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Hörgeräte: Warum mehr Menschen sie tragen sollten

In zwei Händen liegen verschiedene Hörsysteme
Mittlerweile gibt es viele verschiedene Hörsysteme, die getragen kaum noch sichtbar sind. | Bild: Peakstock / AdobeStock 

Kaum jemand läuft ohne Brille oder Kontaktlinsen herum, wenn er schlecht sieht. Aber bei schlechtem Gehör tragen bei Weitem nicht alle ein Hörgerät. Das hat negative Folgen, die weit über das Hören hinausreichen. 

Viele Vorurteile über Hörhilfen sind inzwischen überholt, wie Hörakustiker berichten. Neueste Systeme sind nahezu unsichtbar und können dank Künstlicher Intelligenz viel mehr, als nur für besseres Gehör zu sorgen.  

Nur 7 Prozent der Betroffenen tragen Hörgeräte

Forschende der Universität Mainz hatten 2023 Daten von 5.024 Menschen ausgewertet – vom jungen Erwachsenen bis zum über 80-Jährigen. 

Dabei stellten sie fest, dass knapp die Hälfte der Teilnehmenden nach der sogenannten Hilfsmittel-Richtlinie die Voraussetzung für ein Hörgerät auf beiden Seiten erfüllte. Aber lediglich 7,7 Prozent hatten tatsächlich zwei Hörgeräte. 

Dabei war das Hörvermögen der Frauen im Schnitt besser als das der Männer. Mit zunehmendem Alter zeigte sich eine deutlich erhöhte Prävalenz der Hörstörungen.

Gründe für die Unterversorgung mit Hörgeräten

Noch immer schüren viele Menschen Vorurteile gegenüber Hörgeräten. Das weiß auch die Koblenzer Hörakustikmeisterin Eva Keil-Becker. „Früher sah man das als Stigma. Hörgeräte sahen aus wie hautfarbene Bananen.“ Diese Zeiten seien lange vorbei. 

„Moderne Hörgeräte sind Wunderwerke der Technik, die kleinsten tragbaren Computer der Welt.“

Hörakustikmeisterin Eva Keil-Becker

Die „massive Unterversorgung“ mit Hörgeräten habe aber auch einen anderen Grund, glaubt Keil-Becker: „Hörverlust ist ein schleichender Prozess. Bis man es bemerkt, dauert es im Schnitt sieben Jahre.“ 

Laut der Europäischen Union der Hörakustiker (EUHA) leiden 5,4 Millionen Menschen in Deutschland unter einer Hörminderung, darunter mehr als 500.000 Kinder. 

Gut zu wissen: Ab wann ist man schwerhörig?

Bei Schwerhörigkeit unterscheidet man verschiedene Stadien:  

  • Normalhörigkeit: Bis zu einem Abweichen der Hörfähigkeit von bis zu 20 db.
  • Geringgradige Schwerhörigkeit: Töne werden erst ab einer Schallintensität von 25 bis 40 db gehört. Das Ticken einer Armbanduhr oder Blätterrauschen werden akustisch nicht mehr wahrgenommen.
  • Mittelgradige Schwerhörigkeit: Erst Töne ab einer Schallintensität von 40 bis 60 db sind zu hören. Grundgeräusche in Wohngebieten sind nicht mehr hörbar.
  • Hochgradige Schwerhörigkeit: Hörverlust, der bei mindestens 60 db liegt. Ein Gesprächspartner ist bei normaler Sprechlautstärke nicht mehr zu verstehen.
  • An Gehörlosigkeit grenzende Schwerhörigkeit: Hörverlust von mehr als 80 db. Autorin: Ulrike Weber-Fina 

Bei Schwerhörigkeit erhöhtes Demenz-Risiko 

Wenn man schlecht hört, ist es nicht damit getan, Gesprächspartner zu bitten, deutlicher zu sprechen, oder den Fernseher lauter zu stellen. Oft gehe schlechtes Hören zum Beispiel mit Schwindel und auch Tinnitus einher, so Keil-Becker.

Wer schlecht hört, hat auch ein erhöhtes Demenz-Risiko. Eine internationale Forschergruppe listet zwölf Risikofaktoren auf, die das Alzheimer-Risiko erhöhen – Hörverlust ist einer davon. 

„Das Gehirn braucht Input“, erklärt der Leiter des Kölner Alzheimer Präventionszentrums, Frank Jessen, den Zusammenhang. Wer schlecht höre, bekomme weniger Informationen und habe dadurch ein höheres Alzheimer-Risiko. Daher sollte ein Hörgerät ebenso selbstverständlich sein wie eine Brille.

Hörverlust erfolgt schrittweise

Bei der typischen Altersschwerhörigkeit gehen zuerst die hohen Frequenzen verloren, erklärt die Hörakustikerin ihren Kunden. Im Bereich der hohen Töne liegen die meisten Konsonanten und damit der Großteil der Informationen. Von vielen Menschen hört Keil-Becker daher oft die Aussage: „Ich höre, aber ich verstehe nicht, was gesagt wird.“  

Der erste Schritt ist also, das Gehör testen zu lassen. Wird dann ein Hörgerät empfohlen, muss sich der Kunde im Klaren sein: „Es gibt kein neues Hören auf Knopfdruck“, sagt Keil-Becker. „Das ist nicht wie beim Optiker, wo man eine Brille aufsetzt und man sieht gut.“

Hörsystemanpassung ist individuell

Auswahl und Anpassung eines Hörgeräts sind nicht trivial. Denn das Angebot an Geräten ist groß und die Bedürfnisse der Kunden verschieden. Der Akustiker orientiert sich „an den drei Ks“, wie Keil-Becker erklärt: „Komfort, Klang, Kosmetik“. Wer viel in Konzerte geht oder Berufsmusiker ist, braucht optimale Tonqualität. Für Menschen, die viel Sport machen, ist es wichtig, dass das Gerät robust ist.  

Anders als bei Brillen zahlen die gesetzlichen Krankenkassen viel zu, laut Keil-Becker 700 bis 800 Euro pro Seite. Wer nichts drauflegen will, für den gibt es Basismodelle, bei denen nur eine Zuzahlung von zehn Euro pro Ohr fällig wird. 

Hörgeräte heutzutage mehr als nur Hörhilfen

Die neuesten Geräte haben zahlreiche Zusatzfunktionen – und bekommen dank KI immer weitere dazu. Viele Hörgeräte kann man auf Wunsch per App vom Handy aus steuern. Schon heute gibt es Geräte mit integriertem Fitnesstracker oder Sturzdetektor. In der Entwicklung sind Hörgeräte, die den Träger erinnern, seine Medikamente zu nehmen.  

Altersschwerhörigkeit ist eine häufige, aber nicht die einzige Indikation für ein Hörgerät. Schon Kinder und auch Neugeborene können schlecht hören. Weil der Input über die Sprache so wichtig für die Entwicklung ist, ist es nötig, Schwerhörigkeit so früh wie möglich zu erkennen und gegenzusteuern. Auch bei Tinnitus kann ein Hörgerät hilfreich sein.

Pausen von Kopfhörern schonen Gehör

Die Europäische Union der Hörakustiker empfiehlt regelmäßige Hörtestungen ab dem 50. Lebensjahr. Den Fachleuten ist neben der Aufklärung auch die Prophylaxe wichtig. 

Was Keil-Becker immer wieder auffällt: Viele junge Menschen haben gefühlt den ganzen Tag einen Kopfhörer auf oder im Ohr. Auf Dauer werde damit der Hörnerv überstrapaziert. Besser sei es, regelmäßig „Hörpausen“ einzulegen und „achtsam mit dem eigenen Gehör umzugehen“. Quelle: dpa / mia