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FSME: Mehr Infektionen und Ausbreitung in den Norden Deutschlands

Bild: Butch / Adobe Stock

Im vergangenen Jahr wurden dem Robert Koch-Institut (RKI) bundesweit fast 500 FSME-Erkrankungen gemeldet – dabei handelt es sich um die zweithöchste je registrierte Zahl, erklärte PD. Dr. Gerhard Dobler gestern auf einer Pressekonferenz an der Universität Hohenheim in Stuttgart im Vorfeld des 4. Süddeutschen Zeckenkongresses.

Weniger Zecken, aber mehr FSME-Erkrankungen

Ungewöhnlich sei 2017, dass es nach Zählungen insgesamt weniger Zecken gab, jedoch mehr Erkrankungen. Tückisch sei, dass Verbreitungsgebiete von FSME infizierten Zecken oft nicht größer als ein Fußballfeld seien und über Jahre stabil bleiben könnten. Genauso könnten Zecken, die das Virus in sich tragen, von einem auf das nächste Jahr verschwinden. "Wir haben noch keine Erklärung für so eine Entwicklung", sagte Dobler. Wie ein solcher Erkrankungsherd in der Natur entstehe oder verschwinde, sei noch lange nicht geklärt, ergänzte Prof. Dr. Ute Mackenstedt, Leiterin des Fachgebiets Parasitologie an der Uni Hohenheim.

Die Entwicklung bleibe regional sehr unterschiedlich, berichteten die Experten: So sei die Zahl der FSME-Infektionen 2017 etwa in Unterfranken stark zurückgegangen, in der Alpenregion in einigen Tälern hingegen deutlich nach oben gegangen. Ein Grund könne das Wetter sein: So habe es im Sommer eine Kältewelle gegeben, zwei Wochen später wurde es warm und wieder zwei Wochen später wurde ein großer Krankheitsausbruch registriert. Offenbar habe es die Menschen nach der Kälte ins Freie gezogen - und das genau in der jahreszeitlichen Hochphase des Gemeinen Holzbocks, eine der FSME-übertragenden Zeckenarten.

Neue Hot-Spots in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin

Gleichzeitig verschöben sich die Hot-Spots, d.h. die Regionen, in denen FSME-Erkrankungen gehäuft auftreten. „Einige Landkreise, die über Jahre hinweg Erkrankungen meldeten, blieben im vergangenen Jahr völlig unauffällig. In anderen trat die Krankheit erstmals und gleich auch besonders gehäuft auf“, berichtete Prof. Dr. Ute Mackenstedt. 
Zudem breite sich die Krankheit nach Norden aus. „Die Statistik zeigt uns ganz neue Hot-Spots in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Zum allerersten Mal erhalten wir sogar Erkrankungsberichte aus den Niederlanden“, so Mackenstedt.

Das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin ist mit den Schlussfolgerungen vorsichtiger. Zwar habe es tatsächlich in letzter Zeit in einigen Regionen Deutschlands Einzelfälle von FSME gegeben, in denen die Krankheit vorher nicht bekannt war, sagte RKI-Zeckenexpertin Wiebke Hellenbrand. Allerdings könne man jetzt noch nicht vorhersagen, ob sich die Krankheit in all diesen Regionen nachhaltig etablieren wird.

Gefahr durch neu eingewanderte Zeckenarten

Bisher schwer einzuschätzen sei dagegen die Gefahr, die von neuen Zeckenarten in Deutschland ausgehe. So stießen die Parasitologen der Universität Hohenheim und Virologen des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr und der Uni Leipzig 2016 erstmals auf das FSME-Virus in der in Deutschland zunehmend einwandernden Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus).
Auch stieß 2016 die Zeckenforscherin Dr. Chitimia-Dobler vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr München, dem Kooperationspartner der Uni Hohenheim, auf eine in Deutschland neue Art – Ixodes inopinatus – die wohl aus dem Mittelmeerraum eingewandert ist. „Noch ist nicht klar, wie lange diese Art schon in Deutschland heimisch ist und ob sie als FSME-Überträgerin in Frage kommt. Wichtig wäre auch abzuklären, ob mit ihr nicht neue Krankheiten nach Deutschland gelangten, wie etwa das Mittelmeerfieber“, so Prof. Dr. Mackenstedt.

Zuverlässiger FSME-Schutz nur durch Impfung

Den zuverlässigsten Schutz bietet nach wie vor nur eine FSME-Impfung, so das einhellige Urteil der Rednerinnen und Redner auf der Pressekonferenz. Als Mediziner warnte PD Dr. Dobler davor, die Krankheit zu unterschätzen: „Zu den schweren Krankheitsverläufen gehören Lähmungen, Koma, Krampfanfälle, Defektheilungen und vereinzelt auch Todesfälle.“ Davon seien Erwachsene und Kinder gleichermaßen betroffen.
Dagegen hätten die Impfstoffe fast 100 Prozent Wirkung, Komplikationen seien mit 1,5 Fälle bei einer Million Impfungen extrem selten. Trotzdem seien in Deutschland nur etwa 20 % der Bevölkerung geimpft. In Österreich sind es mehr als 80 %.

Infizierte Rohmilch birgt besonders hohes Erkrankungsrisiko

 Gleichzeitig schütze die Impfung auch vor einer besonderen Art der FSME-Ansteckung: die durch Rohmilch vor allem von Weidetieren. „Im Jahr 2016 machte ein Fall Schlagzeilen, bei dem zwei Menschen nach dem Genuss von Rohmilch-Käse aus Ziegenmilch erkrankten“, berichtet Prof. Dr. Mackenstedt. „Im vergangenen Jahr erkrankten 8 Personen nach dem Genuss von Ziegen-Rohmilch.“
Tatsächlich sei das Krankheits-Risiko nach dem Genuss von FSME-infizierter Rohmilch um das Dreifache höher als nach dem Biss von infizierten Zecken: „Von 100 Personen, die von infizierten Zecken gebissen werden, bricht die Krankheit bei 30 Personen aus. Bei infizierter Rohmilch beobachten wir den Krankheitsausbruch bei 100 von 100 Personen.“
In den 1950er Jahren seien FSME-Erkrankungen durch infizierte Rohmilch deshalb vergleichsweise häufig gewesen. Durch die Pasteurisierung von Milch sei die sogenannte „alimentäre FSME“ heute jedoch eher eine Randerscheinung. Angesichts der zunehmenden Beliebtheit von Rohmilch betonte die Runde: „Wer Rohmilch-Produkte in einem Risikogebiet für FSME zu sich nimmt, muss FSME-geimpft sein!“ Dies schütze allerdings nicht vor anderen durch Rohmilch übertragene Krankheiten, weshalb pasteurisierte Milch aus Gründen der Lebensmittelsicherheit generell vorzuziehen sei. Quellen: Universität Hohenheim, dpa