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Welt-Aids-Tag 2020: HIV: Früherkennung und weniger Stigmatisierung

In Deutschland lebten nach Schätzungen Ende 2019 rund 90.700 HIV-Infizierte, darunter etwa 10.800 ohne davon zu wissen. | Foto: LIGHTFIELD STUDIOS / Adobe Stock

Die Coronavirus-Pandemie droht den Kampf gegen HIV und Aids um Jahre zurückzuwerfen. Wegen Ausgangsbeschränkungen hätten sich vielerorts Gefährdete nicht testen lassen und Infizierte sich nicht mit Medikamenten versorgen können, fürchtet das Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids (UNAIDS). Deshalb könnte es bis Ende 2022 fast 300.000 zusätzliche HIV-Infektionen geben – und fast 150.000 Infizierte könnten zusätzlich sterben, heißt es im UNAIDS-Bericht zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember.

Erneuter Anstieg der Neuinfektionen in Deutschland

Nicht nur in fernen Ländern und nicht nur durch die Pandemie gibt es Probleme mit dem Testen und der Therapieversorgung. In Deutschland stieg die Zahl der Neuinfektionen im vergangenen Jahr erstmals seit 2015, wie das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin berichtete. „Im Zeitraum zwischen 2015 und 2018 war die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland rückläufig. Dieser Rückgang hat sich nicht weiter fortgesetzt“, schreiben die Autoren des vorgelegten Berichts. Nach Schätzungen haben sich 2.600 Menschen neu mit dem HI-Virus infiziert, 100 mehr als im Jahr zuvor. 380 Infizierte starben, seit Beginn der Epidemie in den 1980er-Jahren waren es knapp 30.000. Die RKI-Angaben beruhen auf Modellrechnungen, da HIV oftmals erst Jahre nach der Ansteckung diagnostiziert wird.

Leichter Anstieg bei Drogenkonsumenten

Bei der Hauptbetroffenengruppe in Deutschland (homo- und bisexuelle Männer) stagnierte die Zahl der Neuinfektionen nach jahrelangem Rückgang. Anstiege auf niedrigem Niveau wurden bei Übertragungen auf heterosexuellem Weg und bei Drogenkonsumenten über Spritzbesteck gesehen.

Mehr Tests und Therapieangebote notwendig

Es müsse mehr Testangebote geben und der Zugang zur Therapie müsse gewährleistet werden, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler. Rund ein Drittel der Diagnosen wurden erst bei einem fortgeschrittenen Immundefekt gestellt, in etwa 15 Prozent erst mit dem Vollbild von Aids. Die Zahl der Spätdiagnosen sei tragisch, sagte Sven Warminsky von der Deutschen Aidshilfe. Ärzte müssten geschult werden, damit sie HIV als Krankheitsursache öfter in Betracht zögen.

Viele Betroffene ohne Diagnose und Therapie

In Deutschland lebten nach Schätzungen Ende 2019 rund 90.700 HIV-Infizierte, darunter etwa 10.800 ohne davon zu wissen. Etwa 3.100 Menschen wurden trotz HIV-Diagnose nicht behandelt. 96 Prozent der HIV-Infizierten erhalten eine antiretrovirale Therapie. Sie ist laut RKI fast immer erfolgreich – die Menschen sind nicht mehr ansteckend. 

Auch europaweit gibt es immer mehr Betroffene, die nichts von ihrer Infektion wissen. Mehr als die Hälfte der Infektionen werde erst in einem späten Stadium diagnostiziert, wenn das Immunsystem bereits angefangen habe, zu versagen, berichteten das Europa-Büro der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die EU-Gesundheitsbehörde ECDC. Vier Fünftel der neu Diagnostizierten lebten im östlichen Teil der Region. Sie umfasst 900 Millionen Menschen in 53 Ländern, darunter neben den EU-Ländern etwa auch Russland, die Türkei und Usbekistan. 2019 gab es in dieser Region knapp 136.500 neue HIV-Diagnosen, weltweit 1,7 Millionen. Geschätzt haben weltweit zwölf Millionen Infizierte keinen Zugang zu Medikamenten gehabt.

Auswirkungen der Corona-Pandemie

UNAIDS warnte auch vor Rückschritten durch die Corona-Pandemie: Anonyme Testangebote seien wegen der überlasteten Gesundheitsämter vielerorts stark eingeschränkt. Wenn die Welt aber im Zusammenhang mit der Pandemie deutlich mehr in Gesundheitssysteme investiert und sich ehrgeizige Ziele setze, könnte es gelingen, dass Aids 2030 keine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit mehr sei, heißt es im UNAIDS-Bericht.

Noch mehr Aufklärungsarbeit nötig

Der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) hofft, dass Unwissen über Aids und Vorurteile gegen Menschen mit HIV weiter abgebaut werden. Mittlerweile wüssten 18 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, dass das Virus unter Therapie nicht übertragbar sei, sagte Lucha. „Aufklärung ist der beste Schutz vor Ausgrenzung und Diskriminierung und fördert das positive Miteinander ohne Vorurteile.“ 

Bei früher Diagnose und frühem Behandlungsbeginn könne auch mit HIV ein normales Leben geführt werden, erklärt Maike Biewen, Geschäftsführerin der Aids-Hilfe Baden-Württemberg. „Unter wirksamer Therapie ist das Virus auch beim Sex ohne Kondom nicht übertragbar.“ Infizierte Menschen können gesunde Kinder zur Welt bringen und seien meist auch durch die Therapie nicht eingeschränkt – „wohl aber durch das Stigma, das an HIV haftet“. 

UNAIDS ruft deshalb Länder, in denen HIV-positive Menschen noch stigmatisiert und diskriminiert werden, auf, ihre Politik zu ändern. Für einen erfolgreichen Kampf gegen das Virus müssten alle Menschen respektiert werden, vor allem auch die, die besonders gefährdet seien: Mädchen und junge Frauen, Heranwachsende, Sexarbeiterinnen und -arbeiter, Transgender, Schwule und Menschen, die intravenös Drogen konsumieren. Quelle: dpa/sn