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Leseprobe PTAheute 07/2022: Postpartale Depression: „Aber freu dich doch …“

Foto: Matt Walsh – unsplash.com

Ein neues Leben entsteht – Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sind sehr einschneidende Ereignisse im Leben einer Frau, die auch eine große Herausforderung für die Psyche darstellen. Das frühere Leben wird auf den Kopf gestellt. Aus der Zweierbeziehung mit dem Partner wird plötzlich eine Familie, der Körper verändert sich und der Schlafmangel zehrt an Körper und Geist. 

Dies sind nur einige Gründe, warum das Risiko für die Entwicklung einer psychischen Erkrankung kurz nach der Geburt um das 35-Fache und im ersten Lebensjahr des Kindes immer noch um das 20-Fache erhöht ist. Und doch suggerieren Medien und Gesellschaft oft, dass frischgebackene Mütter immer glücklich sein müssten. In der Realität sieht es häufig anders aus: 10 bis 15 % aller Mütter erkranken in den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt an einer postpartalen Depression.

Nur der Blues?

Der sogenannte Babyblues in den ersten Tagen nach der Geburt kommt noch häufiger vor, es trifft mehr als jede zweite Mutter. Plötzlich sind die Frauen tieftraurig oder gereizt, weinen ohne erkennbaren Anlass und sind das personifizierte heulende Elend. Deswegen werden die Tage des Babyblues auch oft als „Heultage“ bezeichnet. Für diese Heultage sind neben der neuen Lebenssituation hauptsächlich die Hormone verantwortlich, deren Spiegel nach der Geburt des Kindes teilweise stark schwanken. 

Glücklicherweise sind diese Stimmungsschwankungen kurz nach der Geburt selbstlimitierend, das heißt, auch ohne Behandlung geht es den Betroffenen nach wenigen Stunden bis Tagen besser. Den betroffenen Müttern helfen in dieser Situation viel Verständnis, Zuwendung und Unterstützung durch Partner und Krankenhauspersonal.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die emotional und körperlich anstrengende Zeit rund um die Geburt des Kindes begünstigt die Entstehung psychischer Erkrankungen. 10 bis 15% aller Frauen erkranken in den Wochen post partum (nach der Geburt) an einer sogenannten Wochenbettdepression.
  • Während der häufigere Babyblues meist nur Stunden dauert und ohne Therapie vorübergeht, dauert eine postpartale Depression längere Zeit an und benötigt eine professionelle Therapie.
  • Eine Erkrankung der Mutter beeinträchtigt die Interaktion mit dem Baby und damit auch seine altersgerechte motorische und geistige Entwicklung. Eine Behandlung der Mutter nützt somit der langfristigen Gesundheit beider, Mutter und Kind.

Mehr als nur traurig 

Manchmal bleiben aber Trauer, Antriebslosigkeit oder Interessensverlust (auch am Kind) bestehen oder treten nach einiger Zeit wieder für längere Zeit auf. Dies sind erste wichtige Anzeichen, dass sich eine postpartale Depression entwickelt hat. 

Auch starke Erschöpfungszustände, Schuldgefühle und Versagensängste sind häufige Symptome der sogenannten Wochenbettdepression. Leider wird diese Erkrankung immer noch viel zu selten erkannt und adäquat behandelt. Viele Frauen schweigen aus Scham und trauen sich nicht, über ihre Gefühle zu sprechen. 

Oder sie sprechen ihre Gefühle an und bekommen kein Verständnis von ihrer Umgebung. Sie fühlen sich oft als schlechte Mütter, die nicht in der Lage sind, sich gut um ihr Kind zu kümmern. Dies verursacht Schuldgefühle, die die Depression verstärken und die Erkrankung immer weiter verschlimmern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Symptome meist erst nach der Entlassung aus der Klinik auftreten. Dabei ist gerade die frühzeitige und adäquate Therapie einer Wochenbettdepression sehr wichtig für die lebenslange Gesundheit von Mutter und Kind.

Hilfe für beide

Depressive Mütter sind oft in ihrer verbalen und nonverbalen Kommunikation eingeschränkt: Sie reden und interagieren weniger mit ihren Babys. Kinder depressiver Mütter haben viel öfter Probleme mit dem Schlafen und dem Stillen als Kinder gesunder Mütter und die Entwicklung ist häufig verzögert – sowohl im emotionalen als auch im kognitiven Bereich. Noch Jahre später haben diese Kinder ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen als Kinder nicht depressiver Mütter. Aus diesem Grund nützt eine frühe Erkennung der Wochenbettdepression beiden, der langfristigen Gesundheit von Mutter und Kind.

Niemand hat Schuld an der Entwicklung einer postpartalen Depression, und doch sind die Mütter teilweise voller Schuldgefühle, weil sie sich nicht in dem Maß über ihr Kind freuen und sich um es kümmern können, wie sie es gerne möchten. Hier ist schnelle Hilfe und Aufklärung notwendig, es handelt sich um eine ernst zu nehmende behandlungsbedürftige Erkrankung. Familien brauchen in dieser Situation sowohl eine professionelle Behandlung der Erkrankung als auch viel Verständnis und Unterstützung im Alltag. 

Leider werden Depressionen im Wochenbett auch heute noch viel zu selten oder spät erkannt und adäquat behandelt. Immer mehr Gynäkologen, aber auch zunehmend Kinderärzte, nutzen deshalb einen kurzen Selbstbeurteilungsbogen, um einen Eindruck vom seelischen Befinden der Mütter zu bekommen. Dieser ist angelehnt an die Edinburgh-Postnatal Depressions-Skala. Dieser Fragebogen konzentriert sich auf das seelische Befinden und fragt körperliche Symptome wie Müdigkeit und Erschöpfung nicht ab, da dies unabhängig von einer Depression oft ein Dauerzustand bei jungen Müttern ist.

Nicht nur Tabletten …

Leichtere Formen einer Wochenbettdepression kann man psychotherapeutisch und ambulant behandeln. Reicht dies für eine erfolgreiche Therapie nicht aus, kommen auch zusätzlich Antidepressiva zum Einsatz. Viele stillende Mütter scheuen sich vor der Einnahme von stimmungsaufhellenden Medikamenten aus Angst vor Nebenwirkungen beim Kind. Laut aktueller Datenlage gibt es jedoch durchaus Antidepressiva, die gut mit dem Stillen vereinbar sind. Auch wenn bisher in Deutschland kein Antidepressivum speziell für die Stillzeit zugelassen ist, gibt es doch viele Wirkstoffe, deren Anwendung in der Stillzeit sehr gut untersucht und dokumentiert ist und die nur zu einem geringen Anteil in die Muttermilch übergehen. 

Mittel der Wahl sind in der Stillzeit Arzneistoffe aus der Gruppe der Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), am besten untersucht sind hier Citalopram und Sertralin. Gerade für depressive Mütter sind häufig das Stillen und die Verbundenheit mit dem Kind während der Stillmahlzeit sehr wichtig, ein unnötiges Abstillen aus nicht rational begründbaren Ängsten he­raus sollte in diesen Fällen durch gute Beratung über das verordnete Medikament vermieden werden.

Fortschritte in der Arzneimitteltherapie:

Erstmalig wurde im Frühjahr 2019 in den USA ein Medikament speziell zur Behandlung von postpartalen Depressionen zugelassen. Das Arzneimittel mit dem Namen Zulresso enthält als Wirkstoff Brexanolon, eine synthetische Form eines im ZNS aktiven Progesteron-Metaboliten. Das Medikament wird über fünf Tage kontinuierlich als Infusion verabreicht und zeigt eine schnelle Symptomlinderung. Eine Zulassung in Europa scheint aber momentan noch nicht in Sicht zu sein.

Risikofaktoren

Wie so häufig bei der Entstehung von psychischen Erkrankungen sind auch bei der Entwicklung einer Wochenbettdepression viele verschiedene Einflussfaktoren beteiligt. Neben den bereits erwähnten Lebensumstellungen erhöhen auch vorherige depressive Episoden im Leben das Risiko für eine postpartale Depression. Aber auch eine komplizierte, sorgenbeladene Schwangerschaft, eine traumatische Geburt, Probleme in der Partnerschaft oder geringe Unterstützung durch das soziale Umfeld gelten als Risikofaktoren für die Entstehung dieser Erkrankung. 

Bestand schon vor der Schwangerschaft eine depressive Erkrankung, ist deren Therapie auch in der Schwangerschaft umso wichtiger, da die Rückfallrate in die Depression kurz nach der Geburt bei diesen Frauen besonders hoch ist. Für die Therapie der Depression in der Schwangerschaft gibt es ebenso wie für die Stillzeit auch geeignete, für das Baby verträgliche Medikamente. Gute Beratung zur Förderung der Adhärenz ist in diesen Fällen in der Apotheke besonders wichtig, sodass nicht aus einer unbegründeten Angst vor Nebenwirkungen beim Kind auf eine wichtige Therapie verzichtet wird.

Sport tut gut

Zusätzlich zu weiteren Behandlungsmethoden hat sich unterstützend viel Bewegung an der frischen Luft bewährt und sollte den Patientinnen empfohlen werden. Am besten in Gesellschaft, denn Betroffenen kann es helfen, aus ihrer Isolation herauszukommen und sich auszutauschen. Für manche Frauen kann hierzu auch eine rasche Wiederaufnahme des Berufs hilfreich sein. Eventuelle Stillprobleme sollten mithilfe von Fachpersonal rasch gelöst werden, damit die Frauen wieder von der körperlichen Nähe mit dem Baby beim Stillen profitieren und die Interaktion mit ihrem Baby genießen können.

Gefahr: Psychose

Ein zum Glück seltener Notfall ist es, wenn die Mutter kurz nach der Geburt eine sogenannte postpartale Psychose entwickelt. In diesem psychischen Ausnahmezustand, der nach ungefähr 0,1 % aller Geburten auftritt, entwickelt die Frau Zwangssymptome, Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Das Leben von Mutter und Kind ist durch das hohe Suizidrisiko akut gefährdet, hier ist eine sofortige stationäre Behandlung unbedingt erforderlich, um Mutter und Kind zu schützen.

Wie erkläre ich es meinem Kunden?

  • „Eine kurze Krise direkt nach der Geburt tritt bei sehr vielen Frauen auf. Leider hält die gedrückte Stimmung bei ungefähr jeder zehnten Frau noch längere Zeit an und sollte dann behandelt werden. Ich gebe Ihnen hierzu eine Informationsbroschüre mit. Suchen Sie bitte bald Ihren Arzt auf, wenn die Traurigkeit noch länger anhält.“
  • „Ihr Arzt hat Ihnen ein stimmungsaufhellendes Mittel verschrieben. Ich verstehe, dass Sie Bedenken wegen des Stillens haben. Aber ich kann Sie beruhigen, dieses Mittel ist laut aktueller Datenlage gut mit dem Stillen vereinbar und Sie müssen es nicht einschränken.“
  • „Gerne empfehle ich Ihnen ein Vitaminpräparat für die Stillzeit, welches Ihre Speicher wieder auffüllt. Sollten Sie sich aber über einen längeren Zeitraum auch seelisch erschöpft und antriebslos fühlen, besprechen Sie dies bitte möglichst zeitnah mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin, damit Sie noch besser unterstützt werden können.“

Und der Vater?

Auch Väter junger Säuglinge haben ein höheres Risiko für die Entwicklung einer Depression. Zum einen kann sich eine depressive Erkrankung der Mutter auch auf den Vater auswirken und den Ausbruch der Erkrankung fördern, zum anderen haben junge Väter aber auch völlig unabhängig von der mütterlichen Gesundheit ein deutlich höheres Risiko für die Entwicklung einer Depression. Bei Vätern ist das Risiko für eine Depression am höchsten, wenn das Kind vier bis sechs Monate alt ist.

Für einen guten Start ins Familienleben sollte deshalb in den ersten Monaten ein großes Augenmerk auf die mentale Gesundheit der ganzen Familie gelegt werden.