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Zum Welttag der Hämophilie: Therapeutische Fortschritte bei Bluterkrankheit

Kleine Schnittverletzungen endeten früher für Hämophilie-Patienten oft tödlich. Heute gibt es Therapiemöglichkeiten. | 
Bild: mdennah / Adobe Stock

Sie galt als königliche Krankheit, denn die Hämophilie war im 19. und 20. Jahrhundert in den europäischen Königshäusern weit verbreitet. Bei der Erbkrankheit ist die Blutgerinnung von Geburt an gestört. Schon bei kleinen Verletzungen können unstillbare Blutungen auftreten. Für die „Bluter“ eine Lebensgefahr. Außerdem kommt es zu gefährlichen inneren Blutungen

Schwere Gelenkschäden drohen

Bei der Bluterkrankheit wird ein bestimmter Gerinnungsfaktor von der Leber nicht oder in zu geringer Menge produziert. Wunden schließen sich deshalb nicht oder nur langsam. Es kann auch spontan zu Blutungen kommen. Eine große Gefahr stellen wiederholte Einblutungen in die Gelenke dar. Sie führen im Laufe der Zeit zu schwerer Arthrose und starken Schmerzen.

Da die Bluterkrankheit X-chromosomal rezessiv vererbt wird, ist fast nur das männliche Geschlecht betroffen. Frauen sind Überträgerinnen, d. h. sie geben die Krankheit an ihre Söhne weiter.

Zwei Formen von Bluterkrankheit: Hämophilie A und B

Die häufigste Form der Bluterkrankheit ist die Hämophilie A. Hierbei ist der Gerinnungsfaktor VIII nicht oder nur vermindert vorhanden. Circa einer von 5.000 Jungen kommt mit dieser Erkrankung zur Welt.

Bei der wesentlich selteneren Hämophilie B liegt ein Mangel des Gerinnungsfaktors IX vor. Ungefähr einer von 30.000 Jungen ist davon betroffen. Die Hämophilie B ist auch als Weihnachtskrankheit (Christmas Disease) bekannt. Dieser Name geht auf den ersten beschriebenen Patienten im Jahr 1952 zurück. Der kleine britische Junge hieß Stephen Christmas.

Gut zu wissen: Welttag der Hämophilie

Jedes Jahr findet am 17. April der Welttag der Hämophilie (World Hemophilia Day) statt. Die Intention ist es, Bewusstsein für die Krankheit zu schaffen und Betroffene besser aufzuklären. Das Motto für 2023 lautet: „Access for All: Prevention of bleeds as the global standard of care” (Zugang für alle: Vorbeugung von Blutungen als globaler Standard der Versorgung).

Im Jahr 1989 wurde der Welttag der Hämophilie von der World Federation of Hemophilia (WFH) ins Leben gerufen. Das Datum 17. April geht auf den Kanadier Frank Schnabel zurück, der die WFH im Jahr 1963 gründete. Frank Schnabel war selbst schwer von Hämophilie A betroffen.

Substitution der Gerinnungsfaktoren

Heutzutage kann „Blutern“ gut geholfen werden. Die fehlenden Blutgerinnungsfaktoren können ersetzt werden. Bei der prophylaktischen Faktoren-Gabe, die bei schwerer Hämophilie A und B angewendet wird, erhalten die Betroffenen den fehlenden Faktor mehrmals wöchentlich intravenös. Die Patienten spritzen sich die Präparate meist selbst zu Hause.

Viele Hämophilie-Patienten können heute ein relativ normales Leben führen. Auch die Lebenserwartung ist vergleichbar mit der der Durchschnittsbevölkerung. Gelenkschäden lassen sich bei rechtzeitigem Einsatz der Behandlung vermeiden.

Die früher nur aus Blutplasma herstellbaren Medikamente bargen in den 1970er- und 1980er-Jahren zunächst ein großes Risiko: die Infektion mit Hepatitis und HIV. Inzwischen sind die aus Plasma gewonnenen Präparate sicher. Außerdem kommen zunehmend gentechnisch hergestellte (rekombinante) Blutgerinnungsfaktoren-Konzentrate zum Einsatz.

In den vergangenen Jahren gab es wichtige Therapiefortschritte: Durch verschiedene Verfahren, beispielsweise eine Pegylierung, konnte die Halbwertszeit von Präparaten verlängert werden. Die Gerinnungsfaktoren müssen dadurch nicht so häufig injiziert werden. Kürzlich wurde in einer klinischen Studie erstmals ein neues Medikament (Efanesoctocog Alfa) mit einer stark verlängerten Wirkdauer von 47 Stunden erfolgreich getestet.

Alternative Behandlungsform mit bispezifischem Antikörper

Die häufigste Komplikation bei der Hämophilie-A-Therapie ist, dass Patienten Antikörper gegen Faktor VIII entwickeln. Diese Patienten können dann nicht mehr mit den klassischen Faktor-VIII-Präparaten behandelt werden. Hierfür stehen alternative Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. 

Als weiterer Therapiefortschritt ist hierbei die Entwicklung des bispezifischen Antikörpers Emicizumab (Hemlibra®) zu werten. Dieses Medikament substituiert nicht den fehlenden Gerinnungsfaktor, sondern bewirkt die Bildung von Thrombin, welches zur Blutgerinnung erforderlich ist. Das Präparat muss nicht i.v. injiziert werden, sondern wird subkutan appliziert.

Seit einem Jahr Gentherapie möglich

Eine neue Behandlungsoption ist die Gentherapie. Dabei wird eine gesunde Variante des Gens, das für den Gerinnungsfaktor zuständig ist, mit Hilfe eines Vektors (nichtpathogenes Virus) in Leberzellen eingeschleust. Dort wird dann vom Zellkern aus die Synthese des Gerinnungsfaktors gesteuert. Seit vergangenem Jahr ist mit Valoctocogen Roxaparvovec (Roctavian®) ein erstes Präparat zur Therapie der schweren Hämopilie A in der EU zugelassen. Das Gentherapeutikum wird einmalig i.v. verabreicht.

Seit Kurzem ist die Gentherapie auch bei der Hämophilie B möglich: Etranacogen dezaparvovec (Hemgenix®) gilt mit einem Preis von über drei Millionen Euro als teuerstes Medikament der Welt. Quellen: Deutsche Hämophiliegesellschaft zur Bekämpfung von Blutungskrankheiten e.V.; Universitätsklinikum Bonn; Universitätsklinikum Regensburg