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Autismus und ADHS: Paracetamol in der Schwan­gerschaft: Risiko fürs Kind?

schwangere Frau nimmt Tablette mit einem Glas Wasser ein
Paracetamol wird weiterhin als Mittel der Wahl während der Schwangerschaft angesehen.  | Bild: luengo_ua / AdobeStock

Paracetamol in der Schwangerschaft – was macht das Schmerzmittel mit dem Baby? Zu dieser Frage gibt es viele Studien – mit „häufig heterogenen Ergebnissen“. Über die klinische Relevanz diskutierten Fachkreise „kontrovers“, erklärt Embryotox. 

Dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie an der Berliner Charité zufolge darf in der Schwangerschaft „Paracetamol wie jedes andere wirksame Medikament nicht leichtfertig eingenommen werden“. Bestehe eine klare Indikation, so sei Paracetamol weiterhin als ein Mittel der Wahl anzusehen.

Höherer BMI und Rauchen: Häufigere Einnahme von Paracetamol

Nun gibt es weitere Daten durch eine schwedische Kohortenstudie„Acetaminophen Use During Pregnancy and Children’s Risk of Autism, ADHD, and Intellectual Disability“ , die im April 2024 im „JAMA“, dem amerikanischen Ärzteblatt, veröffentlicht wurde: Die Wissenschaftler interessierten sich dafür, ob es irgendwelche Zusammenhänge zwischen der mütterlichen Anwendung von Paracetamol (Acetaminophen) während der Schwangerschaft und Autismus, ADHS und kognitiver (geistiger) Behinderung beim Kind gibt. 

Von knapp 2,5 Millionen zwischen 1995 und 2019 in Schweden geborenen Kindern waren 185.909 (7,49 Prozent) – laut Schwangerschafts- und Verschreibungsunterlagen – in der Schwangerschaft Paracetamol ausgesetzt. Darunter gab es auch Geschwisterkinder. 

Die Wissenschaftler verfolgten die Entwicklung der Kinder im Median 13,4 Jahre (zwischen 7,6 und 19,8 Jahre) und bis Ende 2021. Ihnen fiel zunächst auf, dass Frauen mit 

  • niedrigerem sozioökonomischen Status, 
  • höherem BMI in der Frühschwangerschaft und 
  • Frauen, die während der Schwangerschaft geraucht hatten, 

häufiger Paracetamol während der Schwangerschaft angewendet hatten. Ebenso Frauen mit psychiatrischen Erkrankungen und neurologischen Entwicklungsstörungen.

Leicht erhöhtes Risiko für Autismus, ADHS, geistige Behinderung 

Insgesamt erhielten 188.929 Kinder (7,62 Prozent) die Diagnose mindestens einer neurologischen Entwicklungsstörung – 2,76 Prozent Autismus, 5,9 Prozent ADHS und 0,99 Prozent geistige Behinderung. 

Verglichen die Wissenschaftler die Nicht-Anwendung mit der Anwendung von Paracetamol in der Schwangerschaft, waren die absoluten Risiken (Rohdaten) für die neurologischen Entwicklungsstörungen der „Paracetamolkinder“ im Alter von zehn Jahren jeweils leicht erhöht: 

  • 1,33 Prozent vs. 1,53 Prozent für Autismus,
  • 2,46 Prozent vs. 2,87 Prozent für ADHS und
  • 0,70 Prozent vs. 0,82 Prozent für geistige Behinderung.

In Modellen ohne Geschwisterkontrolle konnten die Wissenschaftler die mütterliche Anwendung von Paracetamol mit einem bei den Kindern

  • um 5 Prozent erhöhten Risiko für Autismus,
  • einem um 7 Prozent erhöhten Risiko für ADHS und
  • einem um 5 Prozent erhöhten Risiko für geistige Behinderung

in Verbindung bringen. Im Alter von zehn Jahren lag der Risikounterschied bei 0,09 Prozent (Autismus), 0,21 Prozent (ADHS) und 0,04 Prozent (kognitive Behinderung).

Paracetamol: Kein erhöhtes Risiko bei Geschwisterpaaren

Gut ist in solchen Analysen, wenn Geschwister dabei sind, von denen ein Kind in der Schwangerschaft Paracetamol ausgesetzt war und das andere nicht. Vollgeschwisterpaare haben dieselben Eltern und ähnliche Umweltbedingungen, was „Störfaktoren“ minimiert. 

Interessant ist bei der aktuellen Studie, dass die Wissenschaftler beim reinen Vergleich der Geschwisterpaare sodann keinen nachteiligen Effekt von Paracetamol während der Schwangerschaft auf die neurologische Entwicklung der Kinder feststellen konnten: Die Risiken für Autismus, ADHS und geistige Behinderung waren bei den Geschwisterpaaren jeweils gleich. 

Daher überlegen die Wissenschaftler, dass vielleicht weniger die Anwendung von Paracetamol in der Schwangerschaft, sondern vielmehr familiäre Störfaktoren das Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen erhöhen.

Ist die Dosis von Paracetamol egal?

Die Wissenschaftler konnten auch kein Dosis-Wirkungs-Muster nachweisen. Das Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen scheint den Daten zufolge unabhängig von der Paracetamoldosis. Allerdings warnen die Wissenschaftler davor, dies nun als Sicherheit für alle Paracetamoldosen in der Schwangerschaft zu interpretieren.

Insgesamt schlussfolgern sie aus ihrer Studie, dass sie die Anwendung von Paracetamol während der Schwangerschaft in der Geschwisterkontrollanalyse nicht mit einem Risiko der Kinder für Autismus, ADHS oder geistige Behinderung in Verbindung bringen konnten. Das deute darauf hin, dass vielleicht familiäre Störfaktoren (Genetik) eher eine Rolle spielen könnten.