tat stand Arzneimittelexperte Professor Gerd Glaeske von der Universität Bremen zur Seite.

Was tun bei Halsschmerzen?

Bei Halsschmerzen rät Stiftung Warentest zu Emser Pastillen, die beim Lutschen den Rachen befeuchten. Bei stärkeren Schmerzen könnte man zu Lidocain- oder Ambroxol-haltigen Präparaten greifen, wobei sich Stiftung Warentest bei den betäubenden Wirkstoffen noch mehr Wirksamkeitsbelege wünscht. Auch die im Oktober 2020 aktualisierte AWMF-S3-Leitlinie zu Halsschmerzen schreibt, dass die Studienlage zur lokalen Therapie von Halsschmerzen von geringer Qualität ist. Die Daten weisen laut den Leitlinien-Experten bei Lokaltherapeutika mit NSAR oder Lokalanästhetika nur auf ein „geringes Potenzial“ hin: Ambroxol sei innerhalb von drei Stunden etwas wirksamer bei Halsschmerzen als Minzaroma-Lutschtabletten. Wovon die Leitlinie deutlich abrät: Halsschmerzen mit Lokalantiseptika oder Lokalantibiotika zu behandeln.

Als weitere Behandlungsmöglichkeit nennt die Leitlinie auch Ibuprofen oder Naproxen für eine kurzfristige, symptomatische Therapie akuter Halsschmerzen. Das geringere gastrointestinale Nebenwirkungsrisiko hat Ibuprofen.

Was tun bei Schnupfen?

Sollten die Erkältungspatienten über Schnupfen klagen, sind für eine freie Nase die Mittel der Wahl Xylometazolin- oder Oxymetazolin-haltige Nasentropfen oder -sprays. Als günstige Präparate nennt Stiftung Warentest Nasenspray AL oder das Präparat von AbZ. Mit Oxymetazolin ist lediglich Nasivin® auf dem Markt. Um Gewöhnungseffekte zu vermeiden, sollten Nasensprays (-tropfen) jeweils nur sieben Tage angewendet werden. Manche Patienten kommen auch mit Salzlösungen mit oder ohne pflegende Inhaltsstoffe wie Dexpanthenol (z. B. Bepanthen® Meerwasser, Rhinomer®) zurecht.

Gibt es Alternativen zu Xylometazolin?

Daneben werben zahlreiche Hersteller von Nasensprays mit abschwellenden Effekten für ihre Präparate, ohne aber auf α-Sympathomimetika wie Xylometazolin oder Oxymetazolin zurückzugreifen. Welches Stiftung Warentest hier nicht erwähnt, ist Emser Nasenspray, was tatsächlich in einer Studie an Kindern mit Infektionen der oberen Atemwege und Beteiligung des Mittelohres eine gleich gute Wirksamkeit wie Xylometazolin zeigte. Veröffentlicht wurde die doppelblinde, randomisierte, prospektive Studie 2005 im „International Journal of Pediatric Otorhinolaryngology“. Die Studienautoren schreiben: „Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass es bei Kindern im Alter von zwei bis sechs Jahren keinen Unterschied in der Wirksamkeit zwischen einer ausschließlichen Behandlung mit Emser Salzlösung (EMS) und einer Behandlung mit Xylometazolin gibt, jedoch mit dem Unterschied, dass bei EMS die Anwendungsdauer nicht eingeschränkt war, dass es keine potenziellen Nasenspray-Nebenwirkungen und keine Kontraindikation bei Neugeborenen und Säuglingen gab.“ 

Alternative abschwellende Nasensprays

Welches Nasenspray abschwellend wirkt und statt Xylometazolin angewendet werden kann, hat sich PTAheute im Zweiteiler „Statt Xylometazolin & Co: Welches Nasenspray hilft?“ angeschaut.

Was tun bei Husten?

Bei trockenem Reizhusten rät das Arzneimittelteam von Stiftung Warentest zu Dextrometorphan wie in Hustenstiller Ratiopharm® oder Wick® Hustenstiller. Wer pflanzliche Präparate zum Beruhigen des Reizhustens bevorzugt, könne Spitzwegerich wie in Broncho-Sern® probieren. Wobei die Wirksamkeit nicht abschließend belegt sei. Laut Fachinformation zu Broncho-Sern® gibt es sogar noch nicht einmal klinische Studien dazu: „Klinische Untersuchungen zur Pharmakodynamik von Spitzwegerichzubereitungen liegen nicht vor.“

Die AWMF-S2k-Leitlinie zu Husten bei Erwachsenen rät für einen schnellen Effekt bei Reizhusten zu Lutschtabletten oder Sirup und erklärt zur „Antitussiven Therapie“: „Demulzentien wirken durch ‚Einhüllung‘ der im Rachen befindlichen Hustenrezeptoren. Antitussive Sirups, Hustensäfte, Gurgellösungen, Lutschtabletten, Honig, Hustenbonbons enthalten als gemeinsamen Bestandteil Zuckersirup oder andere Schleimstoffe. Die Wirkungsdauer beschränkt sich auf die Verweildauer des Zuckers am Rezeptor, meist auf 20 – 30 Minuten. Antitussive Medikamente in Form von Sirup oder als Lutschtabletten sind daher wirksamer und haben einen schnelleren Wirkungseintritt als Kapseln oder Tabletten.“ Als kleine Auswahl antitussiver pflanzlicher Präparate nennt die Leitlinie Hustensirups mit Spitzwegerich, Isländisch Moos, Eibischwurzel und Zucker in Sirups und Bonbons.

Ambroxol wirksamer als Placebo

Bei einem verschleimten Husten sollten Erkältungspatienten, geht es nach Stiftung Warentest, auf die Wirkstoffe ACC (Acetylcystein), Ambroxol oder auf Efeu-Extrakte wie Bronchofit® Efeu und Hedelix® oder Thymian-Extrakte wie Thymiverlan® oder Melrosum® zurückgreifen. Es gebe jedoch bei Hustenlösern „keine uneingeschränkt geeigneten Mittel“.

Was sagt die Leitlinie dazu? Zur Wirksamkeit synthetischer Hustenlöser äußern sich die Leitlinien-Experten ebenfalls vorsichtig: Es gebe bei akuter Bronchitis nur zwei methodisch akzeptable Studien, die randomisiert und placebokontrolliert durchgeführt wurden. Von den beiden Wirkstoffen ist allerdings nur Ambroxol in Deutschland verfügbar. Der zweite untersuchte Hustensirup (Diphenhydramin, Ammoniumchlorid, Levomenthol) wird im Vereinigten Königreich vermarktet. Eine Studie fand vergleichbare Ansprechraten bei Ambroxol, Myrtol und Cefuroxim. Alle drei Behandlungen zeigten eine bessere Wirksamkeit als Placebo, tendenziell war Myrtol jedoch Cefuroxim und Ambroxol sogar noch überlegen.

Was ist mit Bronchipret®, Gelomyrtol® und Prospan®?

Bei pflanzlichen Arzneimitteln betonen die Leitlinien-Experten, dass Ergebnisse von Studien stets nur für das speziell untersuchte Präparat gelten, da die Herkunft der eingesetzten Pflanzen, deren Extraktion, die Herstellung der Arzneimittel und deren Standardisierung deren Wirkstoffgehalt bedingten: „Deshalb sind verschiedene Extrakte zum Beispiel aus Efeu untereinander nicht austauschbar.“

Es gibt nach Recherche der Leitlinien-Autoren mehrere Phytotherapeutika, deren Wirksamkeit auf Dauer und Schwere von akutem Husten in randomisiert-kontrollierten Studien gegen Placebo belegt ist – unter anderem für Bronchipret® TP mit Thymian und Primel, Bronchipret® Saft mit Thymian und Efeu oder Gelomyrtol® (Myrtol).

Auch für Prospan® (Efeu) gibt es eine Studie, die die Wirksamkeit belegt: Das Präparat verringerte klinisch und statistisch signifikant die Schwere des Hustens. Allerdings sei die derzeitige Möglichkeit für die symptomatische Behandlung des Hustens sowohl in Hinblick auf die Evidenzlage als auch auf ihre Wirksamkeit bzw. auf die Nebenwirkungen sehr begrenzt – hier sind sich Stiftung Warentest und die Leitlinien-Autoren einig. Einige pflanzliche Präparate hätten Evidenz aus randomisierten kontrollierten Studien für eine Linderung der Intensität und ein schnelleres Abklingen des Hustens gegenüber Placebo. Und: „Die Datenlage für diese Phytotherapeutika für die Indikation akute Bronchitis ist häufig besser als für synthetische Expektorantien“, liest man in der Leitlinie.

Warum empfiehlt Stiftung Warentest anders als die Leitlinien-Experten?

Allerdings finden sich diese von der Leitlinie mit nachgewiesener Wirksamkeit genannten Hustenlöser nicht in der Liste der Bronchitis-Präparate in Ausgabe 1/2021 von Stiftung Warentest (in der kompletten Medikamentenliste von Stiftung Warentest allerdings schon). Warum? PTAheute hat nachgefragt. Grundlage für die Bewertung von Arzneimitteln sind Angaben von Stiftung Warentest zufolge „in erster Linie klinische Studien“. Damit die Studien als beweisende Studien akzeptiert würden, müssten sie „eine Reihe methodischer Kriterien erfüllen“. Für die Endpunkte der Untersuchungen fordert Stiftung Warentest Patientenrelevanz und Verzerrungsfreiheit.

Kombipräparate: Placeboprüfungen genügen nicht

Bei der Bewertung von Kombinationspräparaten wie Bronchipret® TP oder Bronchipret® Saft hat Stiftung Warentest den Anspruch, „dass die Sinnhaftigkeit der Zusammensetzung mittels klinischer Studien in geeigneter Weise belegt und eine Überlegenheit gegenüber der Anwendung der jeweiligen Einzelkomponenten (ab drei Einzelwirkstoffen auch denkbare andere Kombinationen der Einzelkomponenten) nachgewiesen ist“.

Randomisierte Placebovergleiche einer Fixkombination genügten somit nicht als Beleg für eine sinnvolle Kombination – dies gelte beispielsweise für die Fixkombinationen aus Efeu plus Primel (Bronchipret® TP) sowie Efeu plus Thymian (Bronchipret® Saft). Zudem stört sich Stiftung Warentest daran, dass für die von der Leitlinie genannten Pflanzenextrakte „ganz überwiegend nur jeweils eine einzelne Publikation angeführt“ werde. Dies gelte nicht nur für die Kombinationen bei Bronchipret®, sondern auch für das Efeu-haltige Präparat Prospan®. Auch die Leitlinien-Autoren gingen nicht so weit, „dass sie daraus eine abgestufte Empfehlung der verschiedenen Efeuextrakte im deutschen Arzneimittelmarkt ableiten“ würden.

Unklare klinische Relevanz

Stiftung Warentest verweist noch auf einen Assessment Report der Europäischen Zulassungsbehörde von 2017, der für verschiedene Efeuextrakte unterschiedslos einen „well-established use“ deklariere. Allerdings erfüllten die im Europäischen Assessment Report wie auch in den Leitlinien angeführten Studienbelege für Efeuextrakt die von Stiftung Warentest geforderten Kriterien für einen Beleg nicht. So zeige Prospan®-Extrakt zwar statistisch signifikante Unterschiede im Bronchitis Severity Score (BSS) zwischen den Behandlungsgruppen (ca. 2 Itempunkte von insgesamt 20 zu erreichenden Punkten des BSS-Scores), doch ist nach Einschätzung von Stiftung Warentest dieser Unterschied „von unklarer klinischer Relevanz“. 

Nur In-vitro-Versuche?

Dennoch sieht sich Stiftung Warentest auf gleichem Kurs wie die Leitlinie. Es gebe für „kein pflanzliches Expektorans hinreichend überzeugende Belege für einen patientenrelevanten Nutzen in der Indikation Husten“. Aus diesem Grund stünden auch die erläuternden Sätze zu den Hustenlösern: „In dieser Gruppe gibt es bislang keine uneingeschränkt geeigneten Mittel. Beim Abhusten unterstützen könnten Tabletten mit Acetylcystein, Ambroxol, Efeu-Saft oder Thymian-Zubereitungen. Ihre Wirkung muss aber noch besser belegt werden.“  Und weiter: „Da sich aber einzelne Hinweise positiver Effekte der Mittel in der Literatur finden, erhalten die Mittel die Bewertungskategorie ,Mit Einschränkung geeignet‘.“

Eine Unterscheidung zwischen einzelnen pflanzlichen Präparaten nimmt Stiftung Warentest also nicht vor – auch wenn beispielsweise in den Fachinformationen von Bronchofit® Efeu keine Studienergebnisse aufgeführt sind, sondern lediglich zu lesen ist: „Der Wirkungsmechanismus ist nicht bekannt“ und unter Pharmakokinetik: „Es liegen keine Untersuchungsergebnisse vor.“ Prospan®-Hersteller Engelhard kann an dieser Stelle zumindest auf klinische Studien verweisen.

Auch von Stiftung Warentest gelistet ist Melrosum®. Und auch hier wird lediglich auf In-vitro- und Tierversuche verwiesen – was auch keine klinischen Prüfungen mit patientenrelevanten Endpunkten sein dürften, die Stiftung Warentest ja eigentlich fordert: „Ergebnisse von In-vitro- und Tierversuchen mit Zubereitungen aus Thymiankraut und Thymianöl bzw. dessen Hauptbestandteil Thymol sprechen für schwache expektorierende, spasmolytische und antibakterielle Wirkungen.“ Hingegen kann Bionorica bei Bronchipret® ihre Studienergebnisse zitieren.

Was tun bei Schmerzen und Fieber?

Übersichtlich sind die Empfehlungen von Stiftung Warentest bei Schmerzen und Fieber: „Ibuprofen, Paracetamol und ASS bekämpfen Fieber und leichte bis mäßige Schmerzen.“ Eine Präferenz spricht Stiftung Warentest nicht aus, merkt jedoch an, dass Leberkranke Paracetamol meiden sollten und ASS sowie Ibuprofen dafür den Magen reizen. Erhältlich sind die Schmerzmittel für sehr wenig Geld, wie von den Herstellern 1A Pharma, AL oder AbZ. Bei der Kombination ASS plus Vitamin C ist Stiftung Warentest tolerant: Der Zusatz sei „eigentlich unnötig“, auch wenn die Hersteller bessere Magenverträglichkeit propagierten. Doch da es Brausetabletten seien, sei das Gute daran: „Man nimmt sie mit Wasser ein, und sie wirken schnell.“