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AKDÄ warnt vor akutem Nierenversagen: Gefahr durch Vitamin-D-Überdosierung

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Immer wieder wird Deutschland ein flächendeckender Vitamin-D-Mangel attestiert. So schrieb beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in ihrem Bericht, den sie im Sommer veröffentlichte, rund 30 Prozent der Erwachsenen seien nicht ausreichend mit Vitamin D versorgt. Wobei Ältere als Risikogruppe gelten und bei Seniorinnen der Mangel aber ausgeprägter ist als bei Männern. Für Personen mit hohem Risiko für einen Vitamin-D-Mangel erachtet es die DGE für notwendig, ein Vitamin-D-Präparat einzunehmen, um den Bedarf zu decken. 

Einnahme oft ohne Rücksprache mit dem Arzt

Evidenz für eine generelle Substitution gibt es zwar nicht. Aber anscheinend führen solche Berichte und das zugehörige Medien-Echo dazu, dass eigenmächtig ohne Rücksprache mit Arzt oder Apotheker Vitamin D eingenommen wird – und zwar nach dem Motto: „viel hilft viel“. So geschehen in zwei Fällen, über die die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) berichtet. Demnach hatten sich eine 78-jährige Patientin und ein 60-jähriger Patient eigenständig Vitamin-D-haltige Präparate besorgt – laut AkdÄ im Internet – und diese in hohen Dosen eingenommen: nämlich 10.000 IE/d Vitamin D3 beziehungsweise 50.000 IE/d Vitamin „D“ (nicht näher bezeichnet). Als sicher erachtet werden von der Europäischen Lebensmittelbehörde für Heranwachsende und Erwachsene bis zu 4000 IE/d, das entspricht 100 µg/d.

Bleibende Schäden

In der Folge kam es bei beiden Patienten zu einem akuten Nierenversagen bei ausgeprägter Hyperkalzämie. Andere Ursachen wie primärer Hyperparathyreoidismus, Sarkoidose oder Tumorerkrankung konnten ausgeschlossen werden. 
Die 78-Jährige erholte sich nach forcierter diuretischer Therapie und peroraler Cortisongabe wieder. Der 60-jährige hat bleibende Schäden davongetragen, nämlich eine dialysepflichtige Niereninsuffizienz. Laut Biopsie weist er einen schweren tubulären Schaden mit Mikroverkalkungen auf, das sei passend zu einer hyperkalzämischen Schädigung, heißt es.

Nahrungsergänzungsmittel oder Arzneimittel?

Die AkdÄ weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass bei mangelnder endogener Vitamin-D-Synthese eine Dosierung von 800 IE/d in der Regel ausreicht. Höhere Dosierungen sollten nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen. Regelmäßige Kontrollen des Vitamin-D-Status sind dabei obligatorisch. Bei Überdosierung drohen Hypervitaminosen, die in einer Hyperkalzämie resultieren können. Zudem sei abgesehen von skelettalen Erkrankungen wie Rachitis oder Osteoporose eine positive Wirkung von Vitamin D überwiegend nicht belegt.

Das Gremium geht auch auf das Problem der Nahrungsergänzungsmittel ein. Diese enthalten zum Teil sehr hohe Dosierungen, insbesondere solche Präparate, die im Internet bei ausländischen Händlern bezogen werden, aber auch auf dem deutschen Markt gibt es hochdosierte NEM. Zum Teil werden diese im Drogeriemarkt ohne jegliche Beratung gekauft, obwohl sie Vitamin-D-Mengen enthalten, die als Arzneimittel verschreibungspflichtig wären. 

Bei Arzneimitteln gibt es Regeln

Warum ist die Sache so kompliziert? Bei Arzneimitteln gibt es klare Regeln, unter welchen Bedingungen ein Wirkstoff verschreibungspflichtig beziehungsweise von der Verschreibungspflicht ausgenommen ist. Bei Vitamin D3 zur Anwendung bei Menschen gilt laut Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) die Ausnahme, „sofern auf Behältnissen und äußeren Umhüllungen eine Tagesdosis bis zu 1000 IE (entspricht 0,025 mg) Colecalciferol angegeben ist.“ Arzneimittel mit einer höheren Tagesdosis sind demnach verschreibungspflichtig.

Für Vitamin D in Nahrungsergänzungsmitteln sind keine Höchstmengen festgelegt. Da sich außerdem die Health Claims der Nahrungsergänzungsmittel mit den zugelassenen Indikationen der Arzneimittel überschneiden, ist sogar für Fachkreise nicht nachvollziehbar, warum Nahrungsergänzungsmittel vertrieben werden dürfen, die höher dosiert sind als verschreibungspflichtige Arzneimittel.

Bei welcher Tagesdosis liegt die Grenze?

Eine Expertenkommission der zuständigen Bundesoberbehörden, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), befasst sich mit der Abgrenzung von Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln. Diese hat vergangenes Jahr eine Stellungnahme zu Vitamin D herausgegeben.

Dort heißt es: „Bis zu einer Tagesdosis von 20 μg Vitamin D kann im Kontext der Ernährung/Nahrungsergänzung noch von einer ernährungsspezifischen beziehungsweise einer physiologischen Wirkung ausgegangen werden […]. Präparate bis zu einer Tagesdosis von 20 μg Vitamin D können daher als Nahrungsergänzungsmittel gemäß § 1 NemV eingestuft werden. Allerdings nur wenn alle lebensmittelrechtlichen Anforderungen erfüllt und die empfohlenen Anwendungsgebiete nicht eine Einstufung als Arzneimittel rechtfertigen.“

Die Grenze von 20 µg pro Tag orientiert sich an der Zufuhrempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). 20 µg werden für Erwachsene von der DGE als notwendig erachtet, um die psychischen und physischen Funktionen aufrechtzuerhalten. Bei Tagesdosen, die diese Grenze überschreiten, sieht die Expertenkommission keine „ernährungsspezifische oder physiologische Wirkung im Kontext der Ernährung“ mehr. Entsprechende Präparate wären also nicht mehr als NEM einzustufen, sondern müssten als Arzneimittel zugelassen werden. 

Tricksen mit der Tagesdosis

Wenn man also die Tagesdosis entsprechend festsetzt, können völlig problemlos hochdosierte Mittel als NEM vertrieben werden. Ein Beispiel: das Präparat Vitamin-D3-Liquid von Pure Encapsulations®, mit einer Dosierung von 1000 IE pro Tropfen ist als NEM auf dem Markt (zum Vergleich: Vigantol®-Öl, bei dem ein Tropfen 500 IE Vitamin D3 enthält, als verschreibungspflichtiges Arzneimittel). Die beim Pure-Encapsulations®-Präparat angegebenen Health-Claims rechtfertigen keine Einstufung als Arzneimittel. Die Verzehrempfehlung „1 Tropfen alle zwei Tage“ entspricht einer Tagesdosis von 12,5 µg und liegt somit unter der Grenze von 20 µg pro Tag. Das Präparat hat also rechtmäßig den Status eines NEM.

Im Zweifel die Aufsichtsbehörde kontaktieren

In der Praxis müssen die regional zuständigen Behörden jedes Präparat einzeln beurteilen. Daher rät die AMK, sich bei Zweifeln, ob ein Präparat tatsächlich als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben werden darf, an die für die Apothekenaufsicht regional zuständige Behörde zu wenden.