Aktuelles
5 min merken gemerkt Artikel drucken

INTERPHARM am Freitag, den 15.03.2019: Cannabis in der Apotheke – Die Dronabinol-Rezeptur in Theorie und Praxis

Barbara Sievert und Dr. Christian Ude bei der Live-Demonstration auf der Interpharm 2019 in Stuttgart. | Bild: PTAheute / Alex Schelbert

Im März 2017 wurde mit der Einführung des Cannabis-Gesetzes eine deutliche Vereinfachung der Patientenversorgung mit Cannabis ermöglicht. Seitdem können getrocknete Cannabisblüten und Cannabisextrakte sowie Arzneimittel mit Dronabinol und Nabilon zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden.

Für Apotheken ist diese Gesetzesänderung jedoch mit vielen Herausforderungen verbunden. Egal ob in der Beratung, bei der Identitätsprüfung, der Rezepturherstellung oder der Taxierung – überall trifft man auf Unsicherheiten und offene Fragen. Dr. Christian Ude, Dr. Mario Wurglics und Barbara Sievert zeigten daher auf der diesjährigen Interpharm in einer Live-Demonstration, wie mit solchen Verordnungen umzugehen ist und welche Besonderheiten es zu beachten gilt.

Eine alte Kulturpflanze mit vielen Inhaltsstoffen

Cannabis sativa enthält zwischen 400 und 500 Inhaltsstoffe. Etwa 100 davon zählen zur Gruppe der Cannabinoide. Neben dem bekannten Tetrahydrocannabinol (THC, Dronabinol) fungiert auch Cannabidiol (CBD) als Leitsubstanz in entsprechenden Arzneimitteln. Beide Phytocannabinoide entfalten ihre Wirkung über das körpereigene Endocannabinoid-System. Während THC zahlreiche psychomimetische Effekte, wie Euphorie, Redseligkeit und veränderte Wahrnehmung, mit sich bringt, wirkt CBD nicht psychomimetisch. Deshalb handelt es sich bei CBD – anders als bei Dronabinol – um kein Betäubungsmittel.

Mehr zu Cannabis im Apothekenalltag erfahren Sie in unserem E-Learning „Oh Schreck, ein Dronabinol-Rezept!“ und in unserem zweiteiligen Artikel „Cannabis als Medizin“.

Wirksamkeit nur teilweise belegt

Cannabinoide finden bei zahlreichen Indikationen Anwendung. So werden sie z. B. bei chronischen (neuropathischen) Schmerzen, Appetitmangel, Chemotherapie-induziertem Erbrechen sowie bei Spastiken aufgrund von multipler Sklerose eingesetzt. Allerdings ist die Evidenz bislang in vielen Indikationen noch (zu) schwach, weshalb Cannabis-basierte Arzneimittel erst dann zur Anwendung kommen sollten, sofern andere, etablierte Therapieoptionen nicht ausreichend wirksam sind.

FAM, getrocknete Droge oder standardisierte Rezeptur?

Neben zugelassenen Fertigarzneimitteln (Sativex®, Canemes®) und getrockneten Cannabis-Blüten stehen in Deutschland auch standardisierte Rezepturen mit dem Reinstoff Dronabinol zur Verfügung. Das Neue Rezeptur-Formularium (NRF) beschreibt neben der oralen Applikation in Form von öligen Tropfen und Kapseln (NRF 22.7, 22.8) auch die Inhalation durch Verdampfen (NRF 22.16). Nach Aussage der Referenten ist jedoch die orale Anwendung in aller Regel zu bevorzugen, da sie im Vergleich zur Inhalation ein langsameres Anfluten und niedrigere, sowie stabilere Blutspiegel ermöglicht.

Anspruchsvoll und doch machbar – Dronabinol-Rezepturen

Da die Verarbeitung von Dronabinol im Rahmen der Rezeptur einige Fragen aufwirft, stellten die Referenten im Rahmen einer Live-Demonstration den notwendigen Arbeitsgang Schritt für Schritt vor.

Eine ausführliche Anleitung zur Herstellung von Dronabinol-Rezepturen sowie der korrekten Taxierung erhalten Sie in unserem E-Learning „Herstellung von Dronabinol-Rezepturen in der Apotheke“.

Laut den Experten ergeben sich bei der Verarbeitung von Dronabinol vor allem deshalb Schwierigkeiten, da der Wirkstoff oxidations- und lichtempfindlich sowie extrem lipophil ist. Zudem ist das Cannabinoid bei Raumtemperatur nahezu fest, was die Verarbeitung weiter erschwert. Die Experten nannten deshalb einige Tipps: 

  • Aufgrund der Empfindlichkeit gegenüber Licht und Sauerstoff muss zügig gearbeitet und der Wirkstoff dicht verschlossen sowie lichtgeschützt bei Raumtemperatur gelagert werden. 
  • Vor der Herstellung der Rezeptur muss Dronabinol mit einem Fön bis zur honigartigen Konsistenz erwärmt werden. Bei Verwendung eines Wasserbads ist darauf zu achten, dass kein Wasser(dampf) in die Zubereitung gelangt. 
  • Um zu verhindern, dass der Wirkstoff beim Abwiegen fest wird, empfiehlt es sich, das Becherglas vor der Herstellung zu erwärmen.  
  • Um Verluste zu vermeiden, sollte möglichst tief ins Becherglas eingewogen werden.

Vorsicht Retax-Falle!

Ab dem 1. April 2019 gelten neue Sonder-PZN für Cannabis-Zubereitungen. Dronabinol-Rezepturen wie Kapseln und Tropfen erhalten dann die Sonder-PZN 06460748.

Patientenberatung nicht vergessen

Um die Stabilität der Dronabinol-Rezepturen zu gewährleisten, sollte der Patient auf die korrekte Lagerung hingewiesen werden. So sind Dronabinol-Zubereitungen, anders als Cannabis-Blüten, bei Raumtemperatur aufzubewahren. Werden die Tropfen zusammen mit einer Dosierpumpe abgegeben, lohnt sich der Hinweis, dass es sich dabei um eine orale Darreichungsform und nicht – wie vom Patienten vielleicht vermutet – um ein Nasenspray handelt. Aufgrund der Lipophilie sollten die Tropfen pur auf einem Löffel oder mit einem Stück Zucker bzw. Brot eingenommen werden. Die Einnahme in einem Glas Wasser kann aufgrund der Anhaftung am Glas zu einer Unterdosierung führen. Dronabinol-Kapseln können wie gewohnt mit etwas Flüssigkeit eingenommen werden.

Des Weiteren raten die Referenten, die Patienten auf mögliche Nebenwirkungen in der Anfangsphase vorzubereiten. Möglich sind unter anderem Übelkeit, Müdigkeit und Mundtrockenheit sowie Herzrasen, Blutdruckveränderungen und Schwindel. Die meisten Nebenwirkungen bestehen jedoch nur während der Aufdosierung und gehen bei regelmäßiger Einnahme wieder zurück.

Wichtige Hinweise für die Patientensicherheit

Während der Therapie mit Dronabinol gilt striktes Alkoholverbot. Zudem muss jede Co-Medikation – auch mit rezeptfreien Arzneimitteln  – sorgfältig überprüft werden, da zahlreiche Interaktionsmöglichkeiten bestehen. Zur Absicherung bei Polizeikontrollen empfehlen die Experten eine Rezeptkopie mit sich zu führen, da anhand eines Bluttests nicht ermittelt werden kann, ob das nachgewiesene THC legalen Ursprungs ist.