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Nebenwirkungen von Metamizol häufig unterschätzt?

Packung Novaminsulfon 500 mg Tabletten
Wird Novaminsulfon zu häufig verordnet? | Bild: Birgit Reitz-Hofmann / AdobeStock

Einen offiziellen Lieferengpass für Metamizol (auch bekannt als Novaminsulfon) gibt es laut Lieferengpass-Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) derzeit (Stand 11.01.2023) nicht. Wer regelmäßig in der Apotheke steht, weiß aber, dass auch diese Präparate momentan schwer zu bekommen sind. Eine „PharmazeutischeKauffrau“ auf Twitter schrieb etwa am 3. Januar: 

„#Novaminsulfon & #Metamizol bekomme ich nicht über 4 Großhändler, aber über den Pharmamall Shop bei #Zentiva. Wenn das so weiter geht, muss man ja bald jeden Stein umdrehen, um was zu finden #apotheken #apothekenwahnsinn #nichtlieferbar.“

Solange der Engpass nicht offiziell verkündet wurde, wird es wohl auch keine Empfehlungen geben, wie damit am besten umzugehen ist. Vielleicht sind die Lieferschwierigkeiten aber ein Anlass, zumindest die eine oder andere Metamizol-Verordnung kritisch zu hinterfragen. Denn im „Bulletin zur Arzneimittelsicherheit“ vom Dezember 2022 heißt es: „Die Verordnungszahlen von Metamizol sind trotz der bekannten Risiken hoch und steigen weiterhin kontinuierlich an.“

Häufig verordnet trotz bekannter Risiken 

Bereits im Jahr 2009 hatte das BfArM bei steigenden Verordnungszahlen auf die Risiken von Metamizol hingewiesen. Seit 2019 sei zudem bekannt, dass Metamizol selten zu einem lebensbedrohlichen arzneimittelbedingten Leberschaden führen kann, heißt es im Bulletin. 

Doch das hat den Verordnungszahlen in den letzten Jahren offenbar keinen Einhalt geboten. Tatsächlich soll sich „die Zahl der im ambulanten Bereich zulasten der gesetzlichen Krankenversicherungen verordneten Tagesdosen in zehn Jahren von circa 123 Millionen im Jahr 2010 auf 259 Millionen im Jahr 2020 mehr als verdoppelt“ haben. Für den stationären Bereich soll es keine konkreten Zahlen geben, doch auch dort werde Metamizol häufig verordnet. 

Metamizol nicht bei Kopf- oder Rückenschmerzen indiziert

Metamizol werde weiterhin auch bei Indikationen eingesetzt, für die der Wirkstoff nicht zugelassen ist. „Bei Kopf-, Zahn- oder Rückenschmerzen ist Metamizol nicht indiziert!“, hieß es bereits in der DAZ 2/2018. Die Anwendungsgebiete von Novalgin® lauten nach Fachinformation für Kinder und Erwachsene:

  • Akute starke Schmerzen nach Verletzungen oder Operationen,
  • Koliken,
  • Tumorschmerzen,
  • sonstige akute oder chronische starke Schmerzen, soweit andere therapeutische Maßnahmen nicht indiziert sind,
  • hohes Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht.

Risiko einer Agranulozytose schon nach kurzer Metamizol-Einnahme

Problematisch sind die steigenden Verordnungszahlen vor allem, weil mit der Zahl der Verordnungen auch die Zahl der Meldungen von Agranulozytosefällen (mit vermutetem Zusammenhang zu Metamizol) gestiegen sein soll. 

Zur Erinnerung: Was versteht man unter Agranulozytose?

Bei der Agranulozytose handelt es sich um ein Krankheitsbild, bei dem die Zahl der Granulozyten (spezielle Immunzellen, zählen zur Gruppe der Leukozyten) stark verringert ist. Typische Symptome sind Fieber, Schüttelfrost, Halsschmerzen, Schluckbeschwerden sowie Entzündung im Mund-, Nasen-, Rachen- und Genital- oder Analbereich. Bei Patienten, die Antibiotika erhalten, können diese Anzeichen allerdings minimal sein.

Bei Hinweisen auf eine Agranulozytose muss die Anwendung von Metamizol sofort abgebrochen und das Blutbild kontrolliert werden. Zudem sollte Metamizol nur in den zugelassenen Indikationen eingesetzt werden.

Auch wer Metamizol nur kurzfristig (bei Kopf-, Zahn- oder Rückenschmerzen) einnimmt, kann nicht davon ausgehen, dass er keine Agranulozytose bekommen kann. So soll eine Agranulozytose im Median 13 Tage nach Beginn der Metamizol-Einnahme auftreten.

In einigen Fällen erfolgte die Diagnose jedoch schon nach sieben Tagen. Bei Patienten, die bereits in der Vergangenheit Metamizol erhalten haben, könnte der Zeitraum sogar noch kürzer sein, heißt es im Bulletin.

„Bei jedem Verdacht auf das Vorliegen einer Agranulozytose ist die Behandlung mit Metamizol sofort zu beenden. Mit dem Abbruch der Behandlung darf nicht gewartet werden, bis die Ergebnisse einer Blutbilduntersuchung vorliegen.“

„Bulletin zur Arzneimittelsicherheit“ vom Dezember 2022

Risiko für Leberschäden unter Metamizol höher als unter Paracetamol

Was die 2020 bekannt gewordenen Leberschäden unter Metamizol angeht, heißt es im Bulletin zur Einordnung, dass eine kürzlich veröffentlichte Kohortenstudie das Risiko für einen Leberschaden bei Anwendung von Metamizol mit dem von Paracetamol verglichen hat. Grundlage war eine Datenbank mit deutschen Patientendaten. Dabei soll sich unter Metamizol ein höheres Risiko als unter Paracetamol gezeigt haben. Wird Paracetamol wie empfohlen angewendet, ist das Risiko für einen Leberschaden gering.

Wie die Agranulozytose soll auch ein Leberschaden durch Metamizol sehr selten auftreten. Doch auch hier gilt, dass dieser frühzeitig erkannt und Metamizol sofort abgesetzt werden muss. Es wird ein immun-allergischer Mechanismus vermutet.

Metamizol als Ersatz für Kinder-Fiebersaft nur bedingt geeignet

Angesichts des derzeitigen Engpasses bei Fiebersäften für Kinder ist es also keine gute Idee, auf Metamizol auszuweichen. „Zur Fiebersenkung darf es nur dann in Betracht gezogen werden, wenn andere Antipyretika keine ausreichende Wirksamkeit gezeigt haben“, heißt es im Bulletin.  

Eine parenterale Anwendung von Metamizol sollte langsam und nur bei kreislaufstabilen Patienten zum Einsatz kommen. Eine weitere bekannte, schwerwiegende Nebenwirkung von Metamizol ist nämlich eine hypotensive Reaktion – insbesondere bei parenteraler Gabe. Diese soll laut Bulletin somit nur erfolgen, wenn eine orale oder rektale Applikation nicht möglich ist. 

Nutzen-Risiko-Verhältnis weiterhin positiv

Trotz all der beschriebenen Nebenwirkungen ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Metamizol auch aus Sicht der Bulletin-Autoren weiterhin positiv zu bewerten – solange die Fach- und Gebrauchsinformationen mit ihren Kontraindikationen und Warnhinweisen berücksichtigt werden. 

Angesichts möglicher Lieferschwierigkeiten und der steigenden Verordnungszahlen lohnt es sich vielleicht dennoch, mit den Patienten die Indikation nochmals zu besprechen.