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PTAheute-Kongress INTERPHARM 2019: Neein! Ich möchte nicht!! Wie kommt das Arzneimittel ins Kind?

Dr. Wolfgang Kircher erklärte bei der Interpharm, wie man Kindern die Einnahme von Arzneimitteln erleichtern kann. | Bild: PTAheute / Alex Schelbert

Wenn Kinder Arzneimittel einnehmen sollen, kann das schnell in Tränen und Theater enden. Die kleinen Patienten pressen die Lippen fest zusammen, der Kopf wird bockig zur Seite gedreht oder der antibiotische Saft einfach ausgespuckt – vielleicht weil das Arzneimittel eklig aussieht, riecht oder schmeckt. Neben flüssigen Darreichungsformen stellen auch die festen, wie Kapseln oder Tabletten, wahre Herausforderungen dar. Sie sind zum Schlucken für Kinder teilweise schlicht zu monströs oder das Kind ist noch zu klein, zuverlässig zu schlucken. Wie also kommt der Fiebersaft ins Kind? Dr. Wolfgang Kircher, Apotheker und Autor beim Deutschen Apotheker Verlag, weiß – wie stets – kompetenten Rat.

In den meisten Apotheken ist es sicherlich gang und gäbe: das Zubereiten antibiotischer Trockensäfte durch die Pharmazeuten. Dennoch ermuntert Kircher, der gemeinsam mit seinem Sohn Philipp Kircher die St- Ulrich-Apotheke in Penzberg betreibt, seine Kollegen dazu: „Wir sollten grundsätzlich Säfte in der Apotheke zubereiten“, um Fehler bei der Herstellung zu vermeiden. „Nicht immer ist so eindeutig aus der Anweisung der Hersteller ersichtlich, welche Markierung auf der Flasche gemeint ist – ist es die Glasrille oder vielleicht doch der Strich auf dem Etikett? Damit diese pharmazeutische Dienstleistung möglichst flott geht, schlage ich Ihnen vor, eine Liste aller gängigen Trockensäfte in Ihrer Apotheke zu erstellen und dort die Wassermenge zu vermerken, die zugeführt werden muss", rät Kircher. Sinnvoll ist nach Ansicht des Apothekers auch, das jeweils enthaltene Aroma zu dokumentieren.

Gleiches Aroma: nicht länger als zehn Tage

Nach Kirchers Erfahrung akzeptieren Kinder die meisten Aromen gut, allerdings nicht beliebig lange. Untersuchungen von Professor Joachim Boos von der Uniklinik Münster zeigten: „Es gibt kein Aroma, das Kinder bei regelmäßiger Einnahme länger als etwa zehn Tage akzeptieren“, erklärt Kircher. Dauert folglich eine antibiotische Therapie in einzelnen Fällen länger als zehn Tage, solle der Apotheker – wenn Alternativen bestehen – auf eine andere Geschmacksrichtung wechseln. Das könne helfen, die „Therapietreue“ der kleinen Patienten zu sichern.

Tabletten in Nutella oder Wackelpudding

Ob Erdbeere, Pfirsich, Himbeere oder Kirsche – nicht immer überzeugt das Aroma das Kind. Was tun? Kircher empfiehlt, wenn möglich und nach Rücksprache mit dem behandelnden Kinderarzt, auf orale, niedrig dosierte Darreichungsformen zu wechseln. Nicht selten ist dies, wie bei Cefaclor, Amoxicillin oder auch Cefuroxim und Azithromycin, durchaus möglich: Nach Dosisanpassung könnten die Eltern den Kapselinhalt oder die gemörserte Tablette in eine „gut streichförmige Zubereitung – zum Beispiel Nutella – einarbeiten“, so Kircher. Ungeachtet der Ernährungsphysiologie von Nutella – „für diesen Zweck funktioniert es prächtig“, weiß der Apotheker aus Erfahrung. Sind nicht aber Wechselwirkungen mit Nutella-Inhaltsstoffen zu befürchten? Wer hier Sorgen hat, soll laut Kircher auf Wackelpudding ausweichen. Mit „nur Gelatine, Aroma, Wasser und Farbstoffen“ sei man dann auf der sicheren Seite.

Erdbeere statt Orange: Pharmazeutische Bedenken geltend machen

Das Kind nimmt nur den Ibuprofensaft mit Erdbeergeschmack, der Rabattvertrag der Krankenkasse gibt jedoch ein Präparat mit Orangen- oder Kirschgeschmack vor. Dürfen allein aufgrund des Geschmackes pharmazeutische Bedenken geltend gemacht werden? „Scheuen Sie sich nicht, pharmazeutische Bedenken geltend zu machen“, sagt der Apotheker. Argumentationshilfe bei den Krankenkassen können laut dem Apotheker auch „bedenkliche Inhaltsstoffe“ sein. So enthielten alle nicht nach Erdbeere schmeckenden Ibuprofensäfte Benzoate, so Kircher. Benzoesäurederivate können unerwünschterweise hepatische oder neurologische Störungen und bei Kindern das Gasping-Syndrom auslösen, bei dem die Kinder nach Luft schnappen. Nach Ansicht des Apothekers durchaus „pharmazeutisch bedenklich“ und diese Nebenwirkung rechtfertige die Abgabe von erdbeeraromatisierten Säften trotz anderslautender Rabattverträge.

Ab wann kann ein Kind Tabletten schlucken?

Und ab welchem Alter gehen Tabletten? Diese Frage ist nicht ganz eindeutig zu beantworten. Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA publizierte jüngst eine Tabelle dazu. Laut dem „Reflection Paper: Formulations of Choice for the paediatric population“ der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) sind Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren in der Lage, Tabletten zu schlucken. Kircher sieht eine solche absolute Einschätzung als „problematisch“, da die kindliche Entwicklung in Bezug auf deren physiologische und kognitive Funktionen recht unterschiedlich sein könne: „Man kann die Fähigkeit, Tabletten zu schlucken, keinem bestimmten Alter zuordnen.“