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Das BfR aktualisiert seine Vorschläge: Neue Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe

„Als Faustregel gilt, dass eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung den gesunden Körper ausreichend mit lebensnotwendigen Stoffen versorgt“, erklärt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Dennoch greift dem BfR zufolge jeder dritte Erwachsene regelmäßig zu Nahrungsergänzungsmitteln, am beliebtesten sind Präparate mit Vitaminen und Mineralstoffen. Neben speziellen Vitamin- und/oder Mineralstoff-haltigen Tabletten oder Kapseln werden jedoch auch Lebensmittel teilweise mit diesen Stoffen angereichert, sodass es vielleicht auch schnell einmal zu viel des vermeintlich „Guten“ sein kann. Nicht immer sind erhöhte Dosen harmlos.

Vor allem Menschen mit gesünderem Lebensstil nehmen NEM

Dies ist insofern besonders kritisch, da vor allem Menschen, die es wahrscheinlich am wenigsten benötigen, am ehesten NEM einnehmen. Denn laut BfR greifen vor allem Menschen mit gesünderem Lebensstil und ausgewogener Ernährung zu den Extrapillen. Dabei belegten internationale wissenschaftliche Studien, dass von einer zusätzlichen, über den Bedarf hinausgehenden Aufnahme von Mikronährstoffen keine positiven gesundheitlichen Wirkungen zu erwarten sind.

Vitamine und Mineralstoffe nicht uneingeschränkt harmlos

Im Gegenteil: Viele große Studien konnten zeigen, dass einzelne Mikronährstoffe zu einem Prävalenzanstieg bei Krebserkrankungen führen können. So zeigte die SELECT-Studie, veröffentlicht 2011 im „JAMA“, dass Vitamin E in Dosierungen von 400 IE täglich das Risiko für Prostatakrebs signifikant erhöht. Im „Journal of the National Cancer Institute“ wurde 2014 ein Beitrag veröffentlicht, der ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Prostatakrebs durch Vitamin-E- oder Selen-Supplementation fand. Dass Vitamin-B6- und -B12-Nahrungsergänzungsmittel das Risiko für Lungenkrebs bei Männern erhöhen können, fanden Wissenschaftler um Theodore Brasky, ihre Untersuchung wurde 2017 im „Journal of Clinical Oncology“ veröffentlicht. 

Daneben gibt es Hinweise, dass erhöhte Zufuhren von Vitamin B6 und B12 (B6 ≥ 35 mg/Tag und B12 ≥ 20 μg/Tag) das Risiko für Hüftfrakturen erhöhen können. Und auch Folsäure wirkt sich nur als Nahrungsfolat schützend auf Darmkrebs, Brustkrebs und Prostatakrebs aus. Synthetische Folsäuresupplemente können hingegen das Risiko für Darmkrebs erhöhen (betrifft nicht die Folsäuresubstitution im Rahmen einer Schwangerschaft). Andere Studien konnten auch für Betacaroten ein erhöhtes Risiko für Magenkrebs und Bronchialkarzinom feststellen, und unkontrollierte Einnahmen von hochdosierten Vitamin-D-Präparaten haben immer wieder zu erhöhten Calciumspiegeln (Hyperkalzämie) und akutem Nierenversagen geführt.

Mangel vereinzelt bei Calcium, Folsäure, Jod und Vitamin D

Dem BfR zufolge deuten Daten über die Nährstoffzufuhr in Deutschland darauf hin, dass nur einige wenige Vitamine und Mineralstoffe wie Vitamin D, Calcium, Folsäure und Jod von manchen Bevölkerungsgruppen nicht entsprechend den Zufuhrempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE e.V.) aufgenommen werden. „Dies ist jedoch nicht generell mit einer Unterversorgung oder gar einem Mangel gleichzusetzen“, bemerkt das BfR. Und weiter: „In Einzelfällen können also NEM sinnvoll sein. Für die überwiegend gut versorgte Bevölkerung sind sie aber nicht notwendig.“ Hier vertritt Stiftung Warentest meist einen noch strengeren Kurs: Stiftung Warentest sieht für NEM kaum Daseinsberechtigungen, bestünde ein Mangel an bestimmten Vitaminen und Mineralstoffen, sei dies eine Indikation für entsprechende Präparate als Arzneimittel.

Aktualisierte Höchstmengenvorschläge

 „Werden hoch dosierte NEM eingenommen und zusätzlich angereicherte Lebensmittel verzehrt, kann es zu hohen Zufuhren kommen, durch die das Risiko für eine Überversorgung mit den betreffenden Mikronährstoffen steigt“, erklärt das BfR. Daher sähen die EU-Regelungen für NEM und angereicherte Lebensmittel die Festsetzung von einheitlichen Höchstmengen für diese Produkte auf EU-Ebene vor. Das BfR beschäftigt sich eigenen Angaben zufolge bereits seit „etwa zwei Jahrzehnten“ damit, die gesundheitlichen Risiken von Vitaminen und Mineralstoffen zu bewerten. Erste Empfehlungen für Vitamine und Mineralstoffe in NEM und angereicherten Lebensmitteln hatte es bereits 2004 erarbeitet – diese hat das BfR nun aktualisiert. Die Höchstmengenfestlegungen sind eine Gratwanderung: Man wolle die Nährstoffzufuhr über NEM und angereicherte Lebensmittel derart beschränken, dass durch den Konsum der Produkte signifikante zusätzliche Nährstoffaufnahmen möglich sind und zugleich die Mehrheit der bereits gut versorgten Bevölkerung vor übermäßigen Nährstoffaufnahmen geschützt werde, erklärt das BfR.

Beispiel Vitamin D

So schlägt das BfR als Höchstmenge bei Vitamin D vor, dass maximal 20,0 µg Vitamin D in Nahrungsergänzungsmitteln (pro Tagesverzehrempfehlung eines Produkts für Jugendliche und Erwachsene) enthalten sein sollen. Milch und Milchprodukte (einschließlich Käse) sollen nach Ansicht des BfR mit maximal 1,5 µg Vitamin D pro 100 g Lebensmittel angereichert werden dürfen, Brot und Getreideprodukte (außer Feinbackwaren) mit 5,0 µg pro 100 g. Für Streichfette und Speiseöle sollten maximal 7,5 µg Vitamin D pro 100 g zugesetzt sein, UV-bestrahlte Speisepilze dürften nach Berechnung des BfR maximal 10,0 µg Vitamin D pro 100 g und UV-bestrahlte Milch maximal 3,2 µg Vitamin D pro 100 g enthalten. Sonstigen Lebensmitteln sollte kein Vitamin D zugesetzt sein.

EU-Höchstmengen gesetzlich vereinheitlichen

Für seine wissenschaftliche Einschätzung berücksichtigte das BfR die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) abgeleiteten tolerierbaren Obergrenzen für die Tageszufuhr (Tolerable Upper Intake Level; UL) des jeweiligen Nährstoffs – also die Menge, die sich auch bei dauerhafter täglicher Zufuhr aus allen Quellen („normale“ Ernährung, angereicherte Lebensmittel, NEM) nach derzeitigem Wissen nicht gesundheitlich negativ auswirkt. Daneben flossen Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr der EFSA und der D-A-CH-Gesellschaften (deutsche, österreichische und schweizerische Gesellschaften für Ernährung; DGE, ÖGE und SSG/SSN) ein sowie die in Ernährungserhebungen (Nationale Verzehrsstudie, NVS II und EsKiMo-Studie) ermittelten Vitamin- und Mineralstoffaufnahmen bei üblicher Ernährung.

Nicht zuletzt sollten die Höchstmengenvorschläge als Basis dienen, um EU-weit einheitliche gesetzliche Höchstmengen zu schaffen. Dies ist bislang nicht der Fall, so tolerieren die einzelnen EU-Nationen unterschiedliche Höchstmengen in Nahrungsergänzungsmitteln. Schwierig für den Verbraucher, mag doch nicht einleuchten, warum Deutsche maximal 20 µg Vitamin D täglich in Form von NEM einnehmen sollen, für Belgier aber selbst 75 µg unkritisch sind.