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Faktencheck: Pharmazeutische Dienst­leistungen: Was ist dran an der Kritik der Ärzte?

Die Kassenärztlichen Vereinigungen Hessen und Baden-Württemberg melden sich in Patientenflyern, Rundschreiben und Pressemitteilungen zu den neu eingeführten pharmazeutischen Dienstleistungen zu Wort. Dabei äußern sie weit mehr als Kritik. Was ist dran an den Behauptungen? | Bild: ffphoto /AdobeStock

Nach langem Ringen zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband (DAV) dürfen Apotheken seit kurzem fünf pharmazeutische Dienstleistungen erbringen und zu Lasten der Kassen abrechnen. Mit diesen Maßnahmen soll die Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteltherapien verbessert werden. Doch wurde die Freude über diesen wichtigen Meilenstein durch heftige Kritik aus der Ärzteschaft in den vergangenen Wochen getrübt. 

Zur Erinnerung: Welche pharmazeutischen Dienstleistungen dürfen künftig erbracht werden?

  • Standardisierte Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung und Üben der Inhalationstechnik (= Inhalator-Schulung),
  • standardisierte Risikoerfassung hoher Blutdruck (= Blutdruckmessung),
  • erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation,
  • pharmazeutische Betreuung von Organtransplantierten und
  • pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie.

Weit mehr als sachliche Kritik 

So erstellte der Hausärzteverband Hessen gar einen Patientenflyer, in dem die pharmazeutischen Dienstleistungen in ein schlechtes Bild gerückt werden sollten. Kurze Zeit später meldete sich auch die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) zu Wort und begrüßte in einem öffentlich einsehbaren Schreiben die Plakataktion des Hausärzteverbandes. Darüber hinaus ruft die KVH ihre Mitglieder dazu auf, „Fälle, in denen eine inkompetente Beratung durch Apotheken stattgefunden hat“, zu dokumentieren, und zeigte zudem, wie die Leistungen der Vor-Ort-Apotheken boykottiert werden können. 

Auch die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) äußerte sich in einer Pressemitteilung zu diesem Thema. Bereits der Titel („Voller Geldbeutel der Apotheker statt zusätzlicher Termine bei Fachärzten“) verrät, dass man auch hier der Einführung der pharmazeutischen Dienstleistungen äußerst kritisch gegenübersteht. Mehr noch: Die KVBW kündigte an, ihre „Mitglieder auf die Möglichkeit eines barrierefreien Zugangs zu Medikamenten über Internetapotheken hin[zu]weisen [...]“. Zudem wolle man Patienten darüber informieren, „dass sie sich bei Fragen zu Arzneimitteln besser an diejenigen wenden, die das umfassend gelernt haben“. Und laut KVBW seien das die Ärzte, nicht die Apotheker. 

Faktencheck

Was ist dran an den Behauptungen der Standesvertretungen zu Medikationsmanagement und Co.? Wir haben uns die Schreiben näher angesehen und einige Behauptungen einem Faktencheck unterzogen. 

Behauptung 1: 

„Nach einer Gesetzesänderung können Sie sich jetzt auch in Apotheken zu Ihrer medikamentösen Therapie beraten lassen.“ 
Patientenflyer des Hausärzteverbands Hessen

Fakt ist: 

Pharmazeutische Beratung gehört grundsätzlich zu den Aufgaben der Apotheken (§ 20 ApBetrO) und hat bereits vor Inkrafttreten des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes den Alltag in den Offizinen bestimmt. Neu sind die pharmazeutischen Dienstleistungen, darunter die Medikationsanalyse. Vorgesehen ist dabei eine vertiefende Prüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS).

Behauptung 2: 

„Die neuen Regelungen kosten nicht nur Ihre Krankenkassen 90 Euro, sie sorgen auch dafür, dass Apotheken sich in unsere fundierten ärztlichen Therapien einmischen – ohne vertiefende medizinische Kenntnisse und ohne ein entsprechendes Studium.“ 
Patientenflyer des Hausärzteverbands Hessen

Fakt ist:

Die Apothekenbetriebsordnung besagt, dass die Information und Beratung der Patienten durch die Apotheke die ärztliche Therapie nicht beeinträchtigen darf (§ 20 Abs. 2 ApBetrO). Die Medikationsanalyse beinhaltet eine AMTS-Prüfung aus pharmazeutischer Sicht. Die medizinische Bewertung der Ergebnisse und mögliche Konsequenzen daraus obliegen dem Arzt. Die nötige pharmazeutische Kompetenz erwirbt der Apotheker im Pharmaziestudium. Ohne einen entsprechenden Studienabschluss ist es nicht erlaubt, eine Medikationsanalyse anzubieten – das bezieht sich auch auf das nicht approbierte pharmazeutische Personal in den Apotheken. Zudem ist eine spezielle Fortbildung für Apotheker Pflicht.

Behauptung 3:

„Denn die Beratung umfasst lediglich in einer etwas erweiterten Form das, was die Apotheker heute schon leisten müssen und wofür sie bisher schon vergütet werden. Anders ausgedrückt: Man kann auf die Haltbarkeit eines Medikaments hinweisen oder sie ausführlich erläutern.“ 
Dr. Norbert Metke, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg

Fakt ist:

Die pharmazeutischen Dienstleistungen gehen weit über die Beratung bei der Abgabe eines Arzneimittels hinaus. Das Vorgehen bei einer Medikationsanalyse Typ 2a (Brown-Bag-Review) hat die Bundesapothekerkammer detailliert in einer Leitlinie festgehalten. Sie umfasst unter anderem:

  • Strukturiertes Erstgespräch (vgl. BAK-Arbeitshilfe Gesprächsleitfaden)
  • Brown-Bag-Analyse
  • Weitere Datenerfassung (Patientenauskunft, Arztbriefe, aktuelle Rezepte etc.)
  • Pharmazeutische Prüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit
  • Erarbeiten von Lösungsvorschlägen zu identifizierten arzneimittelbezogenen Problemen (ABP)
  • Information des Arztes über relevante ABP (schriftlicher Bericht)
  • Erstellen eines Medikationsplans
  • Abschlussgespräch mit dem Patienten
  • Dokumentation

Behauptung 4: 

„90 Euro für die Eingabe von fünf Medikamenten in eine Datenbank und ein paar ausgedruckte Blätter sind eine Unverschämtheit gegenüber uns Vertragsärztinnen und -ärzten. Gleiches gilt auch für unsere psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die für das gleiche Geld 50 Minuten arbeiten müssen.“
Kassenärztliche Vereinigung Hessen

Fakt ist:

Die Leistungsbeschreibung gemäß BAK-Leitfaden geht, wie bereits dargelegt, weit über die von der KVH genannten Tätigkeiten hinaus. Bei der Berechnung des Honorars soll sich die Schiedsstelle an der ärztlichen Vergütung orientiert und dann etwa 20 Prozent abgezogen haben. Nach Information der Deutschen Apotheker Zeitung (DAZ) hat sie dabei Erfahrungswerte aus ATHINA berücksichtigt, wonach eine Medikationsanalyse im Median rund 90 Minuten beansprucht. Damit bleibt das Apothekenhonorar für die Dienstleistungen deutlich hinter dem der Ärzte und Psychotherapeuten zurück.

Behauptung 5:

„90 Euro fürs Blutdruckmessen in der Apotheke ist ein Vielfaches, was ein niedergelassener Arzt im Quartal für die Behandlung seines Patienten erhält – egal, wie oft dieser den Patienten sieht.“
Dr. Steffen Grüner, zweiter Vorsitzender der IG Med

Fakt ist: 

Die standardisierte Risikoerfassung hoher Blutdruck wird mit 11,20 Euro netto vergütet. Nach dreimaliger Messung wird ein Mittelwert gebildet. Liegt dieser oberhalb eines definierten Grenzwerts, muss die Apotheke an den Hausarzt verweisen. Ein Honorar von 90 Euro ist für komplexe Dienstleistungen wie der erweiterten Medikationsberatung bei Polymedikation (Medikationsanalyse) und die pharmazeutische Betreuung von Organtransplantierten vorgesehen.