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Mit Trillerpfeifen beim Pro­testtag in Dortmund

Apothekenmitarbeitende beim Protestmarsch mit Trillerpfeifen und hängendem "A"
In Dortmund protestierten Apothekenmitarbeitende und die Ärzteschaft gemeinsam.  | Bild: IMAGO / Markus Matzel / AdobeStock

Es tröpfelt, als Thomas Rochell, Vorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe, offiziell und mit Blick in ein Meer aus Protestplakaten und Regenschirmen den Protesttag im Westen eröffnet: „Das entspricht ja unserer Stimmung.“ Dennoch freue er sich an diesem Tag gemeinsam mit den Fach- und Hausärzten, die sich dem Protest angeschlossen haben, ein klares Zeichen zu setzen. 

Protestierende sind lautstark mit dabei

Als erste Rednerin betritt anschließend Claudia Middendorf, Patientenbeauftragte der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, die Bühne. Sie mahnt: Mit dem „Einschlagen der Säulen im Gesundheitssystem“ laufe Berlin aktuell nicht nur in die falsche Richtung, vielmehr gefährde man damit die Patienten. Gesundheitskioske und Apotheken „light“ hält sie für „fatale Signale“ und rät Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dringend ein Praktikum in einer Apotheke vor Ort an.

„Kommt schon, ganz laut!“ Als Gabriele Regina Overwiening die Bühne betritt, empfängt sie lauter Jubel – der durch die Ermutigungen der Präsidentin der ABDA sowie der Apothekerkammer Westfalen-Lippe noch weiter anschwillt. Overwiening mag bei dem Protest im Westen zwar den „Heimvorteil“ haben – die Unterstützung der Anwesenden geht aber hörbar darüber hinaus.  

In ihrer Rede kommt sie dann auch rasch zum Kern der Probleme: Die Kosten steigen, die Apotheken schließen und der Gesundheitsminister habe zur Lösung dieser Probleme nur „Seifenblasen“ und „trojanische Pferde“ im Angebot, kurz Pläne, „an denen man nichts gut finden kann“. Aber: Die Apothekerschaft halte den Druck auf die Politik aufrecht, gerade durch Veranstaltungen wie heute und den Schulterschluss mit der Ärzteschaft. Und das wirke: Erste Parlamentarier werden langsam wach, so Overwiening. „An uns kommt keiner vorbei.“

Neben Apotheken ist auch die Ärzteschaft dabei

Auch die Ärzteschaft ist auf dem Podium vertreten. An dritter Stelle tritt Lars Rettstadt, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe, ans Mikrofon. Er freut sich, viele Vertreter aus den Praxen im Publikum zu sehen – auch wenn die Apothekenteams deutlich in der Überzahl sind.  

Warum es sich auch für die Ärzte und ihre Mitarbeitenden lohnt, heute zu protestieren, ist für Rettstadt klar ersichtlich. Schließlich stehen sie an vielen Stellen vor den gleichen Problemen, von denen Rettstadt besonders zwei hervorhebt: Der Nachwuchs würde lieber bei besser bezahlenden Arbeitgebern anheuern und dann ist da noch eine „Digitalisierung, die nicht funktioniert, aber für die wir haftbar gemacht werden“. Aufgabe der Politik sei es jetzt zuzuhören – und dann den Heilberuflern endlich den Respekt zu erweisen, den diese verdienen.

In diesen Aussagen dürfte sich auch Volker Schrage, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, wiederfinden, der anschließend das Wort an das Publikum richtet. „So eine erratische Politik habe ich noch nicht erlebt“, urteilt er das Haus Lauterbach ab und rät auch seinerseits dem Gesundheitsminister zu einem Praktikum – in einer Praxis. Besonders hervor hebt er die Belastung der Praxen durch die Bürokratie: 61 volle Arbeitstage im Jahr sei man hier mit der Bürokratiebewältigung beschäftigt. Abschließend warnt er die Politik vor: „Wir sind keine 100-Meter-Läufer, wir sind Langstreckenläufer. Wir bleiben dran.“

Adexa: „Wir sitzen alle im selben Boot und das Boot ist am Sinken“

Für die Apothekengewerkschaft Adexa ist Bundesvorstand Andreas May vor Ort. Er findet „Wir sitzen alle im selben Boot und das Boot ist am Sinken.“ Aus seiner Rede geht nochmal klar hervor, wie schlecht es vielen Apotheken – und damit ihrem Personal – geht.  

In der Adexa-Rechtsberatung erlebten sie derzeit häufiger, dass Sonderzahlungen gestrichen oder sogar betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden. Schließe eine Apotheke, so finde anschließend nur etwa ein Drittel der Belegschaft wieder wohnortnahe Arbeitsplätze in einer Apotheke. Ein weiteres Drittel verlasse die Branche sogar ganz. Klare Worte findet er auch zu Apotheken „light“, in denen kein Apotheker vor Ort ist: Das ist keine Stärkung der PTA, das ist Ausbeutung. Ob PTA oder approbierte Kraft, viele würden derzeit über den Ausstieg aus der Branche nachdenken. Das sei so schade, denn „wir haben einen tollen Beruf und jeden Tag großes Kino.“

Trillerpfeifendes Publikum 

Um die Arbeitssituation in den Apotheken dreht es sich auch im finalen Redebeitrag von Daniela von Nida, Inhaberin der Alten Apotheke in Groß-Zimmern. Ihr Zug aus Hessen habe sie heute um fünf vor Zwölf am Dortmunder Bahnhof abgesetzt und fünf vor Zwölf beschreibe auch die Situation vieler Apothekenteams treffend.  

Personal koste Geld und sei es auch wert, aber oft genug sei von beidem nicht genug da: „Eine Mitarbeiterin krank, eine im Urlaub: Das wird eng. Sie kennen das alle ja.“ Auch die Familienplanung wird so schnell zur wirtschaftlichen Frage. Sie selber habe sich auch nur drei Monate erkaufen können, in denen sie ganz zu Hause war. Von Lauterbach wünscht sie sich auch, dass er seine „gruselige“ Kommunikation mit der Apothekerschaft beende: So viele Termine, wie er bereits abgesagt hätte, das sei nicht tragbar.  

Abschließend stimmt Rochell die trillerpfeifende Zuhörerschaft für den Protestmarsch zum Westfalenstadion ein. Lauterbach lege eine „Arbeitsverweigerungshaltung“ an den Tag, und „das muss aufhören.“ Aber dazu sei man schließlich heute hier, um die Politik an ihre Aufgabe zu erinnern.

Drei Kilometer langer Protestmarsch

Die Sonne kam schließlich heraus, als der Protestzug vom Park der Partnerstädte durch die Stadt loszog und sich auf seinen drei Kilometer langen Weg aufmachte. Vorneweg ein riesiges Banner „Apotheken kaputtsparen? Nicht mit uns!“ Die Apothekenmitarbeitenden heizten die Stimmung ordentlich an, sie pfiffen, riefen und verteilten Informationsflyer an die überraschten Passanten und Autofahrer.

Protesttag Dortmund, Apothekenmitarbeitende halten Banner
Demonstrationszug durch die Fußgängerzone, den Westenhellweg. | Bild: IMAGO / Markus Matzel

Mit ihren Utensilien und Schildern waren sie nicht zu übersehen. Mit Sprüchen wie „Ohne Apotheke vor Ort, nur Kranke im Ort“ und „Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Falls Sie demnächst noch irgendwo einen finden“ machten sie auf die katastrophale Lage und das Apothekensterben aufmerksam.

Die Stimmen, warum sie heute gekommen sind, waren eindeutig: „Für eine Honoraranpassung.“ „Um gegen die irrsinnigen Pläne von Lauterbach zu demonstrieren.“ „Weil die Bürokratie überhandnimmt.“ „Weil es wichtig ist, dass viele beim Protest auf die Lage aufmerksam machen, um viel zu erreichen.“ „Weil sie die Apotheke lieben.“ „Weil die Versorgung im Vordergrund stehen soll und die 100 Krankenkassen und 33.000 Rabattverträge abgeschafft werden sollten.“ „Weil es mehr Anreize geben muss, um Pharmazie zu studieren und Apotheken zu übernehmen.“ […]. Die Apotheken, an denen man vorbeizog, waren alle geschlossen.  

Gut eine Stunde war der Protestzug unterwegs bis zu den Westfalenhallen, an der Dutzende Busse parkten, mit denen die Apothekenmitarbeitenden angereist waren. Auch die U-Bahnen, die zurück zum Dortmunder Hauptbahnhof fuhren, waren randvoll mit Fahrgästen, die weiße Warnwesten trugen, darauf die Aufschrift: „Apotheken stärken jetzt“. Das Signal sollte angekommen sein.