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gut beraten: Update Melatonin: Wenn es dunkel wird

Melatonin ist bekannt als Schlaf- oder auch Dunkelheitshormon, da seine Freisetzung abhängig von der Umgebungshelligkeit erfolgt. Das Hormon wird in der Zirbeldrüse im Mittelhirn produziert, ausgehend von der Aminosäure Tryptophan über Serotonin als Zwischenstufe.

Melatonin und der zircadiane Rhythmus

Den Impuls dazu, Melatonin freizusetzen, gibt der Hauptzeitgeber des Körpers, auch als „Master Clock“ bezeichnet – die innere Uhr, die einen zircadianen Rhythmus von circa 24 Stunden vorgibt. Dieser wiederum wird teilweise, aber nicht ausschließlich, durch das Tageslicht beeinflusst. Licht hemmt die Melatoninbildung, diese Hemmung wird mit einsetzender Dunkelheit aufgehoben. In den folgenden Stunden steigt die Melatoninmenge im Blut auf das bis zu Zehnfache an. Ab einem bestimmten Schwellenwert bekommen die Körperzellen signalisiert: Schaltet auf Nacht um. Melatonin fungiert also als Taktgeber, der die Körperprozesse an den Tag-Nacht-Rhythmus anpasst. Durch seinen Einfluss wird der Mensch müde, einige Funktionen werden heruntergefahren, andere aktiviert. So fördert Melatonin beispielsweise Regenerationsprozesse und wirkt antioxidativ. Trifft am Morgen Tageslicht auf die Netzhaut, wird die Melatoninproduktion gebremst. Stattdessen produzieren die Nebennieren vermehrt Cortisol, das den Körper in den Wachzustand versetzt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Melatonin ist ein körpereigenes Hormon, das Körperprozesse an den zircadianen Rhythmus anpasst.
  • Arzneimittel mit Melatonin sind für Kinder und Jugendliche beziehungsweise für Menschen ab 55 Jahren zugelassen.
  • Melatonin wird nicht generell als Schlafmittel empfohlen, kann in bestimmten Fällen aber sinnvoll sein.
  • Langzeitstudien zu Melatonin stehen noch aus.

Fehler im System

Diese komplexe Regulierung des Schlaf-Wach-Rhythmus kann leicht durcheinandergeraten. Das passiert zum Beispiel durch Störungen wie Zeitverschiebung oder Schichtarbeit, aber auch bei Stress, da dann ebenfalls Cortisol freigesetzt wird. Insbesondere bei älteren Menschen kann die Melatoninproduktion in der Zirbeldrüse beeinträchtigt sein. Es wird vermutet, dass dies mit Kalkablagerungen in der Zirbeldrüse zusammenhängen könnte, die im Alter verstärkt auftreten. Auch einige neurologische Erkrankungen sind mit einer veränderten Freisetzung des Hormons verbunden, in diesem Zusammenhang wird der Einsatz von Melatonin zum Beispiel bei der Alzheimerkrankheit diskutiert.

Außerdem gibt es Erkrankungen, bei denen, genetisch bedingt oder als Folge einer Grunderkrankung, der zircadiane Rhythmus gestört ist und die Melatoninfreisetzung zu einem falschen Zeitpunkt erfolgt. Dann kann eine medikamentöse Behandlung mit Melatonin in Erwägung gezogen werden.

Arzneimittel für Kinder und ältere Menschen

Als Arzneimittel ist Melatonin zum einen zur kurzzeitigen Behandlung von Schlafstörungen bei Patienten ab 55 Jahren zugelassen (z. B. in Circadin, Evoqi, jeweils mit 2 mg Melatonin), zum anderen in Dosierungen von 1 und 5 mg (z. B. in Slenyto) für Kinder und Jugendliche von zwei bis 18 Jahren mit Autismus-Spektrum-Störung und / oder dem Smith-Magenis-Syndrom. Bei Letzterem handelt es sich um eine seltene genetische Erkrankung, die unter anderem mit einer veränderten Melatoninausschüttung verbunden ist. Darüber hinaus kann der Einsatz von Melatonin laut der Einschätzung von Fachgesellschaften wie etwa der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin bei Kindern und Jugendlichen mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) sowie verschiedenen neurologischen Erkrankungen sinnvoll sein.

Rechtzeitig einnehmen

Die für Erwachsene vorgesehenen Zubereitungen mit 2 mg Melatonin sollen einmal täglich eingenommen werden, und zwar nach der letzten Mahlzeit, etwa ein bis zwei Stunden vor dem Zubettgehen. Die Einnahme von Circadin, Evoqi und Co. ist für einen Zeitraum von maximal 13 Wochen vorgesehen.

Slenyto kann in Dosierungen zwischen 2 und 10 mg eingesetzt werden, diese werden einmal täglich zu oder nach der letzten Mahlzeit eingenommen, eine halbe bis eine Stunde vor dem Schlafengehen. Falls die Patienten diesen Zeitpunkt verpassen, können sie die Tablette noch bis zum Zubettgehen einnehmen, danach nicht mehr. Für Slenyto ist keine begrenzte Anwendungsdauer vorgegeben. Die Empfehlung lautet stattdessen, regelmäßig zu überprüfen, ob die Behandlung noch sinnvoll ist.

Bei den genannten Fertigarzneimitteln handelt es sich um Retardtabletten, die dementsprechend als Ganzes geschluckt werden müssen – sonst hält die Wirkung nicht lange an. Als nicht retardierte – und dementsprechend kürzer wirksame – Formulierung steht im Neuen Rezeptur-Formularium (NRF) die Melatonin-Suspension 2 mg / ml (NRF 17.6.) zur Verfügung. Sie kommt in erster Linie bei Kindern zum Einsatz und kann neben Schlafstörungen auch bei Angstzuständen vor medizinischen Eingriffen eingesetzt werden. Bei der Abgabe ist darauf hinzuweisen, dass es sich um eine Suspension handelt, die vor jeder Gabe geschüttelt werden muss.

Nicht mit Alkohol

Wichtig ist, dass Melatonin nicht zusammen mit Alkohol eingenommen wird, da dieser die schlaffördernde Wirkung verringern kann. Dagegen kann Melatonin die Wirkung von Schlaf- und Beruhigungsmitteln wie Benzodiazepinen oder Z-Substanzen wie Zolpidem oder Zopiclon verstärken und unter Umständen das Reaktionsvermögen zusätzlich einschränken. Auch Wechselwirkungen mit weiteren Wirkstoffen wie dem Antidepressivum Fluvoxamin oder auch Estrogenen sind zu beachten. Ein Vorteil von Melatonin gegenüber vielen Schlafmitteln liegt darin, dass bei korrekter Einnahme die Schlafphasen und die Leistungsfähigkeit am Tag nicht beeinträchtigt werden. Auch ist keine körperliche Abhängigkeit mit Entzugssymptomen zu erwarten.

Zumeist wird Melatonin gut vertragen. Als Nebenwirkungen treten vor allem Kopfschmerzen, Schwindel oder Magen-Darm-Beschwerden auf, auch Veränderungen von Blutdruck, Herzfrequenz oder Glucosestoffwechsel wurden beobachtet. Um langfristige Folgen einer Melatonineinnahme zu beurteilen, liegen jedoch noch nicht ausreichend Studienergebnisse vor.

Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel?

Die Arzneimittelverschreibungsverordnung äußert sich zu Melatonin eindeutig: Der Wirkstoff ist in der Anlage 1 gelistet, die verschreibungspflichtige Stoffe und Zubereitungen enthält, und zwar ohne Ausnahme, also unabhängig von der Wirkstoffmenge. Vor diesem Hintergrund erscheint es widersprüchlich, dass in den letzten Jahren eine ganze Reihe Melatoninprodukte den Markt erobert hat, die ohne Rezept erhältlich sind. Im Handel befinden sich unter anderem Sprays (z. B. Dr. Theiss Melatonin Einschlaf-Spray, Baldriparan Einschlaf-Spray) und Schmelztabletten (z. B. Cefanight Schmelz-Tabs, Dr. Theiss Melatonin Einschlaf-Schmelztabletten), die unterschiedliche Mengen Melatonin enthalten. Auch Kombinationen mit pflanzlichen Sedativa (z. B. in Lunalaif, Zzzquil) sowie Mehrphasenpräparate mit Depot-Effekt (z. B. Oyono Nacht Tabletten, Dr. Theiss Melatonin Ein- & Durchschlaf-Tabletten) stehen zur Verfügung. Bei diesen Produkten handelt sich nicht um Arznei-, sondern um Nahrungsergänzungsmittel, also letztendlich Lebensmittel.

Zwei erlaubte Health Claims

Auch Nahrungsergänzungsmittel unterliegen gewissen Vorgaben. Sie dürfen nur mit gesundheitsbezogenen Aussagen („Health Claims“) beworben werden, wenn diese in der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (Health Claims) der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit gelistet sind. Für Melatonin sind das diese beiden:

„Melatonin trägt zur Linderung der subjektiven Jetlag-Empfindung bei“ (nur für Produkte mit mindestens 0,5 mg Melatonin je angegebene Portion) und „Melatonin trägt dazu bei, die Einschlafzeit zu verkürzen“ (nur für Produkte mit mindestens 1 mg Melatonin je angegebene Portion).

Hilft das wirklich?

Auch wenn die gesundheitsbezogenen Aussagen eine Wirkung nahelegen, wird Melatonin etwa in der Leitlinie zu nicht erholsamem Schlaf / Schlafstörung nicht allgemein als Schlafmittel empfohlen. Dort stehen an erster Stelle die nicht medikamentösen Maßnahmen zur Schlafhygiene. Zu diesen zählen unter anderem, nach dem Mittag keine coffeinhaltigen Getränke mehr zu sich zu nehmen, Alkohol zu meiden und abends keine schweren Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Auch regelmäßige körperliche Aktivität, das Einführen eines persönlichen Einschlafrituals sowie eine angenehme Atmosphäre im Schlafzimmer können einen gesunden Schlaf unterstützen. Zudem sollte vermieden werden, nachts auf den Wecker oder die Armbanduhr zu schauen. Werden diese Maßnahmen nicht eingehalten, ist auch durch Melatonineinnahme keine Verbesserung zu erwarten. Gleiches gilt bei psychisch bedingten oder durch Medikamente hervorgerufenen Schlafstörungen sowie für Patienten, die eigentlich gesund sind und genug Melatonin produzieren, aber einfach gerne ein bisschen besser schlafen möchten.

Wann kann Melatonin empfohlen werden?

Helfen kann Melatonin unter Umständen dann, wenn die Schlafprobleme tatsächlich auf einer Störung des zircadianen Rhythmus oder auf einer verminderten körpereigenen Melatoninproduktion beruhen. Raucher haben ebenfalls einen erhöhten Bedarf an Melatonin, da Nikotin den Abbau des Hormons beschleunigt. Allerdings sollte der Fokus dann eher darauf liegen, nicht mehr zu rauchen; es ist nicht sinnvoll, Melatonin zuzuführen und die Wirkung durch Rauchen dann gleich wieder zu reduzieren. Auch Alkohol sollte vermieden werden, da er den Effekt von Melatonin vermindert.

Bewährt hat sich der Einsatz von Melatonin zudem bei Jetlag, schließlich kann es dem Körper dabei helfen, in den neuen Takt zu kommen. Auch Schichtarbeiter können unter Umständen von Melatonin profitieren, um zum Beispiel nach einer Nachtschicht besser schlafen zu können. Allerdings ist die Datenlage hierzu noch nicht eindeutig, außerdem wird die Frage diskutiert, ob die Einnahme dann morgens oder, dem körpereigenen Rhythmus entsprechend, abends erfolgen soll.

Wie erkläre ich es meinen Kunden?

  • „Der Arzt hat Ihnen diese Tabletten mit Melatonin verordnet. Nehmen Sie sie jeden Abend etwa eine Stunde vor dem Schlafengehen ein. Ganz wichtig ist, dass Sie dann keinen Alkohol trinken, denn sonst wirken die Tabletten nicht so gut.“
  • „Ja, dieses Spray wird im Moment viel beworben. Bei vielen Menschen kann Melatonin tatsächlich helfen, aber nicht bei jedem. Das hängt sehr davon ab, was die Ursache für die Schlafstörungen ist.“

Dem Hype sachlich begegnen

Zu berücksichtigen ist, dass Melatonin in den meisten Nahrungsergänzungsmitteln in der Regel keine verzögerte Wirkung hat. Die Halbwertszeit des Hormons liegt bei 30 bis 60 Minuten, maximale Plasmaspiegel werden nach etwa 40 Minuten erreicht. Daher wirken diese Präparate nur kurz und eignen sich nicht zur Behandlung von Durchschlafstörungen. Die Einnahme sollte kurz vor dem Schlafengehen erfolgen. Bei Kombinationspräparaten mit Phytopharmaka ist auch auf die Menge der enthaltenen pflanzlichen Inhaltsstoffe zu achten – diese liegen häufig unter den empfohlenen Dosierungen.

Auch wenn Melatoninpräparate gesunden Schlaf unterstützen können, sie in der Regel gut vertragen werden und Melatonin eine körpereigene Substanz ist, sollte nicht vergessen werden, dass es sich bei Melatonin um ein Hormon handelt, das verschiedene Körperprozesse beeinflusst. Studien zu langfristigen Wirkungen stehen noch aus.

Dr. Katrin Elshoff

Apothekerin,

Journalistin (DJK)

Stade

autor@ptaheute.de