Aktuelles

In der Apotheke werden PTA mit den unterschiedlichsten Themen konfrontiert. Lesen Sie hier die tagesaktuellen News aus den Bereichen Pharmazie, Forschung, Ernährung, Gesundheit und vielem mehr. Bleiben Sie informiert, um Ihre Kunden stets kompetent zu beraten.

7 min merken gemerkt Artikel drucken

Pharmazeutische Hilfe für obdachlose Menschen

obdachloser Mann sitzt am Straßenrand, im Hintergrund laufen Menschen
Obdachlose Menschen leiden häufiger an bestimmten Erkrankungen, allerdings ist der Zugang zu medizinischer Versorgung eingeschränkt. | Bild: Halfpoint / AdobeStock

Mindestens 47.300 Menschen leben in Deutschland auf der Straße. Als gesund schätzt sich lediglich ein Drittel von ihnen ein. Die restlichen 67 % leiden an psychischen und/oder körperlichen Erkrankungen. 

Ein Arztbesuch kommt dennoch für die Hälfte der obdachlosen Menschen nicht infrage. Der häufigste Grund, der dafür angegeben wird, ist ein fehlender Versicherungsschutz (circa 17 % der auf der Straße Lebenden). Aber auch die Erfahrung oder Befürchtung, in medizinischen Einrichtungen aufgrund der Wohnungslosigkeit schlecht behandelt zu werden, hält Menschen davon ab, medizinische Hilfe aufzusuchen. Auch Scham und Sprachbarrieren führen dazu, dass Menschen ohne Wohnung keine medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. 

Bisweilen müssen sie auch andere Prioritäten setzen: Einen Schlafplatz oder Lebensmittel zu organisieren, ist oft wichtiger als der Arztbesuch. Die Gesundheit rückt in den Hintergrund.

Ganze 32.000 Menschen in Deutschland bleiben so ohne medizinische Versorgung. Das Resultat: Die mittlere Lebenserwartung von auf der Straße Lebenden beträgt gerade einmal 42 bis 52 Jahre.

Gut zu wissen: Was bedeutet wohnungs- oder obdachlos?

In Deutschland gilt als wohnungslos, wer nicht über eine physisch-baulich angemessene (das heißt bewohnbare), rechtlich abgesicherte (etwa über einen Mietvertrag) und sozial angemessene (in der beispielsweise Gäste empfangen werden können) Wohnsituation verfügt. Dies trifft auf über eine halbe Million Menschen in Deutschland zu. 

Mit über 400.000 Personen zählt die Mehrzahl von ihnen zu den „untergebrachten Wohnungslosen“, die beispielsweise in sozialen Einrichtungen leben. Weitere 60.400 wohnungslose Menschen kommen vorübergehend bei Freunden oder Verwandten unter, sie werden daher als „verdeckt wohnungslos“ bezeichnet. Mindestens 47.300 Menschen sind offen wohnungslos: sie leben auf der Straße, sind also obdachlos.

Obdachlosigkeit erhöht Risiko für Erkrankungen

Erkrankungen und Obdachlosigkeit begünstigen sich gegenseitig: Wer psychisch oder körperlich erkrankt, hat ein höheres Risiko für eine Obdachlosigkeit. Andersherum erhöht das Leben auf der Straße das Risiko für Erkrankungen.

Krank machen dabei Faktoren wie Armut und die damit verbundene mangelhafte oder einseitige Ernährungssituation, die Exposition gegenüber der Witterung, das hohe Risiko für Unfälle und auch Überfälle, der unzureichende Zugang zu Sanitäranlagen und die chronische Müdigkeit bzw. der anhaltende Stress, den diese unsichere Lage mit sich bringt. 

Auch ein Alkohol- oder Drogenmissbrauch, der von einem Teil der obdachlosen Menschen genutzt wird, um die Umstände erträglich zu machen, trägt zu der um den Faktor 2 bis 5 erhöhten Sterblichkeit erheblich bei.

Bei Obdachlosen: Häufig Infektionskrankheiten, Diabetes, Unterkühlung

Obdachlose Menschen sind überdurchschnittlich oft von Infektionskrankheiten, psychischen Erkrankungen und Substanzmissbrauch betroffen. Auch Unterkühlung (Hypothermie) und Pernionen („Frostbeulen“) sowie Verbrennungen (durch Feuer oder Attacken) treten bei obdachlosen Menschen häufiger auf. Sie sterben gerade in jungen Jahren häufiger als andere an Suizid oder an Verletzungen. 

Mit einer älter werdenden Population von obdachlosen Menschen nehmen aber auch chronische und geriatrische Erkrankungen zu, wobei diese Erkrankungen hier zehn bis 15 Jahre früher auftreten als in der übrigen Bevölkerung. 

Adipositas und Fettstoffwechselstörungen sind hingegen seltener. Bluthochdruck und Diabetes treten vergleichbar oft auf. 

In der nachfolgenden Tabelle sind Erkrankungen aufgeführt, von denen obdachlose Menschen überdurchschnittlich oft betroffen sind:

Art der ErkrankungErkrankungAnteil der BetroffenenBesonderheiten
chronische, somatische ErkrankungenHerz-Kreislauf-Erkrankungen7–37 %begünstigt durch Armut und Tabakrauch, verzerrt durch überproportional hohen Männeranteil
 Atemwegserkrankungen6–24 %begünstigt durch Tabakrauch, offenes Feuer und Feinstaub

infektiöse, somatische Erkrankungen

 

 

 

 Tuberkulose 0–8 % 
 Hepatitis17–30 % (Hep. B), 4–36 % (Hep. C) 
 HIV 0–21 % 
 parasitäre Erkrankungen 4–56 % (Skabies)Helminthose, Skabies, Pedikulose
sonstige somatische ErkrankungenVerletzungen durch Unfälle und gewalttätige Übergriffe
chronische Wunden  
Vergiftungen Ursache für ein Viertel der Todesfälle von obdachlosen Menschen

psychische Erkrankungen

 

 

 

 

 

Alkoholabhängigkeit 8–58 % 
Nikotinabhängigkeit 42–82 % 
Drogenabhängigkeit 5–54 % 
Depressionen10–16 % 
 Schizophrenie 2 % 
 Angststörungen 18 % 
Psychosen 8 % 
kognitive Einschränkungen 12 %begünstigt durch häufige Verletzungen/Stöße des Kopfes und Substanzmissbrauch

Soziale Einrichtungen als Lückenfüller für Obdachlose

Sind obdachlose Menschen jedoch betroffen, erzielen sie eine deutlich schlechtere Krankheitskontrolle als andere. Dies liegt auch an einer fehlenden medikamentösen Versorgung. Am meisten helfen würde ein sicherer Wohnsitz.

Da ein solcher in der Regel aber nicht oder nicht zeitnah gefunden werden kann, versuchen Hilfsorganisationen, die spezielle Gesundheitsangebote für wohnungslose Menschen anbieten, diese Versorgungslücke zu schließen. Etwa jeder Zehnte wohnungslose Mensch nutzt ein solches Programm. Die Behandlung hier wird oft anonym angeboten und ist kostenlos. 

Neben der medizinischen Versorgung bieten die meisten Organisationen auch noch weitere Hilfsleistungen an: eine warme Mahlzeit, ein offenes Ohr, einen Dolmetscher, eine warme Dusche oder frische Kleidung. Möglich ist dies in den meisten Fällen nur aufgrund von ehrenamtlich tätigem Fachpersonal und von Spendengeldern, die die Kosten für Materialien decken. Einige Städte bzw. Länder haben Notfallfonds eingerichtet, aus denen in dringenden Fällen Behandlungen für Personen ohne Versicherungsschutz übernommen werden können, etwa Berlin und Hamburg. Für eine regelmäßige Versorgung sind diese jedoch nicht geeignet.

Versorgung von Obdachlosen: Rolle der Apotheken

Eine im Bereich der pharmazeutischen Versorgung von obdachlosen Menschen in Deutschland tätige Organisation ist Apotheker ohne Grenzen (AoG). Diese versorgt an sieben Projektstandorten mehr als 4.500 Patienten pro Jahr (Stand 2024) mit einem niedrigschwelligen Gesundheitsangebot. 

Zu dem multidisziplinären Team gehört dabei immer ein/e Arzt/Ärztin (meist mit Kassensitz), der bzw. die auch Medikamente verordnet. Kranke mit einer gültigen Krankenversicherung erhalten hierbei reguläre Kassenrezepte. Ist hingegen kein gültiger Versicherungsschutz gegeben, müssen andere Wege eingeschlagen werden. 

Ein Teil der Versorgung kann über den Einsatz von Sprechstundenbedarf erfolgen. Darüber hinaus benötigte Medikamente und Verbandmaterialien werden auf Privatrezept verordnet. Diese können die Kranken dann in den umliegenden Apotheken einlösen. Die entstehenden Kosten bezahlt AoG aus Spendengeldern. Darüber hinaus wird den Betroffenen in den Einrichtungen von AoG auch Unterstützung bei der (Wieder-)Aufnahme in die Krankenversicherung angeboten.

Apotheken spielen in dieser Versorgungskette gleich an zwei Punkten eine wichtige Rolle: Dies sind zum einen die Mitarbeitenden der Apotheken, in denen die Rezepte eingelöst werden, und zum anderen die Apotheker von AoG. Diese führen – je nach Projektstandort – Medikationsanalysen oder sogar Impfungen durch, übernehmen das Lagermanagement in den Einrichtungen und bieten Schulungen (z. B. Wechselwirkungen von Arzneimitteln mit Hitze oder Alkohol) an. Ebenso beraten sie die Ärzte bei der Auswahl von Arzneimitteln.

Gut zu wissen: Welche Arzneimittel sind für wohnungslose Menschen (un-)geeignet?

  • Es empfiehlt sich eine Abgabe kleiner Packungsgrößen, da so der Schaden im Fall von Verlust oder Diebstahl geringer ausfällt.
  • Menschen ohne Unterkunft profitieren von möglichst einfachen Therapieschemata. Wo möglich, sollten Wirkstoffe gewählt werden, bei denen eine Einnahme einmal am Tag ausreicht.
  • Wer bei der Beratung kognitive Einschränkungen bemerkt, kann seine Beratung dahingehend anpassen, dass die Informationen in möglichst kleinen Portionen und einfache Sprache verpackt und bei Bedarf mehrfach wiederholt werden.
  • Weiterhin sollte möglichst auf solche Wirkstoffe verzichtet werden, die aufgrund ihrer Pharmakokinetik gemeinsam mit einer Mahlzeit eingenommen werden müssen. Eine solche steht wohnungslosen Menschen nicht immer zur Verfügung.
  • Die Aufbewahrung von kühlpflichtigen Arzneimitteln stellt für wohnungslose Menschen eine besonders große Herausforderung dar. Diese sollten daher nach Möglichkeit vermieden werden.
  • Wirkstoffe, bei denen eine regelmäßige (Spiegel-)Kontrolle nötig ist, sollten nur für Patienten verschrieben werden, bei denen eine kontinuierliche medizinische Versorgung gewährleistet werden kann.
  • Weiterhin sollten möglichst keine Präparate eingesetzt werden, bei denen ein Abhängigkeits- oder Missbrauchspotenzial besteht. Dazu zählen auch alkoholhaltige Säfte.