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mehr wissen: Epilepsie: Zu viele Signale

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung des Gehirns, von der etwa ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland betroffen sind. Sie tritt meist im frühen Kindesalter, vor dem 20. Lebensjahr und im hohen Erwachsenenalter nach dem 60. Lebensjahr auf. Die Erkrankung kann unter anderem Folge eines Schlaganfalls, von Durchblutungsstörungen im Gehirn oder eines Hirntumors sein. Epileptische Anfälle können aber auch durch extremen Schlafentzug, wiederholten Alkoholabusus, Fotostimulation oder bestimmte Medikamente ausgelöst werden.

Ganz unterschiedlich

Ein epileptischer Anfall entsteht durch eine Überaktivität der Nervenzellen im Gehirn. Man unterscheidet fokale Anfälle und generalisierte Anfälle, wobei ein fokaler Anfall auch in einen generalisierten Anfall übergehen kann. Der fokale Anfall geht von einem begrenzten Teil des Gehirns aus und äußert sich zum Beispiel durch Wahrnehmungsstörungen wie das Sehen von Blitzen in einer Gesichtsfeldhälfte oder Déjà-vu-Erlebnissen (der Patient meint, er habe etwas schon einmal erlebt). Ebenso ist es möglich, dass Betroffene Bewegungsstörungen wie Zuckungen der Gliedmaßen zeigen.

Beim generalisierten Anfall sind dagegen beide Hirnhälften betroffen. Bewusstseinspausen von fünf Sekunden und länger sind möglich. Ein großer, generalisierter Anfall (Grand-mal-Anfall) kann bis zu fünf Minuten andauern. Man spricht auch von einem tonisch-klonischen Anfall, da sich der Patient zu Beginn des Anfalls verkrampft und es dann im weiteren Verlauf zu rhythmischen Zuckungen des Körpers kommt. Der Betroffene ist bewusstlos, hat oft starre Augen mit verengten Pupillen, der Speichelfluss ist verstärkt und seine Atmung setzt kurzzeitig aus. Die Gefahr gefährlicher Stürze oder Verletzungen, wie ein Biss auf die eigene Zunge, ist hoch. Nach einem Anfall schlafen Betroffene häufig, sind benommen und/oder leiden noch unter Sprach- und Gedächtnisstörungen oder Muskelkater. Es kann Tage dauern, bis sich der Patient von einem Anfall erholt hat. Junge Menschen erholen sich schneller als ältere Patienten.

Das Wichtigste in Kürze

  • Bei einem epileptischen Anfall kommt es plötzlich zu einer gleichzeitigen elektrischen Entladung der Nervenzellen mit Bewegungs- und zum Teil auch Bewusstseinsstörungen.
  • Es gibt verschiedene Arten der Epilepsie und dementsprechend unterschiedliche Therapieoptionen. Etwa 70 Prozent der Patienten lassen sich mit Antiepileptika gut behandeln, aber nicht heilen.

Notfälle

Die meisten epileptischen Anfälle dauern nicht länger als zwei Minuten und sind für das Gehirn nicht schädlich. Trotzdem können epileptische Anfälle auch ein Notfall sein. Selten, meist bei einem generalisierten Anfall, kann es zu Herz-Kreislauf-Versagen kommen, dem Phänomen SUDEP (sudden unexpected death in epilepsy) – ein plötzlicher, unerwarteter Tod bei Epilepsie. Ein weiterer Notfall ist der Status epilepticus, bei dem mehrere epileptische Anfälle rasch hintereinander erfolgen. Er kann lebensbedrohlich werden. Der Notarzt spritzt sofort ein Benzodiazepin. Ist eine intravenöse Anwendung nicht möglich, kann der Wirkstoff auch über die Wangentasche (bukkal), intranasal oder rektal appliziert werden.

Richtige Diagnose

Die Diagnosestellung ist nicht leicht und es kommt häufig zu Überdiagnosen, da psychogene, nicht epileptische Anfälle (PNEA) ähnliche Symptome zeigen. Ebenso können äußere Faktoren, wie beispielsweise Lichtreize und Schlafentzug, einen Krampfanfall auslösen. Auch eine einfache Ohnmacht, eine Unterzuckerung oder Hirnhautentzündung können mit Symptomen einhergehen, die einem epileptischen Anfall ähneln. Der Arzt muss abklären, ob der Anfall provoziert wurde oder ob etwas anderes dahintersteckt. Die genaue Diagnosestellung erfolgt durch den Neurologen. Eine Blutuntersuchung, ein EEG (Elektroenzephalogramm), möglichst in den ersten 24 Stunden, und ein MRT (Magnetresonanztomogramm) des Gehirns innerhalb weniger Tage nach dem ersten Anfall sind wichtige Entscheidungshilfen für die weitere Therapie.

Therapieoptionen

Ist die Ursache bekannt und wird eine Epilepsie diagnostiziert, gibt es verschiedene Therapiemöglichkeiten. Etwa 70 Prozent der Patienten sprechen auf eine medikamentöse Therapie mit Antiepileptika an. In manchen Fällen kommt ein chirurgischer Eingriff infrage. Das MRT liefert Informationen über den Bereich im Gehirn, der für die Anfälle verantwortlich ist, und Spezialisten ermitteln, ob dieser entfernt werden kann. Eine Heilung ist dann möglich.

Das richtige Arzneimittel

Welche Arzneimittel zum Einsatz kommen, hängt von vielen Faktoren ab. Nicht allein die Epilepsieform ist von Bedeutung, auch die möglichen Nebenwirkungen der Medikamente, die Verträglichkeit, das Alter des Patienten, die Art und Häufigkeit der Anfälle, ein eventueller Kinderwunsch und nicht zuletzt die Frage, wie sehr die Anfälle die Lebensqualität des Betroffenen beeinträchtigen, spielen bei der Auswahl eine bedeutende Rolle. Bei leichten, seltenen Anfällen wird eine Medikation wenig Vorteile haben. Besteht jedoch ein erhöhtes Risiko für weitere Anfälle, ist es sinnvoll, bereits nach dem ersten Anfall mit der Einnahme anfallblockierender Antiepileptika zu beginnen. Diese unterdrücken die Krämpfe, indem sie die Krampfschwelle durch Hemmung der Erregbarkeit von Neuronen erhöhen. Sie wirken somit symptomatisch, können die Epilepsie jedoch nicht heilen. Je nach Antiepileptikum wird die Wirkung erregender Neurotransmitter wie Glutamat oder Aspartat gehemmt oder die Wirkung hemmender Neurotransmitter wie Gamma-Aminobuttersäure (GABA) verstärkt. Wieder andere wirken durch eine Blockade der spannungsabhängigen Natrium -und Calciumkanäle. Meist müssen Antiepileptika lebenslang eingenommen werden, um erneute Anfälle zu verhindern. Eine medikamentöse Therapie ist nicht erforderlich, wenn der Patient weniger als zwei leichte Anfälle pro Jahr erleidet, die die Lebensqualität nur wenig einschränken.

Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall

Kommt es zu einem epileptischen Anfall, sollten gefährliche Gegenstände in der Nähe des Patienten entfernt und der Betroffene aus einer Gefahrenzone (z. B. Straße) gebracht werden. Als Verletzungsschutz kann man eine weiche Unterlage (z. B. Jacke) unter den Kopf legen und Treppen und Kanten absichern. Dauert der Anfall länger als fünf Minuten oder reihen sich mehrere Anfälle hintereinander, muss der Notarzt gerufen werden. Ist der Patient so weit gesichert und lässt die Situation es zu, kann die Dauer des Anfalls gestoppt und der Anfall selbst gefilmt werden. Dies ist für die spätere Diagnosestellung hilfreich.

Wie erfolgt die Einstellung?

Begonnen wird die Therapie mit einem Wirkstoff, anfangs in niedriger Dosierung. Spricht der Patient nicht darauf an, kann zunächst die Dosis erhöht werden. Hilft auch das nicht, wird ein anderes Antiepileptikum eingesetzt. Kommt es nicht zur Anfallsfreiheit, kann eine Kombinationstherapie mit zwei Wirkstoffen unterschiedlicher Wirkmechanismen versucht werden. Zu bedenken ist jedoch, dass sowohl die Nebenwirkungen als auch die Gefahr von Wechselwirkungen zunehmen werden. Bei etwa 50 Prozent der Patienten wird bereits mit dem ersten Medikament Anfallsfreiheit erreicht.

Laut Empfehlung der S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie werden zur Monotherapie Lamotrigin, Lacosamid, Levetiracetam, Carbamazepin, Gabapentin, Topiramat, Valproinsäure, Phenytoin, Oxcarbazepin oder Zonisamid angewendet. Zur Kombinationstherapie werden Levetiracetam, Perampanel, Pregabalin, Lacosamid oder Eslicarbazepinacetat eingesetzt.

Generell ist darauf zu achten, dass immer, egal ob zum Beispiel Generikum oder Original, dasselbe Präparat verwendet wird, da durch unterschiedliche Wirkstoffkonzentrationen im Blut ein Anfall ausgelöst werden kann. Der Patient muss die Antiepileptika regelmäßig einnehmen, damit durch plötzliches Absetzen kein Anfall provoziert wird. Um das zu gewährleisten, kann eine Erinnerungsfunktion des Handys hilfreich sein.

Nebenwirkungen

Typische Nebenwirkungen der meisten Antiepileptika sind Schwindel, Müdigkeit und Störungen der Bewegungskoordination (Ataxie). Einige Medikamente beeinträchtigen das Gedächtnis und führen zu Gewichtszunahme. Weiterhin kann es zu sexuellen Funktionsstörungen und zu Libidoverlust kommen. Aufgrund ihrer Teratogenität sollten Valproinsäure und Phenobarbital in der Schwangerschaft nicht eingenommen werden. Einige Antiepileptika können zu einer Enzyminduktion führen und dadurch ihre eigene Wirksamkeit und die Wirksamkeit anderer Arzneimittel wie Immunsuppressiva, Zytostatika, hormonelle Kontrazeptiva und Warfarin herabsetzen. Andere erhöhen bei langjähriger Einnahme das Osteoporoserisiko.

Absetzen möglich?

Die Entscheidung, wann und ob ein Antiepileptikum abgesetzt wird, sollte immer nur mit ärztlichem Rat getroffen werden. Entscheidend ist das Risiko für einen Rückfall. Ist der Patient schon lange anfallsfrei, zeigt sich im EEG keine erhöhte Anfallsneigung und nimmt der Patient nur ein niedrig dosiertes Medikament ein, kann ein Versuch unternommen werden. Dazu wird die Medikamentendosis über zwei bis drei Monate schrittweise reduziert. Der Patient und die Angehörigen müssen über das richtige Verhalten bei einem erneuten Anfall und über weitere Konsequenzen für den Beruf und die Fahrtauglichkeit aufgeklärt werden.

Epilepsie im Alltag

Epilepsie beeinträchtigt die Lebensqualität im Berufs- und Freizeitleben und kann sowohl die psychische Gesundheit als auch die Hirnleistung beeinflussen. Für die meisten Patienten ist es möglich, mit dem Flugzeug zu reisen, doch ist bei einigen Fluggesellschaften ein ärztliches Attest mit Angabe der Epilepsieform und der verordneten Medikamente erforderlich. Sicherheitshalber sollte der Patient einen ausreichenden Vorrat der benötigten Medikamente möglichst im Handgepäck mitnehmen, falls Gepäckstücke verloren gehen. Bei Fernreisen ist darauf zu achten, dass der Schlaf-wach-Rhythmus durch die Zeitverschiebung verändert ist, daher sollte der normale Rhythmus möglichst nicht abrupt umgestellt werden.

Sport fördert das Wohlbefinden, vertieft die Atmung und hemmt somit Anfälle. Die Epilepsieform sowie die Häufigkeit der Anfälle bestimmen die Sportart. Der Patient sollte auf die Gefahr des Ertrinkens beim Schwimmen (auch in der Badewanne) hingewiesen werden. Es empfiehlt sich die Begleitung eines erfahrenen Schwimmers, der über entsprechende Erste-Hilfe-Maßnahmen unterrichtet ist.

Die meisten Patienten sind auch beruflich in ihrer Leistungsfähigkeit kaum eingeschränkt. Gibt es Risiken durch Anfälle am Arbeitsplatz, muss eine Gefährdungsbeurteilung erfolgen und die Tätigkeiten müssen eventuell angepasst werden. Der Konsum von Alkohol und Drogen sollte konsequent vermieden werden.

Wie erkläre ich es meinen Kunden?

  • „Nehmen Sie das Antiepileptikum regelmäßig ein, damit durch plötzliches Absetzen kein Anfall ausgelöst werden kann. Eine Erinnerungsfunktion des Handys kann Ihnen dabei helfen.“
  • „Achten Sie darauf, dass Sie immer das gleiche Medikament, also immer vom gleichen Hersteller, verordnet und ausgehändigt bekommen. Ansonsten kann es zu einer unterschiedlichen Wirkstoffkonzentration im Blut kommen, was einen Anfall auslösen kann.“

Autofahren?

Menschen mit Epilepsie dürfen unter bestimmten Voraussetzungen fahren. Es gibt zwei Fahrerlaubnisgruppen. Die Regeln für das Fahren eines PKWs sind weniger streng als beispielsweise die Regeln für das Fahren eines LKWs oder eines Taxis. Demnach kann der Patient nach einem einzigen Anfall (z. B. Anfall durch Schlafmangel, Fieberkrampf) ohne generell erhöhtes Anfallsrisiko die Fahrtauglichkeit für den PKW nach drei Monaten Anfallsfreiheit wiedererlangen – bei der Diagnose Epilepsie allerdings frühestens nach einem Jahr Anfallsfreiheit. Ein Taxifahrer, der Antiepileptika einnimmt, erhält dagegen keine Fahrtauglichkeit. Ein ärztliches Gutachten, das die Fahrtauglichkeit bescheinigt, ist Voraussetzung, um den Führerschein zurückzuerlangen. •

Matthias Bauer

Apotheker

Freudenberg

autor@ptaheute.de