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Gibt es Alternativen zu Venlafaxin?

Ist Venlafaxin nicht lieferbar, kann es nicht so einfach durch ein anderes Antidepressivum ersetzt werden. | Bild: Jorm S / Adobe Stock

Bereits seit Monaten sorgt Venlafaxin für Querelen in der Apotheke – mal fehlen die schnellfreisetzenden Tabletten in den eher niedrigeren Stärken (37,5 mg oder 75 mg). Dann sind wieder Retardpräparate nicht zu bekommen. Der Aufwand ist immens, die Patienten beunruhigt. Und auch „pharmazeutische Bedenken“ hinsichtlich Therapietreue der Patienten müssen derzeit weit hinten anstehen: Meist sind PTA und Apotheker einfach froh, wenn sie überhaupt irgendein Venlafaxin in der verordneten Stärke und Darreichungsform beschaffen können.

Das Original Trevilor® von Pfizer ist meist noch lieferbar, doch sind die Mehrkosten, die Patienten sodann zu stemmen haben, teilweise enorm und im dreistelligen Bereich. Beispielhaft sei Trevilor® retard 75 mg, 100 Retardkapseln genannt: Die Mehrkosten betragen hier circa 150 Euro.

Warum ist Venlafaxin nicht einfach zu ersetzen?

Depressionen sind kein leicht zu therapierendes Gebiet: Etwa ein Drittel aller Patienten sprechen nicht ausreichend auf ihr erstes Antidepressivum an, mehr als die Hälfte der Patienten haben auch nach acht Wochen antidepressiver Behandlung keine Vollremission (keine Krankheitszeichen mehr vorhanden) erreicht. Zudem erweist sich jeder fünfte Patient mit einer schweren Depression (Major Depression) als therapieresistent, was laut Fachkreisen dann der Fall ist, wenn zwei oder mehr Medikationsversuche mit Antidepressiva erfolglos geblieben sind.

Sprechen folglich Patienten auf einen Wirkstoff an, ihre depressiven Symptome bessern sich und mögliche Nebenwirkungen werden toleriert, sind Arzt, Patient und Psychotherapeut froh. Ein Wechsel auf ein anderes Antidepressivum ist prinzipiell möglich – auch die Leitlinie zur Unipolaren Depression sieht diese Option vor. Allerdings nicht vor dem Hintergrund, dass der Wirkstoff schlichtweg nicht lieferbar ist, sondern bei Unwirksamkeit der Behandlung.

Wechsel zwischen Antidepressiva selbst bei Wirkungslosigkeit nicht erste Wahl

Doch nicht einmal bei Nichtansprechen einer antidepressiven Therapie empfehlen die Leitlinien-Experten eine Umstellung als den zu bevorzugenden Weg. Nachteilig bewerten sie vor allem, dass nochmals die unter Umständen lange Latenzzeit für das neu gewählte Antidepressivum abgewartet werden muss – also die Zeit ab Beginn der Einnahme bis zur Besserung der Symptome. Erschwerend kommt hinzu, dass beim Wechsel (Switching) zwischen Antidepressiva wegen möglicher Wechselwirkungen eine schrittweise Aufdosierung des neuen und ein ausschleichendes Absetzen des alten Antidepressivums erfolgen.

Zwar werde das Switching in der Praxis häufig angewandt, doch es besteht nach Ansicht der Experten erheblicher Forschungsbedarf. „Der Wechsel des Antidepressivums ist bei Nichtansprechen nicht die Behandlungsalternative erster Wahl“, so die Experten. Und weiter: „Jeder Wechsel sollte daher sorgfältig geprüft werden.“ Als Vorteil bewerten sie beim Umstellen auf ein anderes Antidepressivum jedoch, dass unter Beibehaltung einer Monotherapie möglicherweise die Therapietreue (Adhärenz) besser ist und weniger Neben- und Wechselwirkungen zu erwarten sind als unter Kombination.

Die Wissenschaftler raten zunächst – wohlgemerkt bei Nichtansprechen und nicht bei Lieferunfähigkeit – zur Augmentation, wenn andere Gründe für das Therapieversagen ausgeschlossen wurden (Therapietreue, Verstoffwechslungstyp). Dabei versucht man, die antidepressive Wirkung eines gegebenen Antidepressivums durch die zusätzliche Gabe einer weiteren Substanz, die selbst kein Antidepressivum ist, zu verstärken.

Hemmung der Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme

Venlafaxin zählt zu den SNRI, den Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren). Die antidepressive Wirkung von Venlafaxin wird mit einer Erhöhung der Konzentration und Aktivität von Noradrenalin und Serotonin im Zentralnervensystem in Verbindung gebracht, da die Wiederaufnahme der Botenstoffe aus dem synaptischen Spalt in die Nervenzelle blockiert wird. Venlafaxin hemmt vor allem die Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme im Zentralnervensystem und zusätzlich, in geringem Maß, die des Botenstoffes Dopamin.

Venlafaxin wirkt vor allem aufs Serotoninsystem

Neben Venlafaxin gehören auch Duloxetin (Cymbalta®, Yentreve® und Generika) und Milnacipran (Milnaneurax®) in die Gruppe der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Wenn auch alle drei Wirkstoffe die Wiederaufnahme der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin hemmen, so tun sie dies doch in unterschiedlichem Ausmaß. Venlafaxin besitzt eine 30-fach größere Selektivität für Serotonin und erhöht vorwiegend die Serotoninkonzentration im synaptischen Spalt. Vor allem im niedrigen Dosisbereich soll die Serotonin-Präferenz ausgeprägt sein. Im Vergleich dazu wirkt Duloxetin ausgewogener auf die beiden Botenstoffe und besitzt nur eine etwa zehnfach größere Selektivität für Serotonin. Milnacipran, das erst seit 2016 die Zulassung hat, blockiert die Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme ungefähr gleich stark.

Unterschiedliche Einsatzgebiete

Die einzelnen Wirkstoffe unterscheiden sich zudem in den zugelassenen Indikationen. Venlafaxin darf am breitesten verordnet werden:

Venlafaxin mit verzögerter Freisetzung (retardiert) wird eingesetzt zur Behandlung von Episoden einer Major Depression (schwere Depression), Rezidivprophylaxe von Episoden einer Major Depression, zur Behandlung der generalisierten Angststörung und der sozialen Angststörung sowie zur Behandlung der Panikstörung, mit oder ohne Agoraphobie (Platzangst). Die schnellfreisetzenden Tabletten sind lediglich zur Behandlung von Episoden einer Major Depression und zur Vorbeugung des Wiederauftretens neuer depressiver Episoden (Rezidivprophylaxe) indiziert.

Duloxetin wird in den Stärken mit 30 mg und 60 mg eingesetzt zur Behandlung von depressiven Erkrankungen (Major Depression), Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie sowie bei der generalisierten Angststörung. Daneben finden die Stärken 20 mg und 40 mg Duloxetin Anwendung bei Frauen mit mittelschwerer bis schwerer Belastungs(harn)inkontinenz.

Milnacipran ist lediglich zugelassen zur Behandlung von Episoden einer Major Depression bei Erwachsenen. Alle Wirkstoffe dürfen laut Zulassung nur bei Erwachsenen eingesetzt werden.

Daneben gibt es auch antidepressive Wirkstoffe aus anderen Gruppen. Den SSRI (selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren) fehlt jedoch die Wirkung auf den Botenstoff Noradrenalin. Die sogenannten Trizyklika (beispielsweise Imipramin, Clomipramin, Amitriptylin) hemmen zwar die Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme, jedoch auch in unterschiedlichen Ausmaßen. Darüber hinaus blockieren sie noch zahlreiche andere Rezeptoren (zum Beispiel von den Botenstoffen Histamin, Acetylcholin oder Adrenalin) und gelten dadurch als nebenwirkungsbehafteter.

Entscheidung des Arztes!

Entscheidungen, ob Patienten einen anderen Wirkstoff erhalten sollen, wenn ja, welchen und in welcher Dosierung, sind hochindividuell und Sache des Arztes in Zusammenarbeit mit dem Patienten. Sie hängen unter anderem von weiteren Arzneimitteln ab, die der Patient einnimmt, von der Nieren- oder Leberfunktion und ob weitere Erkrankungen vorliegen.

Bei Umstellung: Venlafaxin ausschleichen!

Bei jeder Umstellung ist zudem zu beachten, dass Venlafaxin ausschleichend abgesetzt werden sollte. Bei Beendigung einer Behandlung mit Venlafaxin sollte die Dosis über einen Zeitraum von mindestens ein bis zwei Wochen schrittweise reduziert werden, um das Risiko von Absetzerscheinungen zu verringern.