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Dem weiblichen Sexualverhalten auf der Spur: Kein Sex ohne KiSS?

Bild: KovacsAlex - iStockphoto.com

Frauen sind nur wenige Tage im Monat tatsächlich fruchtbar. Bekannt ist, dass Mutter Natur das größte sexuelle Verlangen bei Frauen um den Zeitpunkt des Eisprungs „eingebaut“ hat – das erhöht den Fortpflanzungserfolg und trägt so zum Erhalt der Spezies Mensch bei. Sexuelles Verlangen ist folglich wichtig für das Überleben, bei vielen Arten. Was bislang unbekannt war: Wie hängen all die Hormone, Pheromone, Neurone zusammen, dass das Zusammenspiel – jemanden sexuell anziehend finden, Sex haben und das zum Zeitpunkt der Fruchtbarkeit – optimal funktioniert? Es scheint, Kisspeptin sollte man sich als zentralen Linker für dieses System merken, zumindest nach Ansicht von belgischen und deutschen Forschern. Laut den Wissenschaftlern dirigiert Kisspeptin sexuelle Anziehung, sexuelles Verlangen und die Fruchtbarkeit. Ohne Kisspeptin also kein Sex?

Wie kommt „Kisspeptin“ zu seinem Namen? 

Der Name des Gens KiSS1, das für das Peptidhormon Kisspeptin codiert, ist ein Artefakt aus „Ki“ und „SS“ – oder Schokolade und Krebs. Die Entdecker tauften KiSS1 nach seinem Entdeckungsort Hershey in Pennsylvania. Genauer gesagt: nach einem bekannten Produkt aus Hershey – der „Hershey-Kiss-Schokolade“. Diese würdigten die Forscher mit der ersten Silbe des Gens „Ki“. „SS“ steht für die als erstes gefundene Funktion des Kiss1-Gens als Suppressor-Sequenz, die der Metastasierung von Brust- und Hautkrebs entgegenwirkt.

Kisspeptin ist in der Forschung nicht gänzlich neu. Allerdings hat Kisspeptin nichts mit „küssen“ zu tun, selbst wenn der Name des Hormons nur allzu leicht zu dieser Annahme verleitet. Wissenschaftler stießen zunächst in einem völlig anderen Zusammenhang auf das Hormon: Kisspeptin unterdrückt die Metastasierung bei Haut- und Brustkrebs. Nach und nach kristallisierte sich die Funktion von Kisspeptin hinsichtlich der Sexualität heraus. Das Hormon spielt eine zentrale Rolle für den Startschuss der Pubertät. Fehlt Kisspeptin, bleibt die Pubertät aus. Nun haben Forscher aus Belgien und dem Saarland Kisspeptin eine weitere wichtige Aufgabe zugesprochen: Kisspeptin ist ein bedeutender Linker beim Zusammenspiel zwischen sexueller Attraktivität, sexueller Motivation und Fruchtbarkeit.

Sexuelle Attraktivität durch Kisspeptin vermittelt

Kann man einen anderen Menschen gut riechen oder eher nicht? Die Erkenntnis, dass der Duft einer Person wesentlich für die Partnerwahl ist, ist kein Novum. Bestimmte Botenstoffe, sogenannte Pheromone, aktivieren eine Region in der Nasenscheidewand (Vomeronasalorgan). Von dort ziehen Bahnen unter anderem zum limbischen System im Gehirn, das für Emotionen zuständig ist, sowie zum Hypothalamus, einem zentralen Syntheseort von Hormonen. Der Hypothalamus schüttet Gonadoliberine aus, die wiederum die Ausschüttung von FSH und LH (Hypophyse) stimulieren. Das Follikel-stimulierende Hormon FSH lässt bei geschlechtsreifen Frauen die Follikel reifen, die dann die weiblichen Sexualhormone Estrogen und Progesteron produzieren. Unter einem LH-Gipfel (Luteinisierungs-Hormon) findet der Eisprung (Ovulation) statt. Bei Männern stimuliert LH die Produktion des männlichen Sexualhormons Testosteron in den Hoden.

Männliche Pheromone aktivieren diese Hormon-Kaskade bei weiblichen Mäusen und umgekehrt. Welche Rolle spielt jetzt Kisspeptin? Kisspeptin wirkt Pheromon-getriggert. Denn die Duftstoffe wirken nicht nur direkt auf das Sexualhormon-System, sondern die Pheromone aktivieren auch Kisspeptin-Neurone (Hypothalamus), sodass Kisspeptin freigesetzt wird. Auch diese Kisspeptin-Freisetzung schein geschlechtsspezifisch: So lassen sich Kisspeptin-Neuronen in „Mäusinnen“ offenbar ausschließlich durch männliche Pheromone aktivieren.

Kisspeptin ist außerdem in der Lage, die Sexualhormon-Kaskade direkt zu stimulieren. Somit sind Pheromone nicht die einzigen Aktivatoren des Sexualhormon-Systems. Auch Kisspeptin steuert über Gonadoliberine, FSH und LH den Eisprung, indem es den LH-Anstieg antreibt, der für eine Ovulation essenziell ist. Nach Ansicht der Wissenschaftler stützt der Einfluss von Kisspeptin auf LH und die Ovulation ihre Vermutung, dass Kisspeptin tatsächlich im Dienste der Reproduktion tätig ist. Kisspeptin scheint also tatsächlich als Linker zwischen sexueller Anziehung und Ovulation zu fungieren. Wie wird aus sexueller Anziehung sexuelle Bereitschaft? Und …

Wann wird daraus Sex?

Kisspeptin beschränkt seine Funktion offenbar nicht auf die Pheromon-getriggerte Anziehung und Partnerwahl, zumindest bei Mäusen, sondern ist auch in die sexuelle Motivation involviert. Die sexuelle Bereitschaft der „Mäusinnen“ untersuchten die Forscher anhand ihres „lordosis behaviour“, was in diesem Fall keine anatomisch-bedingte Fehlstellung der Wirbelsäule bedeutet, sondern dem Männchen die weibliche Bereitschaft für Sex durch bewusste Krümmung des Rückens signalisiert.

Kein Sex ohne Kisspeptin?

Kisspeptin scheint dieses lordosis behaviour, die sexuelle Bereitschaft, direkt zu beeinflussen. Kisspeptin-Injektionen in Mäusen erhöhten deren sexuelle Motivation. Während Mäuse ohne Kisspeptin-Neurone offenbar keinerlei „lordosis behaviour“ zeigten und keinerlei Anstalten machten, sich sexuell zu betätigen. Auch die Gabe von Gonadoliberinen (stimulieren FSH und LH) konnte die sexuelle Bereitschaft nicht erhöhen.

Offenbar steuert Kisspeptin tatsächlich die sexuelle Anziehung, das sexuelle Verlangen und die Fruchtbarkeit. Die Forscher sehen hierin einen vielversprechenden Ansatz für künftige Behandlungsmöglichkeiten zum Beispiel von verminderter sexueller Appetenz. Derzeit gibt es keine guten therapeutischen Optionen für Frauen mit geringem sexuellem Verlangen.