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Wird die Grippeimpfung für Kinder zum Standard?

Bild: New Africa / Adobe Stock

Zur Zeit spricht sich die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Roch-Institut (RKI) nicht dafür aus, dass Kinder jährlich gegen Grippe geimpft werden sollen. Liegt hingegen eine „erhöhte gesundheitliche Gefährdung infolge eines Grundleidens“ – zum Beispiel: Asthma, Diabetes, angeborene oder erworbene Immunschwäche – vor, empfiehlt die STIKO auch für Kinder und dann ab einem Alter von sechs Monaten den saisonalen Grippeschutz. Warum wird eine Influenza-Impfung nicht für alle empfohlen? Das Robert Koch-Institut begründet dies damit, dass eine Influenza-Erkrankung bei gesunden Kindern oder bei Erwachsenen unter 60 Jahren in der Regel ohne schwerwiegende Komplikationen verläuft. Wichtig: Das bedeutet nicht automatisch, dass die STIKO bei Kindern von einer Grippeimpfung abrät. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) erklärte auf eine frühere Nachfrage der Redaktion: „Eine fehlende STIKO-Empfehlung ist kein Hindernis für eine begründete Impfung.“

Kindlicher Standardgrippeschutz auf der Agenda

Wackelt diese Einschätzung nun? Zumindest stand der kindliche Standardgrippeschutz auf der Agenda der 95. Sitzung der STIKO im März 2020: Die Beschäftigung mit dem Thema „Standard-Influenzaimpfempfehlung für Kinder“ wurde als „prioritär angesehen“. Warum ausgerechnet jetzt, hängt die Priorisierung vielleicht mit der SARS-CoV-2-Epidemie zusammen? Zwar schützt eine Grippeimpfung nicht vor Corona-Infektionen, doch könnte sie, wie auch ein Pneumokokkenschutz, Komplikationen bei COVID-19-Erkrankungen verringern, so die Einschätzung von Experten, wie dem Chefvirologen der Berliner Charité, Professor Christian Drosten.

Kinderimpfempfehlung wegen COVID-19?

Mit der grassierenden Corona-Epidemie hat die Prüfung der STIKO eines standardmäßigen Grippeschutzes bei Kindern wohl nichts zu tun. Auf Nachfrage der Redaktion erklärt eine Sprecherin: „Dass die STIKO eine Empfehlung zu einer Influenza-Kinderimpfung (inkl. Altersangaben) prüfen wird, hat nichts mit SARS-CoV-2 zu tun; das Thema wird schon deutlich länger betrachtet“, erläutert Marieke Degen. Allerdings liefert das Protokoll der STIKO-Sitzung auch Hinweise, dass die Sitzungsteilnehmer diesen Aspekt durchaus beleuchteten, zumindest hinsichtlich der Entlastung der Gesundheitssysteme: „Es wird über die Möglichkeit, durch eine generelle Kinder-Influenzaimpfempfehlung ältere Personen indirekt zu schützen, diskutiert und über die damit verbundene mögliche Reduktion von Influenzafällen in der Saison 2020/21 und der Entlastung des Gesundheitssystems bei einer voraussichtlich weiterhin bestehenden Zirkulation von SARS-CoV-2.“ Die Datenlage bezüglich des Ausmaßes eines Gemeinschaftsschutzes durch eine Kinderimpfung sei jedoch nicht klar. Verfügbare Daten sollten zusammengestellt und sodann von der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) diskutiert werden.

Wann eine standardmäßige Grippeschutzempfehlung seitens der STIKO kommen könnte und für welche pädiatrische Altersgruppe, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht abschätzen. Marieke Degen erklärt auf Nachfrage: „Die Ausarbeitungen dazu wurden noch nicht begonnen, es ist daher auch nicht absehbar, wann die STIKO hier zu einem Ergebnis kommen wird“.

Grippeimpfung bei Kindern: in anderen Ländern bereits Standard

Andere Länder innerhalb der EU sprechen sich auch heute schon für eine generelle Grippeimpfung bei Kindern aus. Laut ECDC, dem European Centre for Disease Prevention and Control, raten Finnland, Lettland, Polen, Slowakei und Slowenien zur standardmäßigen Influenzaimpfung ab einem Alter von sechs Monaten. Österreich empfiehlt den Grippeschutz für Babys ab sieben Monaten. Deutschland empfiehlt aktuell den Grippeschutz standardmäßig ab 60 Jahren, wie auch Griechenland, Ungarn, Island, Irland und die Niederlande. Auch die USA empfehlen generell jedem ab einem Alter von sechs Monaten einen Grippeschutz.

Grippe bei Säuglingen unterschätzt?

Wie wichtig die Grippeimpfung von Säuglingen – auch passiv durch einen mütterlichen Antikörperschutz – ist, hat jüngst eine von der CDC (Centers für Disease Control and Prevention, Zentren für Seuchenkontrolle und -prävention, US-Bundesbehörde des amerikanischen Gesundheitsministeriums) finanzierte länderübergreifende Studie (Albanien, Jordanien, Nicaragua, Philippinen) ergeben. Veröffentlicht wurde die Untersuchung Anfang September 2019 in Lancet Child & Adolescent Health. Das Ergebnis: Grippe wurde bei Säuglingen bislang massiv unterschätzt.

Atemwegssymptome fehlen bei Säuglingen häufig

Bestimmte Faktoren machen unter Einjährige besonders anfällig für influenzabedingte Komplikationen. Denn: Erkranken Säuglinge an Grippe, ist das in aller Regel die erste Influenzainfektion überhaupt, die sie durchmachen. Und das unter erschwerten Bedingungen: Das Immunsystem kleiner Babys ist noch unreif, Atemwege und Lunge sind noch nicht vollständig entwickelt. Was die Situation nach Ansicht der Experten beim CDC zusätzlich verschärft, ist, dass sich Grippesymptome bei Säuglingen von den klassischen Grippesymptomen bei älteren Kindern unterscheiden. So fehlen bei Babys häufig Atemwegssymtome. Das erschwere Ärzten, eine richtige Diagnose zu stellen, und die Grippe wird schlichtweg nicht erkannt. Laut der Untersuchung war die Zahl der unter einjährigen Kinder, die mit Grippe ins Krankenhaus eingeliefert wurden, mindestens doppelt so hoch, wie man bislang dachte.