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Retoure erlaubt - Versandapotheken müssen Arzneimittel zurücknehmen

Bild: comzeal / Adobe Stock

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) hat die Internetapotheke iPill.de verklagt. Der Grund: Die in Gräfenhainichen (Sachsen-Anhalt) ansässige Apotheke nimmt den Verbraucherschutz nicht so ernst, wie es der vzbv gerne sähe. Zum einen beanstandeten die Verbraucherschützer eine Klausel in den AGB. Darin heißt es: „Bei apotheken- und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln besteht nach Übergabe an den Kunden kein Widerrufsrecht, da diese aufgrund der Vorschriften die Arzneimittelsicherheit wegen ihrer Beschaffenheit nicht für die Rücksendung geeignet sind und schnell verderben können“.

Der vzbv sah darin eine ungerechtfertigte Beschränkung des gesetzlichen Widerrufsrechts im Fernabsatzhandel. „Verbraucher haben grundsätzlich das Recht, Bestellungen im Internet innerhalb einer bestimmten Frist zu widerrufen“, erklärt Heiko Dünkel, Rechtsreferent beim vzbv. Eine speziell für Arzneimittel geltende Ausnahme finde sich im Gesetz nicht.

Dieser Auffassung schloss sich der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg nun in zweiter Instanz an – die Vorinstanz hatte einen Unterlassungsanspruch der Verbraucherschützer noch verneint. Tatsächlich ist die Frage, ob Arzneimittel vom Verbraucher an den Verkäufer zurückgegeben werden können, seit Langem rechtlich umstritten. Der Naumburger Senat hat sich nun der Auffassung des Landgerichts Konstanz angeschlossen, das erst kürzlich in einem anderen Verfahren des vzbv entschieden hat, dass eine solche Widerrufsausschlussklausel bei Fernabsatzverträgen den Kunden unangemessen benachteilige (Az.: C 6 O 183/16).

Keine „Rechtliche Verderblichkeit“

Auch das Oberlandesgericht verweist auf die Normen des § 312 G und § 355 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), die das Widerrufsrecht bei Fernabsatz- bzw. Verbraucherverträgen regeln. Es ist überzeugt: Sie gewähren auch bei Arzneimitteln ein Widerrufsrecht, sodass der Ausschluss dieses Rechts nicht rechtmäßig ist. Es gebe keine generelle Ausnahme für Arzneimittel. § 312 g Abs. 2 Nr. 2 BGB bestimme zwar, dass bei Verträgen zur Lieferung von Waren, die schnell verderben können oder deren Verfallsdatum schnell überschritten würde, kein Widerrufsrecht besteht. Aber dies sei nicht für alle Arzneimittel anzunehmen – auch wenn es zweifellos Arzneimittel gebe, die schnell verderben.

Die Rechtsauffassung, die im Hinblick auf Arzneimittel von einer „rechtlichen Verderblichkeit“ ausgeht, will sich der Senat nicht anschließen. Eine solche weite Auslegung wird zwar in der Literatur vertreten – auch in Kommentaren. Doch diese Kommentare seien vor Inkrafttreten des noch vergleichsweise jungen § 312g BGB verfasst worden. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung der Norm diese Literaturstimmen nicht zum Anlass nahm, einen generellen Ausschluss von Arzneimitteln vom Widerrufsrecht zu regeln, spreche gegen die erweiterte Auslegung der Vorschrift, so das Gericht.

Insgesamt kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass es zwar rechtspolitisch und aus Apothekersicht gute Gründe für den Ausschluss des Widerrufsrechts für Arzneimittel geben mag. Doch es wäre Sache des Gesetzgebers, einen solchen Ausschluss ausdrücklich zu regeln.

13 Packungen Paracetamol aus dem Internet

Neben dem ausgeschlossenen Widerrufsrecht missfiel dem vzbv auch der Umgang der Versandapotheke mit einer auffälligen Bestellung: In einem Testkauf hatten die Verbraucherschützer 13 Packungen des Schmerzmittels Paracetamol bestellt. Dabei handelt es sich um das 25-Fache der vom Hersteller angegebenen Tagesdosis. Das muss eine Apotheke stutzig machen. Schließlich sagt die Apothekenbetriebsordnung in § 17 ABS. 8: „Das pharmazeutische Personal hat einem erkennbaren Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegenzutreten.Bei begründetem Verdacht auf Missbrauch ist die Abgabe zu verweigern."

Bei iPill.de erhielt die Bestellerin eine E-Mail folgenden Inhalts: „Wir sind seit Anfang des Jahres vom Gesetzgeber verpflichtet worden, unsere Kunden über die hohen pharmazeutischen Bedenken beim Kauf und der regelmäßigen hohen Einnahme von mehr als 3 Packungen Abführmittel/Schmerzmittel ausdrücklich hinzuweisen. Wir bitten Sie lediglich, uns dies mit Ihrem o.k. zu bestätigen, dass wir Sie diesbezüglich aufgeklärt haben. Somit sind wir der gesetzlichen Pflicht nachgekommen und können nach Ihrer Rückmeldung Ihre Bestellung versenden."

Die Testkäuferin klickte „o.k.“ und erhielt die gewünschten 13 Packungen. Der vzbv fand, dass die Versandapotheke einem möglichen Medikamentenmissbrauch nur unzureichend nachgegangen sei. Das Gericht bestätigte, dass die formelhafte Belehrung nicht ausreiche. Bei der Bestellung einer derart ungewöhnlichen Menge eines Medikaments mit Missbrauchspotenzial hätte die Apotheke gezielt nachfragen und die Abgabe im Zweifelsfall verweigern müssen.

vzbv überprüft 20 Versandapotheken

Das Verfahren ist Teil einer Aktion des vzbv, bei der er die Internetauftritte und Geschäftsbedingungen von 20 Versandapotheken unter die Lupe genommen hat. Dabei ging es unter anderem auch um Aufklärung über kostenfreie Beratungsmöglichkeiten am Telefon. In den meisten Fällen zeigten sich die Apotheken laut vzbv einsichtig und gaben strafbewehrte Unterlassungserklärungen ab. In vier Fällen haben die Verbraucherschützer jedoch Klage erhoben.

Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom 22. Juni 2017, AZ.: 9 U 19/17 – nicht rechtskräftig