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Leseprobe PTAheute 1+2/2017 – Melatonin als Taktgeber: Wenn die Nacht zum Tag wird

Foto: Jim_Pintar – iStockphoto.com

Tag und Nacht

Unser Körper folgt seinem eigenen Rhythmus – in der Nacht sind wir müde und schlafen, am Tag wach und aktiv. Neben äußeren Reizen wie Licht und Dunkelheit spielen auch innere Taktgeber hierbei eine Rolle. Jeder Mensch hat seinen eigenen Rhythmus, dieser verändert sich im Laufe des Lebens. So sind Kleinkinder oft bereits in den frühen Morgenstunden aktiv, wohingegen Jugendliche und junge Erwachsene tendenziell spät zu Bett gehen und länger schlafen. Im Erwachsenenalter verschiebt sich die Schlafenszeit dann erneut. Mit zunehmendem Alter neigt der Mensch dazu, abends früher zu Bett zu gehen und somit morgens früher aufzustehen.

Von Lerchen und Eulen

Darüber hinaus gibt es große individuelle Unterschiede. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem Normaltyp an. Dieser ruht ungefähr zwischen 23 Uhr abends und sieben Uhr morgens. Daneben sind zwei weitere Typen bekannt. Die Lerchen stehen früh auf und gehen früh zu Bett, sie machen etwa 10 % der Bevölkerung aus. Wohingegen Eulen spät schlafen gehen und morgens nur schlecht aus dem Bett kommen, ihr Anteil liegt bei etwa 20 Prozent. Lassen sich die verschobenen Schlaf- und Ruhezeiten nicht in den Berufsalltag integrieren, leidet die Schlafqualität und damit auch die Leistungsfähigkeit der Betroffenen.

Ein Hormon der Zirbeldrüse

An der Entstehung des Schlaf-Wach-Rhythmus ist das Hormon Melatonin beteiligt. Dieses wird in der Zirbeldrüse (Epiphyse) aus Serotonin gebildet und ausgeschüttet. Seine Produktion wird durch Licht und Dunkelheit gesteuert. So fördert Dunkelheit die Synthese und Freisetzung von Melatonin, wohingegen helles Tageslicht zu einer Hemmung der Produktion führt. Somit nimmt Melatonin eine sehr wichtige Funktion bei der Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus ein.

Sinkende Produktion im Alter

Interessanterweise nimmt die Melatonin-Produktion der Zirbeldrüse mit zunehmendem Alter ab. Ein möglicher Zusammenhang mit im höheren Lebensalter vermehrt auftretenden Schlafstörungen wird vermutet. Allerdings löst ein Melatoninmangel allein nicht zwangsläufig Schlafstörungen aus. Folglich sind weitere Faktoren an der Entstehung von Schlafstörungen beteiligt.

Schlafanstoßend

Melatonin wirkt indirekt auf verschiedene Rezeptoren schlafanstoßend, ohne die Dauer der verschiedenen Schlafphasen, insbesondere den REM-Schlaf, zu beeinflussen. Dennoch ist Melatonin kein klassisches Schlafmittel. Vielmehr erhöht das Hormon die Schlafbereitschaft des Körpers und verbessert somit die Schlafqualität. Bei therapeutischer Gabe sind die zu beobachtenden Effekte wie eine verkürzte Einschlafdauer und eine verbesserte Schlafqualität nur schwach ausgeprägt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Melatonin wird in der Zwirbeldrüse aus Serotonin gebildet. 
  • Melatonin steuert den Tag-Nacht-Rhythmus des Körpers. Es wird bei Dunkelheit verstärkt gebildet und ausgeschüttet, helles Tageslicht unterdrückt die Freisetzung von Melatonin. 
  • Im Alter sinkt die natürliche Melatoninproduktion. 
  • Die therapeutische Gabe von Melatonin erhöht die Schlafbereitschaft des Körpers. 
  • Melatoninhaltige Arzneimittel sind in Deutschland grundsätzlich verschreibungspflichtig. 
  • Darüber hinaus sind in Deutschland diätetische Lebensmittel, die Melatonin enthalten, verfügbar. 
  • Melatonin wird ein bis zwei Stunden vor dem Schlafen eingenommen.

Zugelassenes Arzneimittel

In Deutschland sind Arzneimittel, die Melatonin enthalten, gemäß Arzneimittelverschreibungsverordnung dosis-unabhängig verschreibungspflichtig. Es ist derzeit ein melatoninhaltiges Fertigarzneimittel im Handel. Circadin® ist zugelassen zur kurzfristigen Behandlung von primären Schlafstörungen bei Patienten über 55 Jahren. Eine Retardtablette enthält zwei Milligramm Melatonin. Im Gegensatz zu anderen Schlaf- und Beruhigungsmitteln wird die regelmäßige Einnahme über einen Zeitraum von drei Wochen empfohlen. Man geht davon aus, dass sich die Wirkung von Melatonin über das Einnahmeintervall von drei Wochen hinweg langsam aufbaut und die Wirkung über das Therapieende hinaus anhält. Die Entwicklung einer Abhängigkeit und somit Schwierigkeiten beim Absetzen von Melatonin sind nicht zu erwarten.

Richtiger Einnahmezeitpunkt

Die Wirkung von Melatonin ist abhängig vom Einnahmezeitpunkt. Zu verschiedenen Tageszeiten eingenommen, kann Melatonin sehr unterschiedliche Effekte auslösen, deshalb ist der Zeitpunkt der Einnahme sorgfältig auszuwählen. Zur Behandlung von Schlafstörungen wird die Tablette immer zur gleichen Uhrzeit, etwa ein bis zwei Stunden vor dem Zubettgehen, eingenommen. Ist dies an einzelnen Tagen nicht möglich, ist die Einnahme auszusetzen und am Folgetag zur gewohnten Uhrzeit fortzusetzen. Im Großen und Ganzen ist Melatonin gut verträglich. Als Nebenwirkungen wurde unter anderem vermehrt über Infekte wie Bronchitis und Pharyngitis berichtet, dies kann auf die immunmodulierende Wirkung des Melatonins zurückgeführt werden. Tagsüber eingenommen, kann Melatonin zu Müdigkeit und infolgedessen zu einem erhöhten Sturzrisiko führen. Über mögliche Risiken einer Langzeiteinnahme ist wenig bekannt. Im Übrigen wird Melatonin über CYP-Enzyme verstoffwechselt, sodass es zu Wechselwirkungen mit Induktoren und Inhibitoren der entsprechenden Enzyme kommen kann.

Melatoninhaltige Lebensmittel

Bestimmte Lebensmittel wie beispielsweise Milch enthalten geringe Mengen Melatonin. Die Konzentration ist abhängig vom Futter der Tiere und von der Tages- oder Nachtzeit, bei der gemolken wird. Darüber hinaus werden diätetische Lebensmittel angeboten, die Melatonin in angereicherter Form enthalten. Für diese Produkte sind gemäß der europäischen Health-Claim-Verordnung die gesundheitsbezogenen Angaben „Melatonin trägt zur Linderung des subjektiven Jetlag-Gefühls bei“ sowie „Melatonin trägt dazu bei, die Einschlafzeit zu verkürzen“ zulässig.

Jetlag

Reisen wir in eine andere Zeitzone, setzt die Zeitverschiebung von zum Teil mehreren Stunden unserem Körper zu. Es kommt zum Jetlag mit Schlafstörungen und Müdigkeit am Tag. Die Tageszeit der Umwelt stimmt plötzlich nicht mehr mit der Zeit unserer inneren Uhr überein, nach einigen Tagen passt sich die innere Uhr den äußeren Taktgebern an und die Symptome des Jetlags lassen nach. Melatonin kann die Beschwerden eines Jetlags abmildern, besonders bei einer Zeitverschiebung von mehr als fünf Stunden durch einen Flug in östliche Richtung.

Wie erkläre ich es meinem Kunden?

  • „Der Arzt hat Ihnen für Ihre Schlafstörungen Circadin® verordnet. Nehmen Sie die Tabletten regelmäßig über drei Wochen ein. Achten Sie darauf, dass Sie das Präparat immer zur gleichen Uhrzeit einnehmen.“ 
  • „Melatonin ist ein körpereigener Stoff. Er ist dafür verantwortlich, dass Sie nachts schlafen und tagsüber fit und aktiv sind.“ 
  • „Im Alter sinkt die Melatoninproduktion des Körpers. Dies kann Schlafstörungen begünstigen.“ 
  • „Der Wirkbeginn von Melatonin ist verzögert, weshalb eine regelmäßige Einnahme zur gleichen Uhrzeit notwendig ist. Im Gegensatz zu manch anderen Schlafmitteln ist auch bei regelmäßiger Einnahme kein Gewöhnungseffekt zu erwarten.“

Schichtarbeit

Schichtarbeit ist für unseren Körper eine Herausforderung. Am Tag zu ruhen und in der Nacht fit und aktiv zu sein, widerspricht dem zirkadianen Rhythmus des Körpers. Die Folge sind nicht selten gesundheitliche Probleme wie chronische Schlafstörungen. Langfristig steigt außerdem das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, metabolisches Syndrom und Tumorerkrankungen. Melatonin wird off-label zur Behandlung des Schichtarbeitersyndroms eingesetzt, das zusammen mit dem Jetlag-Syndrom zu den zirkadianen Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen gehört.

Aus dem Takt

Bei blinden Menschen kann die Anpassung der inneren Uhr an äußere Umweltreize wie Licht und Dunkelheit gestört sein. Typischerweise reguliert die innere Uhr den Schlaf-Wach-Rhythmus ohne äußere Taktgeber auf ein Intervall mit 25 Stunden, sodass sich ihr Schlaf-Wach-Rhythmus verschiebt und vom 24-Stunden-Rhythmus ihrer Umgebung abweicht. Für die Betroffenen ist der Melatonin-Rezeptor-Agonist Tasimelteon (Hetlioz®) zugelassen. Dieser wird regelmäßig abends vor dem Zubettgehen eingenommen, um eine Anpassung an den Tag-Nacht-Rhythmus der Umgebung zu erzielen.

Depressionen

Zwar hat Melatonin keinen direkten Effekt auf eine depressive Symptomatik, dennoch ist davon auszugehen, dass die Schlafqualität die Stimmung beeinflusst. Somit überrascht es nicht, dass depressive Personen überproportional häufig von Schlafstörungen betroffen sind. Mit dem Fertigarzneimittel Valdoxan®, welches den Wirkstoff Agomelatin enthält, ist ein melatonerges Antidepressivum auf dem Markt. Der Wirkstoff Agomelatin ist ein Melatonin-Derivat und bindet an verschiedene Melatonin-Rezeptoren, wodurch das Einschlafen erleichtert und die Schlafqualität verbessert werden. Gleichzeitig vermittelt Agomelatin über bestimmte Serotonin-Rezeptoren eine antidepressive Wirkung und beeinflusst zusätzlich das noradrenerge und dopaminerge System. Weitere Anwendungsgebiete für den therapeutischen Einsatz von Melatonin, wie beispielsweise Ohrgeräusche und postoperative Schmerzen, werden derzeit untersucht.