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Pro- und Antibiotika – Gegensätze, die sich anziehen?

Wer ein Antibiotikum auf einem Rezept verordnet bekommt, erhält meist beim Arzt, spätestens aber in der Apotheke, den dringlichen Rat, sich schon prophylaktisch mit einem Probiotikum zu versorgen. | Bild: Mikhail Mishchenko / AdobeStock

Sicher trifft auf die allermeisten Arzneimittel zu: Wo eine Wirkung, da auch eine Nebenwirkung. Trotzdem weisen Antibiotika Besonderheiten auf. Ihr Angriff auf die Funktionseinheiten eines Bakteriums ist nicht so selektiv, dass das menschliche Mikrobiom, also die Mikroorganismen, die den Menschen in einer friedlichen Symbiose besiedeln, nicht geschädigt würde. Antibiotische Wirkstoffe können nicht unterscheiden, ob der Keim für den Menschen nützlich oder gefährlich ist, sondern sie „suchen“ nur nach passenden Angriffspunkten am oder im Bakterium. 

Antibiotika können die natürliche Darmflora schädigen

Durch die orale Aufnahme von antibiotischen Tabletten oder Säften nimmt vor allem die individuelle Besiedlung des Darms mit Bakterien und Hefen in ihrer Vielfalt ab, besonders gefährlich sind dafür die Breitspektrumantibiotika. Daher sind die häufigsten Komplikationen, die unter antibiotischer Therapie auftreten können, Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Krämpfe und Durchfälle. 5 bis 40% der Behandelten entwickeln eine Antibiotika-assoziierte Diarrhö (AAD) – Durchfälle, die im direkten Zusammenhang zur Einnahme eines Antibiotikums stehen. 

Zurückzuführen sind diese auf eine Schädigung der natürlichen Darmflora. Fehlen dadurch Bakterien, werden Kohlenhydrate aus der Nahrung weniger verwertet und bleiben „ungefuttert“ im Dickdarm zurück, wo sie die Resorption von Wasser behindern. Wässrige Durchfälle sind das Resultat. Als zusätzliche Problematik hat die verminderte heimische Darmflora krankheitserregenden Keimen nicht mehr so viel entgegenzusetzen. 

Oft limitiert sich dieses Fehlgleichgewicht in der Darmbesiedlung selbst und die ursprüngliche Zusammensetzung der Flora regeneriert sich. Doch manchmal kann es folgenschwer sein – vorrangig für Kleinkinder, ältere oder abwehrgeschwächte Patienten.

Es dauert oft lange, die Darmbesiedlung wiederherzustellen

Clostridien, die den Darm überwuchern, werden häufig zu einem Problem: eine Toxin-bildende Bakteriengattung, die durch ihre Giftstoffe Darmentzündungen (pseudomembranöse Kolitis) und lebensgefährliche Durchfälle auslösen kann. Man spricht dabei von einer Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhö (CDAD), die wiederum eine starke antibiotische Therapie erfordert. 

Aber auch ohne diesen Worst Case leiden viele Menschen stark unter den Begleiterscheinungen ihres Antibiotikums. Oft benötigt es Wochen oder Monate, bis die individuelle, ursprüngliche Darmbesiedlung wiederhergestellt ist. In manchen Fällen ist der Diversitätsverlust sogar irreversibel, das heißt, die Bakterienzusammensetzung im Darmlumen, wie sie vorher war, ist unwiederbringlich verändert und oft an Vielfalt geschrumpft. 

Mit Probiotika geschädigte Bakterien ersetzen?

Nun ist es selbstverständlich, dass man die geschädigten Bakterien ersetzen möchte. Dafür stehen zahlreiche Probiotika zur Verfügung. Auch die Apotheken füllen sich mit immer neuen Pulvern, Kapseln und Lösungen zur Darmsanierung. 

Als probiotisch gelten lebende Mikroorganismen, die aktiv in den Darm gelangen und dort gesundheitsfördernd für ihren Wirt wirken. Sie können laut Studien die Auswirkungen der AAD signifikant reduzieren, Stuhlfrequenz und Erkrankungsdauer sind unter Einnahme probiotischer Kulturen verringert zu erwarten. Hierbei scheint die Datenlage allerdings undurchsichtig und nicht ganz ausreichend, um eine generelle Empfehlung für die Anwendung von Probiotika auszusprechen.

Probiotika als Prophylaxe

Wurden die Präparate zunächst nur bei bestehenden Komplikationen wie Durchfällen, Krämpfen und Blähungen eingesetzt, geht der Trend – proportional zum vorherrschenden Probiotika-Boom – zur präventiven Empfehlung. Wer also ein Antibiotikum auf einem Rezept verordnet bekommt, erhält meist beim Arzt, spätestens aber in der Apotheke, den dringlichen Rat, sich prophylaktisch mit einem Probiotikum zu versorgen, um Durchfällen vorzubeugen. 

Einige Hersteller haben dafür eigens abgestimmte Produkte auf den Markt gebracht, randvoll mit Lactobazillen und Bifidobakterien, die die Auswirkungen der antibiotischen Therapie eindämmen sollen. Das leuchtet ein, leidet doch die Darmumgebung, die auch natürlicherweise eben von diesen Mikroorganismen besiedelt wird, unter dem Antibiotikum.

Probiotika? Nur wenn ärztlich abgesegnet!

Doch so einfach scheint es nicht zu sein. Die individuelle Zusammensetzung der hauseigenen Flora kann nicht einfach imitiert werden. Folglich erfüllen die Probiotika nicht zwingend den gewünschten Zweck. Erkenntnisse, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Cell, lassen sogar vermuten, dass die unbedarfte Einnahme von Probiotika die selbstständige Wiederbesiedlung der eigenen Darmflora nach – besonders mehrmaliger – Antibiotika-Gabe verzögert. Entgegen früherer Publikationen machen neuere Studien deutlich, dass sogar gesundheitliche Schäden durch probiotische Produkte nicht auszuschließen sind. 

Das Problem bei den vorgefertigten Präparaten liegt zum großen Teil darin, dass sie nicht optimal auf den jeweiligen Patienten abgestimmt sind. Einige Bakterienkulturen schaffen es überhaupt nicht an ihren Hauptwirkort, den Dickdarm, sondern werden vorher verdaut. Bei einigen Anwendern greift die Besiedlung von außen nicht, selbst wenn die Mikroorganismen lebend bis zum Darm durchgedrungen sind. 

Für einen Bruchteil der Patienten, besonders für ältere und immungeschwächte Personen, können sogar ernsthafte bakterielle Infektionen die Folge von Probiotika sein, wenn die Bakterien Überhand über die „heimischen“ im Darm gewinnen. Das Prinzip dabei ist das gleiche wie bei der CDAD. Hier gilt unbedingt die Anwendungsbeschränkung: Probiotika? Nur wenn ärztlich abgesegnet!

Präbiotika bieten eine sichere Alternative

Für alle anderen sollte das Probiotikum zu oder nach einem Antibiotikum eine Einzelfallentscheidung bleiben. Der Markt bietet dafür allerhand Produkte, die auch von Kunden mehr und mehr gefordert werden. Wer ansonsten fit und gesund ist und bisher keine Unverträglichkeiten zeigt, kann mit Probiotika – besser noch mit einem Synbiotikum – einen Versuch starten, die unerwünschten Begleiterscheinungen, vor allem die Diarrhö, zu minimieren. Obwohl eine fundierte Datenlage zur Wirksamkeit nur in Teilen vorliegt und der Effekt nicht für jeden Menschen zu erwarten ist. 

Präbiotika bieten dabei eine etwas weniger kräftige, aber sichere Alternative zu Produkten mit lebenden Kulturen. Wenn sich Probleme nicht eindämmen lassen oder wiederkehren, sollte sich der Anwender in ärztliche Obhut begeben. Quellen:
www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2018/daz-42-2018/probiotika-fluch-undsegen

www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2012/daz-30-2012/mikrobiom-und-durchfall

www.oege.at/index.php/bildung-information/ernaehrung-von-a-z/1777-probiotika-undpraebiotika

www.charite.de/arbmkl/publikationen/2007meierlochsprobiotika.pdf
 

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