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Ergebnis von Stiftung Warentest: Johanniskrautpräparate nur aus der Apotheke

Die Verbraucherorganisation Stiftung Warentest kommt zu dem Ergebnis: Johanniskrautpräparate aus der Apoheke sind geeignet bei depressiven Episoden. | Bild: kaprikfoto / AdobeStock

Glaubt man den Zahlen der „S3-Leitlinie unipolare Depression“, liegt das Risiko, dass wir während unseres Lebens an einer Depression erkranken, bei 16 bis 20 Prozent (national und international) – also etwa jeder Fünfte. Bei leichten depressiven Störungen greifen Ärzte und Patienten unter anderem auch auf Johanniskraut-Präparate zurück. Doch gibt es bei den auf dem Mark befindlichen Produkten erhebliche Unterschiede: Es gibt verschreibungspflichtige, apothekenpflichtige und auch solche, die als freiverkäufliche Mittel in Drogerien, Supermärkten oder online erhältlich sind. Während bei Arzneimitteln in Studien nachgewiesen werden muss, dass sie sicher, wirksam und unbedenklich sind, gilt diese Nachweispflicht für freiverkäufliche Produkte nicht. 

Stiftung Warentest wollte wissen, welche Johanniskrautpräparate den Leidensdruck lindern und empfehlenswert sind. Das Fazit der Verbraucherschützer ist eindeutig.

Wirksam und ohne Schadstoffe?

Bei den 18 untersuchten Präparaten – drei verschreibungspflichtige, sieben apothekenpflichtige, drei Arzneitees und vier traditionelle Arzneimittel – interessierte sich Stiftung Warentest vor allem für deren Wirksamkeit und deren Belastung mit Pyrrolizidinalkaloiden (PA).

Zur Erinnerung: Was sind Pyrrolizidinalkaloide?

Pyrrolizidinalkaloide sind eine Gruppe von sekundären Pflanzenstoffen, die viele Pflanzen zur Abwehr von Fressfeinden bilden. Diese Pflanzen können unter anderem als sogenannte Beikräuter bei der Ernte der eigentlichen Arzneipflanze (z. B. Johanniskraut) in die Präparate gelangen.

PA sind unerwünscht, da sie die Leber schädigen können und potenziell erbgutschädigend sind. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erklärt: „Bestimmte PA können die Leber schädigen. Zudem wurde für einige Vertreter in tierexperimentellen Untersuchungen ein erbgutveränderndes (genotoxisches) und krebserzeugendes (kanzerogenes) Potenzial nachgewiesen.“ 

Auch wenn Stiftung Warentest Arzneimittel und keine Lebensmittel getestet hat, lohnt dennoch ein Blick in die BfR-Stellungnahme aus dem Juni 2020 zum PA-Gehalt in Lebensmitteln. Das BfR spricht sich nicht für einen Grenzwert aus, empfiehlt jedoch „die Aufnahme dieser Substanzen so weit zu minimieren, wie dies vernünftigerweise erreichbar ist (ALARA-Prinzip: as low as reasonably achievable)“. Meist nimmt man PA nämlich nicht nur über ein Präparat auf, wie beispielsweise Johanniskrauttee, sondern die Menge kumuliert durch die weitere PA-Aufnahme über Kräuter, Honig und andere Lebensmittel.

Freiverkäufliche Mittel: Kaum Pyrrolizidinalkaloide, aber ...

In Hinblick auf Schadstoffe waren die Hersteller der rezept-, apothekenpflichtigen und freiverkäuflichen Johanniskrautpräparate durchaus gut: Stiftung Warentest fand keine oder sehr geringe bis geringe Mengen an Pyrrolizidinalkaloiden. Keine PA konnten in den Johanniskrauttees von Sidroga und H&S festgestellt werden, auch nicht im Schoeneberger Heilpflanzensaft mit Johanniskraut. Dennoch sind diese Johanniskrautpräparate nach Einschätzung von Stiftung Warentest nicht empfehlenswert – ebenso wenig alle übrigen freiverkäuflichen Johanniskrautpräparate. Der Grund: „Sie sollen bei geistiger Erschöpfung, nervöser Unruhe und Schlafstörungen helfen, ihre Wirksamkeit ist dafür aber nicht ausreichend belegt“, erklärt Warentest. Sie seien anders zusammengesetzt (Presssaft, getrocknete Pflanzenteile) als Arzneimittel (Trockenextrakt) und niedriger dosiert. Im Test berücksichtigt wurden neben den oben genannten Tees und dem Heilpflanzensaft Produkte von Bombastus, Kneipp, dm sowie Tetesept.

Daumen hoch für Arzneimittel

Zu einer positiven Bewertung kommt Stiftung Warentest bei apotheken- und rezeptpflichtigen Arzneimitteln: Diese Präparate sind bei depressiven Episoden geeignet. Nachgewiesen wurde ihre Wirkung in Studien, die den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisgrad wiedergeben. Apothekenpflichtige Arzneimittel, wie Felis®, Hyperforat®, Jarsin® (300 mg und 450 mg), Neuroplant® aktiv, Laif® 900 Balance und Neuroplant® Novo, werden bei leichten vorübergehenden depressiven Störungen eingesetzt. Verschreibungspflichtige Arzneimittel – Jarsin® Rx, Neuroplant®, Laif® 900 – kann der Arzt bei leichten bis mittelschweren depressiven Phasen verordnen. 

Auch hier prüfte Stiftung Warentest den Pyrrolizidinalkaloidgehalt: Bei den Rx-Arzneimitteln enthielten Jarsin® und Neuroplant® die geringsten Mengen, bei den apothekenpflichtigen Felis®, Hyperforat®, Jarsin® (300 mg und 450 mg) und Neuroplant® aktiv.

Wechselwirkungen beachten

Für alle Johanniskrautpräparate gilt eine sorgfältige Beratung in der Apotheke. Johanniskraut kann als Induktor von CYP-450-Enzymen die Verstoffwechselung anderer Arzneimittel beschleunigen und deren Wirksamkeit verringern. Davon betroffen sind z. B. Immunsuppressiva (Ciclosporin, Tacrolimus), orale Kontrazeptiva, Antikoagulanzien, HIV-Arzneimittel und andere Antidepressiva (Amitriptylin, Nortriptylin).  Möchten Patienten die Wirkung ihrer verordneten Antidepressiva mit der Einnahme von Johanniskraut unterstützen, erreichen sie damit unter Umständen nur, dass beispielsweise das verordnete Amitriptylin schneller abgebaut wird und weniger wirkt.

Johanniskraut bei Depressionen – was sagt die Leitlinie?

Die aktuell gültige S3-Leitlinie „Unipolare Depression – Nationale Versorungsleitlinie“ erkennt, dass Phytotherapeutika mit Johanniskraut aufgrund ihrer häufigen Verordnung in Deutschland eine Rolle spielen. Sie würden häufig aufgrund ihrer „vermeintlich geringeren Nebenwirkungen“ für die Behandlung leichter bis mittelschwerer Depressionen eingesetzt. Allerdings: Die Wirksamkeit von Johanniskraut in der Behandlung von Depressionen sei umstritten. Es liegen den Leitlinien-Autoren zufolge verschiedene Daten vor – manche Studien belegten die Wirksamkeit, andere zeigten keine Überlegenheit gegenüber Placebo. 

Eine Metaanalyse aus dem Jahre 2008 kam zu dem Schluss, dass Johanniskrautextrakte bei leichter bis mittelgradiger depressiver Symptomatik wirksam sind, bei schweren und chronisch verlaufenden Depressionen wurden jedoch keine Effekte belegt. Johanniskraut wird den chemischen Antidepressiva nicht als überlegen angesehen. Allerdings seien manche Patienten gegenüber einem „natürlichen Produkt“ aufgeschlossener. Bei einer solchen Patientenpräferenz könnte folglich bei leichten bis mittelschweren Depressionen Johanniskraut als erster Behandlungsversuch eingesetzt werden, lautet die Einschätzung der Leitlinien-Autoren. 

Hauptproblem bei den Phytotherapeutika ist die Standardisierung und schwankende Dosen der möglicherweise aktiven Substanzen, wie Hypericin und Hyperforin. Da nicht bekannt sei, welche Stoffe im Johanniskraut, in welcher Menge und auf welchem Weg für die antidepressive Wirkung verantwortlich sind, sollten nur Präparate eingesetzt werden, deren klinische Wirksamkeit durch eigene Studien belegt ist, rät die Leitlinie.

Welche Rolle spielen Johanniskrautpräparate bei Depressionen?

Laut Arzneiverordnungsreport 2019, der das Verordnungsverhalten von 2018 wiedergibt, wurden damals 28,8 Millionen DDD (Defined Daily Dose) an Johanniskrautpräparaten (Laif®, Neuroplant®, Jarsin®) verordnet. Apothekenpflichtige Arzneimittel sind hierbei – ebenso wenig wie freiverkäufliche Mittel – nicht berücksichtigt. Zum Vergleich: Allein Citalopram kam 2018 auf 266 Millionen DDD.