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Zum Europäischen Tourette-Tag am 7. Juni: Was ist eigentlich das Tourette-Syndrom?

Frau schreit unkontrollierte Laute aus
Charakteristische motorische und vokale Tics des Tourette-Syndroms, wie unkontrollierte Laute und Tabuwörter, können auf Mitmenschen verstörend wirken. | Bild: StockMasters / AdobeStock

Viele Eltern sehen es mit Sorge: Ihr Kind macht auf einmal törichte Faxen, und das wiederkehrend, noch dazu bei unpassenden Gelegenheiten. Obwohl schon im Schulalter, schneidet der Nachwuchs etwa scheußliche Grimassen oder führt unsinnige Bewegungen aus. Manches Kind streckt zum Beispiel immer wieder unvermittelt die Zunge heraus oder tritt einfach so in die Luft. 

Besonders unangenehm wird es für die Eltern, wenn ihr Sprössling seltsame Laute von sich gibt, etwa ein lautes Räuspern, Rülpsen oder Grunzen. So peinlich ein derartiges Verhalten auch sein mag – meist ist es harmlos. 

Laut Experten durchlebt jedes achte Kind solche Tic-Phasen. Nach einiger Zeit verschwinden die meisten Tic-Störungen von selbst wieder.

Wenn Tics nicht verschwinden

In seltenen Fällen markiert allerdings ein kindlicher Tic den Beginn des Tourette-Syndroms. Es handelt sich um eine meist lebenslange neuropsychiatrische Störung. Benannt ist sie nach dem französischen Neurologen Georges Gilles de la Tourette (1857–1904). 

In Deutschland sind mehr als 40.000 Kinder und Erwachsene davon betroffen. Sie leiden unter unterschiedlich schweren motorischen und vokalen Tics.

Grimassen, unkontrollierte Schreie und Tabuwörter

Motorische Tics sind abrupte Bewegungen, die zwecklos, nicht willentlich herbeigeführt und auf bestimmte Muskelgruppen beschränkt sind. Manche Tourette-Patienten verdrehen zum Beispiel immer wieder ruckartig den Kopf, verziehen krampfartig das Gesicht oder beugen abrupt eine Extremität. 

Bei den vokalen Tics handelt es sich um unpassende Lautäußerungen. So schnalzen  Betroffene etwa immer wieder mit der Zunge oder stoßen unkontrollierte Schreie aus. Ungefähr jeder dritte Tourette-Patient gibt außerdem anfallsartig obszöne Schimpfwörter oder Fäkalausdrücke von sich.

Tourette-Syndrom: Wie ein „Gehirn-Schluckauf“

Mit solchen Tabubrüchen ecken Tourette-Betroffene in der Gesellschaft an. Viele haben Schwierigkeiten, einen Job oder Freunde zu finden, obwohl sie geistig nicht eingeschränkt sind. Manche ziehen sich aus Scham zurück. 

Anderen gelingt es mit großer Anstrengung, tagsüber die Tics zu unterdrücken. Doch umso stärker brechen diese dann am Abend hervor. Vergleichbar einem Schluckauf, lassen sich Tics meist nur zeitlich hinausschieben, aber nicht verhindern. Deshalb wird das Tourette-Syndrom auch als „Gehirn-Schluckauf“ bezeichnet.

Tricks gegen die Tics

Es gibt Berichte über Tourette-Kranke, die sich ein gesellschaftlich akzeptiertes Leiden ausdenken, um ihre wahre Krankheit zu verschleiern. So erfand ein Patient ein Blasenleiden, damit er jederzeit einen Vorwand hatte, die Toilette aufzusuchen. Dort konnte er dann seinem Drang nachgeben, einen Schwall von Tabuwörtern auszustoßen.

Ursache des Tourette-Syndroms unklar

Warum jemand am Tourette-Syndrom erkrankt, ist nach wie vor ungeklärt. Diskutiert werden autoimmunologische Prozesse. Außerdem scheint eine erbliche Veranlagung mitzuspielen.

Verantwortlich für die Tourette-Symptomatik ist vermutlich ein Ungleichgewicht im Neurotransmitterhaushalt mit einer Überfunktion von Dopamin.

Wie das Tourette-Syndrom behandelt werden kann

Medikamentös werden Neuroleptika wie Olanzapin, Risperidon oder Sulpirid eingesetzt. Manchen Patienten hilft Cannabis. Darüber hinaus kommen verhaltenstherapeutische Maßnahmen zum Einsatz, in schweren Fällen auch die Tiefe Hirnstimulation. Heilbar ist die Erkrankung aber nicht. 

Weitere Informationen sowie Rat und Hilfe für Betroffene bietet die Tourette-Gesellschaft Deutschland e.V. Quellen:
Tourette-Gesellschaft Deutschland e.V. ; Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN); Stiftung Kindergesundheit; Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
 

Tourette-Syndrom in Kürze

  • Neuropsychiatrische Erkrankung, benannt nach dem französischen Neurologen Georges Gilles de la Tourette (1857–1904).
  • Symptomatik verursacht durch Störung der Hirnaktivität, vermutlich infolge einer Neurotransmitterstörung mit Dopamin-Überfunktion; auslösende Ursachen ungeklärt, wahrscheinlich genetische Mitbeteiligung.
  • Motorische und verbale Tics: plötzliche zuckende Bewegungen und Laute, die immer wiederkehren; teilweise obszöne Gesten und Wörter oder Fäkalsprache; Häufigkeit und Art der Tics individuell unterschiedlich und wechselnd.
  • Mehr als 40.000 Betroffene in Deutschland.
  • Beginn im Kindes-/Jugendalter, Jungen circa 4-mal häufiger betroffen als Mädchen.
  • Meist lebenslange Störung; nicht heilbar, Behandlung mit Neuroleptika, Verhaltenstherapie, Tiefer Hirnstimulation.