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Leseprobe PTAheute 7/2020: Stufe für Stufe

Bild: Lindsay Henwood – unsplash.com

Generell unterscheidet man zwischen akuten und chronischen Schmerzen, wobei der Übergang fließend ist. In der Regel spricht man von chronischen Schmerzen, wenn die Beschwerden länger als sechs Monate bestehen oder wiederholt auftreten. Schmerzen sind immer eine subjektive Empfindung des betroffenen Patienten. Um sie richtig beurteilen zu können, bewertet der Patient die jeweils auftretende Schmerzintensität beispielsweise mithilfe einer numerischen Skala von eins bis zehn (z. B. Numeric Pain Rating Scale) oder mit einer visuellen Analogskala mit Emojis (z. B. Visual Analogue Scale). Letztere kommt vor allem bei Kindern zum Einsatz. Mithilfe dieser Skalen wird die subjektiv empfundene Schmerzintensität objektiviert. So können die Erfolge der Schmerztherapie von dem betreuenden Arzt analysiert werden. Um den Schmerzverlauf besser bewerten und gegebenenfalls eine Therapieanpassung vornehmen zu können, sollten die Patienten ein Schmerztagebuch führen. Hierbei werden der Verlauf der Schmerzintensität, auftretende Schmerzspitzen und – falls bekannt – auch die Schmerzauslöser dokumentiert.

WHO-Stufenschema

Ziel einer adäquaten Schmerztherapie ist immer, eine Schmerzlinderung oder möglichst die Schmerzfreiheit für den Patienten zu erreichen und dadurch eine Chronifizierung der Schmerzen zu verhindern. Hierfür hat die WHO ein Stufenschema für die Schmerzbehandlung erstellt, bei dem Nicht-Opioidanalgetika und Opioide eingesetzt werden. Die jeweiligen Stufen beinhalten unterschiedliche Kategorien von Schmerzmitteln, die einzeln oder kombiniert angewendet werden können. Das Schema besteht aus drei Stufen: Stufe I bilden die Nicht-Opioidanalgetika, die zum Teil auch rezeptfrei in der Apotheke zur Verfügung stehen. Stufe II besteht aus niederpotenten Opioidanalagetika und Nicht-Opioidanalgetika. In Stufe III werden dann hochpotente Opioidanalgetika mit Nicht-Opioidanalgetika kombiniert. Die Schmerztherapie wird immer individuell an die Bedürfnisse des jeweiligen Patienten angepasst. Das WHO-Stufenschema dient hierfür als Grundlage. Aktuelle Publikationen nehmen eine vierte Stufe mit auf. Sie beinhaltet invasive Behandlungstechniken, die infrage kommen, wenn die bisherigen medikamentösen Maßnahmen nicht ausreichen.

DNA-Einnahmeschema

Für eine effiziente medikamentöse Schmerztherapie sind laut Experten der WHO drei Einnahmeprinzipien wichtig. Sie lassen sich unter dem Merkwort „DNA“ zusammenfassen. Der Buchstabe D steht dabei für „durch den Mund“. Sinngemäß bedeutet dies, dass möglichst die orale Schmerzmittelgabe der parenteralen vorzuziehen ist. Außerdem sollten die verordneten Schmerzmittel je nach Wirkdauer in festen Zeitintervallen – „nach der Uhr“ – eingenommen werden und nicht nach Bedarf. Dies ist durch den Buchstaben N im Merkwort DNA gekennzeichnet. A steht – je nach Quelle – für „auf der Leiter“ oder für „Analgetikaschema“ und bedeutet, dass die Wahl der Wirkstoffe anhand des WHO-Stufenschemas und die Dosierung anhand der individuellen Bedürfnisse erfolgen soll.

Die erste Stufe

Zur Behandlung leichter Schmerzen werden auf der untersten Ebene des Stufenschemas nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) eingesetzt. Innerhalb der NSAR gibt es verschiedene chemische Gruppen, die sich in Wirkmechanismus, COX-Selektivität und Nebenwirkungen deutlich unterscheiden. So kann sehr individuell mit dem passenden Arzneistoff unter Abwägung der Nebenwirkungen behandelt werden (siehe dazu auch den Artikel ab Seite 20). Bekannte Wirkstoffe aus der Gruppe der NSAR sind Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen, Celecoxib, Etoricoxib, Piroxicam, Meloxicam, Paracetamol sowie Phenazon, Propyphenazon und Metamizol. Generell sollten NSAR so niedrig dosiert werden, dass gerade eine Schmerzlinderung erfolgt, und dies möglichst nur so lange wie nötig.

Das Wichtigste in Kürze 

  • Zur Therapie von chronischen Schmerzen hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Stufenschema entwickelt.
  • Schwach wirksame Opioide werden häufig in Kombination mit Schmerzmitteln der Stufe I angewendet.
  • Opioide führen langfristig zu Verstopfung, daher muss während der Therapie oftmals ein Abführmittel gegeben werden.
  • Auf jeder Stufe können zusätzlich Begleitmedikamente eingesetzt werden, wie beispielsweise Antidepressiva, Neuroleptika oder Antikonvulsiva.

Wie erkläre ich es meinem Kunden? 

  • „Achten Sie bei der Einnahme Ihrer Medikamente darauf, diese immer regelmäßig zur gleichen Zeit einzunehmen. Dadurch wird eine konstante Wirkung erzielt.“
  • „Dieses Präparat kann Verstopfung verursachen, sofern Sie es über einen längeren Zeitraum einnehmen müssen. Sprechen Sie das Problem beim nächsten Arztbesuch an. Er kann Ihnen für diese Zeit etwas Passendes dagegen verordnen.“

Schwache und starke Opioide

Sofern mit den Analgetika der WHO Stufe I keine ausreichende Schmerzlinderung mehr erzielt werden kann, kommen in der nächsten Stufe schwach wirksame Opioide zum Einsatz. Zu den Schmerzmitteln der WHO-Stufe II gehören Codein, Dihydrocodein sowie Tilidin und Tramadol. Sie werden allein oder in Kombination mit Wirkstoffen der Stufe I verwendet, wie Paracetamol, Acetylsalicylsäure und Diclofenac. Opioide sind die ältesten und stärksten Schmerzmittel. Sie binden im zentralen Nervensystem an körpereigene Opioidrezeptoren und verhindern dadurch, dass die „Schmerzbotschaft“ weitergeleitet wird. Sowohl die Nicht-Opioidanalgetika der Stufe I als auch alle schwach wirksamen Opioide weisen einen sogenannten Ceilingeffekt auf. Dies bedeutet, dass ihre Wirkung durch Dosissteigerung nicht weiter erhöht werden kann. Bei starken Schmerzen oder zu erwartender schneller Schmerzprogression, beispielsweise bei Tumorschmerzen, kann die Stufe II auch übersprungen werden. Eine Kombination aus Opioiden der Stufen II und III wird dagegen nicht empfohlen.

Zu den stark wirksamen Opioiden der WHOStufe III gehören Morphin, Hydromorphon, Levomethadon, Oxycodon, Pethidin, Piritramid, Buprenorphin und Fentanyl. Sie werden peroral, intravenös, in Schmerzpumpen oder als transdermale Pflaster appliziert. Alle Opioidanalgetika entspannen die glatte Muskulatur des Magen-Darm-Traktes, so dass sie bei Dauereinnahme in der Regel eine Obstipation verursachen. Diese muss fast immer mit Laxanzien behandelt werden. Weitere unerwünschte Wirkungen sind Übelkeit und Erbrechen. Besonders bei Therapiebeginn können Opioide auch zu einer Atemdepression führen, da sie das Atemzentrum im zentralen Nervensystem lähmen. Grundsätzlich können Opioide abhängig machen, jedoch ist das Risiko bei bestimmungsgemäßem Gebrauch relativ gering.

Co-Analgetika

Auf jeder Stufe können zusätzlich Begleitmedikamente eingesetzt werden, wie beispielsweise Antidepressiva, Neuroleptika, Antikonvulsiva, Glucocorticoide, Antiemetika und Laxanzien. Sie unterstützen entweder den schmerzstillenden Effekt der Analgetika oder lindern auftretende Nebenwirkungen. Tricyclische Antidepressiva wie Amitriptylin oder Nortriptylin kommen häufig bei der Behandlung von neuropathischen Schmerzen, Fibromyalgie, Rückenschmerzen oder chronischen Kopfschmerzen zum Einsatz. Die Dosierung der Antidepressiva liegt in der Regel unterhalb der bei Depressionen eingesetzten Menge und wird individuell nach Wirksamkeit und Nebenwirkungen gesteigert. Daneben werden auch Antikonvulsiva als Co-Analgetika eingesetzt. So ist der Wirkstoff Gabapentin bei chronischen Neuralgien Mittel der Wahl. Pregabalin (z. B. Lyrica®) wirkt bei peripheren und zentralen Schmerzformen und lindert gleichzeitig Ängste. Die Wirkstoffe Carbamazepin, Oxcarbazepin und Lamotrigin werden vor allem bei Trigeminusneuralgie eingesetzt.