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Tag der seltenen Erkrankungen 2023: Williams-Beuren-Syndrom: Normalität wird zur Therapie 

Mika Halama ist ein normaler kleiner Junge #wiedu. Dass er eine seltene Erkrankung hat, fällt auf den ersten Blick nicht auf. | Bild: PTAheute

Etwa vier Millionen Menschen leben mit einer seltenen Erkrankung. Auch wenn die einzelnen Krankheiten sich stark voneinander unterscheiden, betreffen sie so in ihrer Gesamtheit fast fünf Prozent der deutschen Bevölkerung. Dennoch gibt es große Wissenslücken zu dem Thema, was oftmals lange und beschwerliche Wege zur Diagnose und viele weitere Herausforderungen für Betroffene bedeutet. Mehr Sichtbarkeit für seltene Erkrankungen und ein geschärftes Bewusstsein für die Situation von Menschen, die von ihnen betroffen sind – das ist das Ziel des Tages der seltenen Erkrankungen, der jedes Jahr am 28. Februar stattfindet. In diesem Jahr lautet das Motto „Menschen mit seltenen Erkrankungen erkennst du daran, dass sie genau so sind #wiedu“.

Mika hat das Williams-Beuren-Syndrom (WBS) 

Ein kleiner Mensch, der #wiedu ist, ist Mika Halama aus der Nähe von Karlsruhe. Er hat das Williams-Beuren-Syndrom. Das Syndrom ist gekennzeichnet von motorischen und sprachlichen Entwicklungsverzögerungen. Auch Wachstumsstörungen mit Kleinwuchs sind möglich. Mit der Zeit fallen beim Kind oder Jugendlichen typische Gesichtszüge auf: ein flacher Nasenrücken mit einer kolbigen Nasenspitze, Pausbacken, großer Mund mit vollen Lippen, ein schmales Kinn und oftmals Schielen. Neben den äußerlich erkennbaren Symptomen kommt es auch zu organischen Störungen. Mika hat beispielsweise keine Schilddrüse, weshalb er mit Levothyroxin substituiert wird. Äußerlich erkennt man bei Mika kaum, dass er „anders“ ist – typisch für viele seltene Erkrankungen. Vom Williams-Beuren-Syndrom sind vermutlich circa 1 von 10.000 Kindern betroffen.  

Diagnose kam in der 28. Schwangerschaftswoche 

In der 28. Schwangerschaftswoche stellte die Gynäkologin von Vanessa Halama, Mikas Mutter, fest, dass das ungeborene Kind in ihrem Bauch für die Schwangerschaftswoche zu klein sei und dass offensichtlich etwas mit dem Herzen nicht stimme. Es folgte eine Fruchtwasserpunktion und nach vier Wochen des Wartens die Diagnose, die am Ende purer Zufall war. Meist wird diese Mutation eines Gens aufgrund auftretender Symptome erst im späteren Kindesalter festgestellt. Ab diesem Moment, so die Mutter gegenüber PTAheute, bestand ihr Kind nur aus Symptomen. Da sie durch die Fruchtwasserpunktion wussten, dass das Baby ein Junge wird, entschlossen sie sich, seinen Namen preiszugeben. „Das ist Mika – unser Kind.“ Nach der Geburt wurde der Junge direkt untersucht und dann wieder zu seinen Eltern gebracht. Ab diesem Zeitpunkt, so Vanessa Halama, sei alles gut gewesen. Bei einem Versorgungsnetzwerk bekamen die Eltern nach der Geburt Unterstützung und viele Informationen sowie Kontakt zu anderen Betroffenen. Eine Heilungsmöglichkeit für den Gendefekt von Mika gibt es bisher nicht. Der Fokus liegt auf der Behandlung der Symptome, unter anderem auf der Korrektur von Herzfehlern oder Augenfehlstellungen. Auch Maßnahmen wie Krankengymnastik, Ergotherapie und Logopädie sind möglich sowie die Integration in einen normalen Alltag förderlich. 

Normalität als Therapie

Mika wird in der Kita im Bahnwinkel entsprechend seiner Fähigkeiten gefördert, aber nicht anders behandelt, als andere Kinder. „Das tut ihm gut“, so Erzieherin Johanna Kollmann. | Bild: PTAheute

Als Mika ein Jahr alt war, stellte sich für Vanessa Halama die Frage nach der Rückkehr in ihren Beruf. Sie nahm Kontakt mit vielen Kindertagesstätten auf – aber niemand war bereit, Mika aufzunehmen und während ihrer Arbeitszeit zu betreuen. Dann rief sie bei Tim Zilly, Leiter der Kita im Bahnwinkel in Pfinztal-Söllingen, an. Anders, als die anderen Einrichtungen blockte dieser nicht ab, sondern war sofort bereit, Mika eine Chance zu geben ganz normal im Kitaalltag groß zu werden. „Wir freuen uns Kinder mit Beeinträchtigungen bei uns in der Kita aufzunehmen, denn auch diese sollen zum Beginn ihre Lebens die beste Bildung und Förderung bekommen. Auch für die anderen Kinder unserer Einrichtung ist es genial, denn sie lernen so früh achtsamer und bewusster mit diesen Kindern umzugehen. Unser Anspruch ist es, die Kinder so lange wie möglich in einer „normalen“ Kita zu betreuen“, so Zilly.

Die Erzieher und auch der Träger, die evangelische Kirche, zogen mit und inzwischen ist Mika voll in den Kita-Alltag integriert und hat sehr große Fortschritte gemacht, berichten auch Erzieherin Johanna Kollmann und Klaus Reichenbacher. Er kann inzwischen laufen und auch mit dem Sprechen geht es voran. „Mika lernt viel von den anderen Kindern und natürlich auch von seinem Bruder zuhause.“ Ob Mika in Zukunft eine Regelschule besuchen kann, ist unklar. Zunächst wird er bis zu seinem vierten Geburtstag in der Krippengruppe der Einrichtung betreut und gefördert. Zusätzlich bekommt er Logopädie, Ergotherapie und demnächst eine Klangtherapie. „Mika liebt Musik!“

Williams-Beuren-Syndrom (WBS) im Überblick

  • Seltene Erkrankung aufgrund eines spontanen Gendefekts.
  • Durch Verlust eines Teils von Chromosom 7 fallen zahlreiche Gene aus.
  • Vielfältige Symptomatik mit unterschiedlichem Ausprägungsgrad, vor allem Herz- und Gefäßfehlbildungen, Bluthochdruck, Nierenfehlbildungen, intellektuelle Entwicklungsverzögerung, geistige Behinderung, typische Gesichtszüge, Musikalität, Geräuschempfindlichkeit.
  • Nicht heilbar, Behandlung von Symptomen.

Mehr Informationen zum Williams-Beuren-Syndrom finden Sie hier und beim Versorgungsnetzwerk Williams-Beuren-Syndrom