COVID-19-Krankheitsverlauf
Corona-Pandemie
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Bluthochdruck und COVID-19-Verlauf – existiert ein Zusammenhang?

Im Vordergrund Anzeige eines Blutdruckmessers, im Hintergrund Stethoskop
Gibt es ein Zusammenhang zwischen Bluthochdruck und schweren COVID-19-Verläufen? | Bild: H_Ko / Adobe Stock

Verschlimmern ACE-Hemmer und Sartane eine COVID-19-Erkrankung? Dieser Verdacht kam bereits zu Beginn der COVID-19-Pandemie auf und wurde immer wieder genährt. So meldete China relativ früh, dass vor allem Patienten mit Vorerkrankungen wie Bluthochdruck eine komplizierte Corona-Erkrankung zeigten. In Italien sollen 75 Prozent aller an COVID-19 verstorbenen Patienten Bluthochdruckpatienten gewesen sein. Viele von ihnen wurden mit ACE-Hemmern und Sartanen behandelt.

Antihypertonika nicht absetzen

Als der Zusammenhang zwischen ACE2 (Angiotensin Converting Enzyme 2) und SARS-CoV-2 bekannt wurde, kam schnell die Frage auf, ob ACE-Hemmer oder Sartane (AT1-Rezeptorblocker) den Verlauf von COVID-19 negativ beeinflussen könnten. Mehrere Forschergruppen haben sich dieser Aufgabe angenommen. Ihr Fazit: Derzeit gibt es keine Nachweise, dass die Blutdrucksenker zu besonders schweren Verläufen einer SARS-CoV-2-Infektion führen. Patienten, die ACE-Hemmer oder Sartane einnehmen, sollen diese nicht absetzen.

ACE2 als Eintrittspforte für SARS-CoV-2

Um sich zu vermehren, muss das Coronavirus SARS-CoV-2 in die menschliche Zelle gelangen. Dabei scheint das Angiotensin Converting Enzyme 2 (ACE2) eine wichtige Rolle zu spielen. Dieses Enzym durchzieht die Membran der menschlichen Zelle und soll als Eintrittspforte (Rezeptor) des Virus in die Zelle fungieren.

ACE-Hemmer und Sartane in China seltener als in Europa

Interessant ist, dass in China ACE-Hemmer beziehungsweise Sartane nicht so häufig zur Blutdrucksenkung eingesetzt werden wie in westlicheren Ländern. Und dennoch verstarben einer Studie zufolge auch in China mehr Hypertoniker (21,3 Prozent) an COVID-19 als Nichthypertoniker (6,5 Prozent). Die Studie an 1178 COVID-19-Patienten aus Wuhan, von denen 362 Patienten (30,7 Prozent) an Bluthochdruck litten, wurde im amerikanischen Ärzteblatt Jama publiziert. Unter den Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf hatten der chinesischen Untersuchung zufolge 9,2 Prozent einen ACE-Hemmer und 24,9 Prozent ein Sartan erhalten. Wenig anders sieht es bei den Patienten mit einem weniger schweren Verlauf aus: 10,1 Prozent erhielten einen ACE-Hemmer, 21,2 Prozent ein Sartan. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass die Verordnung von ACE-Hemmern oder Sartanen keinen erkennbaren Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung hatte.

Wie ACE-Hemmer, Sartane und SARS-CoV-2 zusammenhängen

Die zur Blutdrucksenkung eingesetzten ACE-Hemmer, wie Captopril oder Ramipril, hemmen zwar das Angiotensin Converting Enzyme (ACE), blockieren jedoch nicht ACE2. Dennoch sollen sie dazu führen, dass sich verstärkt ACE2-Rezeptoren bilden, sodass SARS-CoV-2 theoretisch besonders viele Eintrittsmöglichkeiten in die menschliche Zelle hätte. Ob dies tatsächlich so ist und ob es dadurch zu schwereren Verläufen einer COVID-19-Erkrankung kommen kann, ist bislang nicht bestätigt.

Nicht nur beim Eintritt des Virus in die menschliche Zelle, auch in der Zelle könnten ACE-Hemmer und Sartane mit SARS-CoV-2 wechselwirken. Durch ACE (nicht ACE2!) entsteht das stark blutdrucksteigernde Angiotensin II. Angiotensin II kann wiederum an zwei Rezeptoren binden: Bindet es an den AT1-Rezeptor, fördert es Gewebeschäden und Lungenödeme. Bindet es an den AT2-Rezeptor, wirkt es diesen schädigenden Effekten entgegen. Durch ACE2 wird Angiotensin II jedoch zu Angiotensin1-7 inaktiviert und dieses bindet nicht mehr an den „bösen“ AT1-Rezeptor – ACE2 wirkt daher sozusagen schützend.

Wenn nun ACE2 in der Zelle abnimmt (das ist die Theorie), wird Angiotensin II nicht mehr inaktiviert und es kann weiter an AT1- und AT2-Rezeptoren binden. Dadurch fehlt die schützende Wirkung von Angiotensin1-7.

Sartane blockieren AT1-Rezeptoren – das heißt: Sie könnten der Hypothese nach die schädliche Wirkung von Angiotensin II verhindern und so sogar schützend wirken.

Widersprüchliche Daten bei klinischen Versuchen mit Menschen

Während Zellkultur- oder Tierversuche zu einem möglichen Zusammenhang von ACE-Hemmern und ACE2 bereits öfter gemacht wurden, sind klinische Untersuchungen am Menschen bislang rar. Obendrein widersprechen sich die Ergebnisse, die es zu ACE-Hemmern und ACE2 am Menschen gibt.

In einer Studie erhielten Patienten mit Koronarer Herzerkrankung intravenöse ACE-Hemmer. Den Ergebnissen zufolge hatten die ACE-Hemmer keinen Einfluss auf ACE2. In einer weiteren Studie erhielten Bluthochdruckpatienten Captopril. Der Angiotensin1-7-Spiegel blieb zunächst unbeeinflusst, erst nach einer Langzeitgabe von sechs Monaten erhöhte sich Angiotensin1-7.

Zur Erinnerung: 

Wenn ACE-Hemmer ACE2 beeinflussen, müsste sich dies wahrscheinlich in der Menge des Abbauproduktes Angiotensin1-7 zeigen: Sollte unter ACE-Hemmern ACE2 steigen, müsste demnach auch Angiotensin1-7 steigen.

In noch einer Untersuchung hatten Patienten unter Olmesartan höhere ACE2-Spiegel im Urin als die Placebogruppe. Allerdings konnte man diesen Effekt nicht bei Langzeitgabe von Enalapril oder Sartanen (Losartan, Candesartan, Valsartan, Telmisartan) feststellen.

Weitere Untersuchungen nötig

Was ist also das Ergebnis? Selbst wenn die Blutdrucksenker in tierischen Gewebeproben wohl ACE2 beeinflussen, heißt das nicht automatisch, dass sie dies beim Menschen auch tun. Weitere Studien seien notwendig, um besser verstehen zu können, ob es einen Zusammenhang zwischen schweren COVID-19-Verläufen und einer Behandlung mit ACE-Hemmern oder Sartanen gebe, so die Wissenschaftler.

Ist Bluthochdruck einfach ein Risiko für COVID-19?

75 Prozent aller in Italien an COVID-19 verstorbenen Patienten sollen Hypertoniker gewesen sein. Viele von ihnen wurden mit ACE-Hemmern und Sartanen behandelt. Könnte nicht einfach auch Bluthochdruck einen ungünstigen COVID-19-Verlauf begünstigen? Dieser Frage ging eine Berliner Forschergruppe nach. Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse im Cardiovascular Research. Das Ergebnis der Berliner Forscher: Es gibt keinen Nachweis dafür, dass eine Hypertonie ein unabhängiger Risikofaktor für schwere COVID-19-Erkrankungen ist. Bluthochdruck sei mit einer Störung (Dysregulation) des Immunsystems verbunden, die könne ihrerseits zu schwereren COVID-19-Verläufen führen, so die Erklärung.

Wer Bluthochdruck hat, ist auch weiter krank?

Wissenschaftler analysierten einen Datensatz von 1178 COVID-19-Patienten aus Wuhan (publiziert in Jama). 362 Patienten (30,7 Prozent) litten unter Hypertonie. Auffällig war auf den ersten Blick, dass die hypertonischen COVID-19-Patienten häufiger starben (21,3 Prozent der Hypertoniker im Vergleich zu 6,5 Prozent der Nichthypertoniker). Die hypertonischen Coronapatienten hatten allerdings auch weitere Risikofaktoren als die COVID-19-Patienten ohne Bluthochdruck: Sie waren älter, hatten weitere Erkrankungen wie Diabetes oder eine Koronare Herzkrankheit oder litten unter Herzinsuffizienz. Das könnte bedeuten, dass Bluthochdruck lediglich ein Marker für Vorerkrankungen ist, jedoch nicht per se eine COVID-19-Erkrankung kompliziert.

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