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Cannabis in der Volksmedizin

Bild: Swapan – stock.adobe.com

Die Geschichte von Cannabis reicht weit zurück. Ein schriftlicher Nachweis über die medizinische Anwendung findet sich erstmals 2700 v. Chr. im Arzneibuch des chinesischen Kaisers Shén Nung. Im ältesten bekannten Heilpflanzenkompendium findet sich die Heilpflanze unter anderem zur Behandlung von Menstruationsbeschwerden, Verstopfung, Malaria, Gicht und Rheuma. Etwa zur gleichen Zeit lebte der „Gelbe Kaiser“ Huáng Dì, der die Traditionelle Chinesische Medizin begründete. Auch im System der TCM spielt Hanf als medizinisches Kraut eine Rolle. Von China aus gelangte Cannabis um 1.400 v. Chr. nach Indien. Die Hinduisten setzen die Pflanze als Arzneimittel gegen diverse Krankheiten ein. Der indische Arzt Sushruta, der circa 600 v. Chr. lebte, empfahl Cannabis in seinem Buch „Sushruta Samhita“ als Analgetikum, Aphrodisiakum, zur Anregung des Appetits und Förderung der Verdauung. Aus dem „Rajavallabha“, einem ayurvedischen Text des 17. Jahrhunderts, geht hervor, dass Cannabis Energie spende und Ängste bekämpfe. Außerdem zeige es Erfolge, z. B. bei Krämpfen, Kopf- und Zahnschmerzen, Asthma, Bronchitis und Diabetes.

Die ältesten geschriebenen Rezepte

Über West- und Südasien rückte der Gebrauch von Cannabis weiter vor in die westliche Welt. Die Verwendung von Cannabis im alten Ägypten belegt der „Papyrus Ebers“ – ein medizinischer Papyrus aus dem Jahr 1700 v. Chr. Er enthält mehrere Cannabisrezepturen, zum Beispiel für schmerzhafte, geschwollene, von Parasiten befallene Finger oder Zehen. Circa 650 v. Chr. zeichnete auch das Volk der Assyrer Rezepte mit medizinischen Cannabisblüten auf. Die Assyrer lebten damals im Gebiet des heutigen Irak. Durch Aufkochen der ganzen Pflanze stellten sie Klistiere her, die bei Leibschmerzen verabreicht wurden. Die Wurzel gaben sie bei schwierigen Geburten und die Samen zur Unterdrückung der Geister, womit wohl Depressionen und Ängste gemeint sind.

Das Wichtigste in Kürze. Cannabis zählt zu den ältesten Kulturpflanzen

  • Cannabis zählt zu den ältesten Kulturpflanzen der Erde. Der erste schriftliche Nachweis über eine medizinische Verwendung stammt aus China im Jahr 2700 v. Chr.
  • Die Heilpflanze findet sowohl in der Traditionellen Chinesischen Medizin als auch in der traditionellen indischen Heilkunst Ayurveda Erwähnung.
  • Die römisch-griechischen Ärzte Dioskurides und Galen sowie Hildegard von Bingen hielten die schmerzstillende und verdauungsfördernde Wirkung schriftlich fest.
  • Die Firma Merck vertrieb Tinkturen und Tabletten auf Cannabisbasis, u.a. zur Therapie von Schmerzen, Schlafstörungen, Migräne und Depression.
  • Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Cannabisprodukte verboten. Seit der Inhaltsstoff THC isoliert wurde, wächst das Interesse an der Pflanze wieder.

Dioskurides und Galen

Das Basiswissen um die Cannabispflanze wurde von den großen Ärzten der Antike geprägt, vor allem Dioskurides und Galen. Pedanios Dioskurides (40 – 90 n. Chr.) war griechischer Arzt in einer römischen Provinz. Er verfasste die aus fünf Büchern bestehende Arzneimittellehre „De materia medica“, welche als das wichtigste und einflussreichste antike Werk über Arzneimittel gilt. Sie umfasst über 1.000 Monographien. Das dritte Buch beschäftigt sich mit Wurzeln und aus Pflanzen gewonnenen Säften und erläutert deren gewöhnliche und arzneiliche Wirkung. In diesem Band ist auch Cannabis aufgeführt. Dort heißt es, der Same helfe gegen Ohrenschmerzen, Entzündungen, Würmer und Blasenleiden und der Extrakt bei Uterusblutungen. Der vorwiegend in Rom tätige Grieche Claudius Galen (130 – 200 n. Chr.) hielt die Cannabispflanze und ihren medizinischen Nutzen in seinem Werk „Methodus medendi“ schriftlich fest. Er beschrieb ihren appetitanregenden Effekt, ihre Wirkung gegen Schmerzen aller Art und gegen Flatulenz.

Klostermedizin

Die Werke von Dioskurides und Galen stellten über ein Jahrtausend die Grundlage um das Wissen der Cannabispflanze dar. Im Mittelalter lag die Ausübung der Heilkunde dann im Wesentlichen in den Händen von Mönchen und Nonnen. Die Benediktinerin Hildegard von Bingen (1098 – 1179) züchtete Cannabis in ihrem Kräutergarten. In ihrer Schrift „Physica – Liber simplicis medicinae“, in der sie die Heilkräfte der Natur beschreibt, bezeichnet sie die Cannabispflanze als schmerzstillend und verdauungsfördernd. Außerdem empfiehlt sie diese zur lokalen Behandlung von Geschwüren und Wunden, bei rheumatischen und bronchialen Erkrankungen, auch bei Magenbeschwerden und Übelkeit. Ab dem 16. Jahrhundert finden sich erstmals schriftliche Abhandlungen über Rezepturen in Kräuterbüchern. Der Botaniker Leonhart Fuchs (1501 – 1566) liefert die bis dato genaueste Zeichnung der Pflanze und beschreibt ihre Morphologie und Kultivierung in seinem Werk „De Historia Stirpium“. Der englische Botaniker und Apotheker John Parkinson (1567 – 1650) empfiehlt Cannabis in seinem Buch „The Botanical Theatre of Plants“ bei trockenem Husten, Diarrhö, Koliken, Gicht und Schmerzen. Erkenntnisse über die Pflanze verbreiteten sich vor allem auch durch Forscher und Weltreisende dieser Zeit, die sie in ihren Berichten aus dem Mittleren Osten und Indien erwähnen. Im 16. Jahrhundert gelangte Cannabis durch die Spanier schließlich auch nach Amerika. Das Interesse am therapeutischen Einsatz von Cannabis wurde in Europa vor allem durch zwei Ärzte geweckt: den Iren William Brooke O’Shaughnessy und den Franzosen Louis-Rémy Aubert-Roche. Nach ihren Aufenthalten in Asien und Afrika im Dienste der Armee publizierten sie ihre Erfahrungen über die medizinische Verwendung von Cannabis in ihren Werken. Aubert-Roche beschrieb die Möglichkeit, Cannabis zur Behandlung von Pest und Typhus zu verwenden. O’Shaughnessy schilderte, die Pflanze lindere Krämpfe bei Tetanus und Tollwut und helfe bei Rheuma und Menstruationsschmerzen. In einer weiteren Veröffentlichung beschrieb er eine bemerkenswerte Appetitzunahme bei der Behandlung mit einer Cannabistinktur.

Die Blütezeit

Im 19. Jahrhundert galt Cannabis als Allheilmittel und war in Apotheken in Europa und in den USA eines der meistverkauften Arzneimittel. Während es sich in den USA bereits ab 1851 etablierte, gab es in Deutschland 1872 die ersten Regulierungen zum Verkauf von Cannabis und es wurde der Apothekenpflicht unterstellt. Merck in Darmstadt wurde zum führenden Hersteller von Cannabisprodukten. In den 1880er-Jahren bot das Unternehmen verschiedene Arzneitinkturen an: als Schlaf- und Schmerzmittel, Aphrodisiaka, gegen Neuralgien, Rheumatismus und Depressionen. Zur äußerlichen Anwendung wurde Cannabis unter anderem bei Brandwunden und Muskelschmerzen verschrieben und aufgrund seiner Wirkung auch bei Hühneraugen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kamen zusätzlich Schmerztabletten auf Cannabisbasis auf den Markt. Sie wurden beispielsweise bei Migräne, Asthma, Schlafstörungen und Epilepsieähnlichen Krämpfen verschrieben.

Schwindendes Interesse

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Naturprodukte zunehmend vom Markt verdrängt und zwar von synthetisch hergestellten Arzneien. Während die chemische Struktur von Opiaten, Barbituraten und Salicylsäure geklärt war, konnte die Struktur der wirksamen Bestandteile der Cannabispflanze nicht ermittelt werden – trotz erheblicher Bemühungen unter anderem vonseiten der Firma Merck. So verlor Cannabis wegen fehlender Standardisierung, die bei oraler Verwendung nicht selten zu Dosierungsproblemen führte, an Bedeutung. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Cannabisprodukte schließlich verboten. Der Markt war gesättigt mit synthetisch hergestellten Arzneien, sodass auf Naturprodukte verzichtet werden konnte.

Renaissance

Erst 1964 konnte der wichtigste pharmakologische Inhaltsstoff THC isoliert bzw. künstlich hergestellt werden. Seitdem hat das Interesse an der medizinischen Verwendung weltweit wieder erheblich zugenommen, insbesondere seit Anfang der 1990er-Jahre das Endocannabinoidsystem entdeckt wurde.