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Fernbehandlung, Lebensmittelampel & Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche: Die wichtigsten Entscheidungen vom Ärztetag 2018

Der Deutsche Ärztetag hat den Weg für künftige Online-Sprechstunden geebnet. Es gibt jedoch noch einige offene Fragen. | Bild: agenturfotografin / Adobe Stock

Was macht der Deutsche Ärztetag

Der Deutsche Ärztetag ist die Hauptversammlung der Bundesärztekammer und findet einmal im Jahr an wechselnden Orten statt. Man könnte sagen, es handelt sich um das „Parlament der Ärzteschaft“. In jedem Bundesland gibt es eine Ärztekammer. Die 17 deutschen Ärztekammern entsenden jedes Jahr insgesamt 250 Abgeordnete zum Deutschen Ärztetag. Zu den Aufgaben des Deutschen Ärztetages gehört es, länderübergreifende Regelungen zum Berufsrecht (z. B. die Muster-Berufsordnung und die Muster-Weiterbildungsordnung) zu erarbeiten und zu verabschieden sowie die Positionen der Ärzteschaft zu aktuellen gesundheits- und sozialpolitischen Diskussionen der Öffentlichkeit zu vermitteln. Präsident des Deutschen Ärztetages und damit auch Sitzungsleiter ist seit 2011 Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, der zugleich auch Präsident der Bundesärztekammer ist.

Ein Termin beim Arzt - demnächst auch online

Die wohl wichtigste und weitreichendste Entscheidung des diesjährigen Ärztetages ist der Beschluss, dass in Deutschland ansässige Ärzte künftig eine ausschließliche Behandlung über digitale Medien durchführen dürfen. Die 250 Delegierten beschlossen mit großer Mehrheit eine entsprechende Änderung der Musterberufsordnung für Ärzte. Bislang waren Ärzten in Deutschland solche Fernbehandlungen nur nach einer persönlichen Untersuchung erlaubt.

Nach dem Beschluss des Ärztetages ist Medizinern nun „im Einzelfall“ eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über digitale Medien möglich, wenn dies medizinisch vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt bei Diagnostik, Beratung, Therapie und Dokumentation gewährleistet wird. Außerdem müssen die Patienten von ihrem Arzt über die Online-Behandlung aufgeklärt werden.

Nach dem Grundsatzbeschluss des Ärztetages müssen die meisten der 17 Landesärztekammern nun die regionalen Berufsordnungen entsprechend anpassen. Bis dies flächendeckend geschehen sei, könnten bis zu zwei Jahre vergehen. Mit einer ausschließlichen Fernbehandlung durch digitale Medien werden bisherige Instrumente der Telemedizin ergänzt. Dazu gehören zum Beispiel Telekonsile zum Online-Austausch von Befunden oder Röntgenbildern, die elektronische Übermittlung von Patientendaten bei Hausbesuchen durch Praxisangestellte zum Arzt oder die bisher nur für einige Fachgruppen und bei bestimmten Erkrankungen erlaubten Videosprechstunden.

Ob bei einer ausschließlichen Fernbehandlung auch Verordnungen ausgestellt werden dürfen, wurde beim Ärztetag heftig dis­kutiert. Nach einem Bericht des „Ärzteblatts“ lehnte eine Mehrheit der Abgeordneten diese Option zunächst mehrheitlich ab. Mit der Begründung, dass Fernbehandlung ohne die Möglichkeit der Therapie „eine Rolle rückwärts“ sei, wurde jedoch eine erneute Lesung beantragt. und schließlich an den Vorstand überwiesen. Mehrheitlich abgelehnt von den Delegierten wurde dagegen, so das „Ärzteblatt“ weiter, die Ausstellung einer Krankschreibung per Telefon oder Videokonferenz bei unbekannten Personen.

Ärzte wollen nicht, dass Apotheker impfen

Der Deutsche Ärztetag hat sich gegen ein Impfrecht für Apotheker ausgesprochen. Ein Pharmaziestudium würde, so heißt es, nicht ausreichende Kenntnisse vermitteln, die Apothekerinnen und Apotheker zum Impfen benötigten. Bis heute sei es juristisch nicht einmal denkbar, dass geschulte Medizinische Fachangestellte (MFA) ohne ärztliche Anwesenheit in der Praxis allein Impfungen verabreichen dürfen. Anaphylaxie, Synkope, Lokalreaktionen sowie Angstreaktionen müssten adäquat beherrscht werden, heißt es. In der Schweiz und in Großbritannien dürfen Apotheker schon lange impfen, jedenfalls gegen bestimmte Infektionskrankheiten wie beispielsweise Grippe und FSME. Im US-Bundesstaat Idaho dürfen, neben Apothekern, seit 2016 auch die sogenannten pharmacy technicians, das Pendant zur deutschen PTA, Impfungen IM RAHMEN EINES PILOTPROJEKTES verabreichen.

Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche: Paragraf 219a soll erhalten bleiben

Der Deutsche Ärztetag hat beschlossen, den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs, also das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, vom Grundsatz her beizubehalten. Allerdings sollen nach dem Beschluss neutrale Informationsangebote gestärkt und Hilfsangebote für Frauen in Konfliktsituationen ausgebaut werden. Die sachliche Information über den Schwangerschaftsabbruch soll nach dem Willen des Ärztetages straffrei werden.

Hintergrund ist die Verurteilung einer Ärztin aus Gießen. Auf ihrer Internetseite hatte sie darauf hingewiesen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery hatte zum Auftakt des Ärztetages am Dienstag eine unabhängige Informationsplattform im Internet mit Angaben zum Eingriff, zu gesetzlichen Bedingungen, Beratungsstellen und durchführenden Ärzten vorgeschlagen.

Lebensmittelkennzeichnung soll kommen

15,4 Prozent der Kinder in Deutschland sind übergewichtig und allein 5,9 Prozent adipös. In mehreren Anträgen haben sich die Delegierten deshalb für eine bessere Kennzeichnung von Lebensmitteln ausgesprochen. So fordern sie die Bundesregierung auf, ungesunde Lebensmittel mit Steuern oder Kennzeichnungen zu versehen. In einem weiteren Antrag wird die zügige Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Gesundheitskompetenz von Anfang 2018 verlangt. Dazu gehört die „Kennzeichnungspflicht für Konsumprodukte“. Ebenso sollen Lebensmittel mit einer sogenannten Ampel gekennzeichnet werden. Nährwertangaben müssten klar und verständlich sein - und zwar auf einen Blick. Eine Ampelkennzeichnung auf Lebensmittelverpackungen könne für jeden leicht und verständlich den Gehalt an gesundheits-relevanten Nährstoffen signalisieren, wie z. B. an Fetten, gesättigten Fettsäuren, Zucker. Auch Steuern könnten ein denkbares Mittel sein. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) könne eine 20-prozentige Preiserhöhung auf zuckerhaltige Getränke zu einer 20-prozentigen Konsumreduktion führen. Bereits die Ankündigung einer gestuften Zuckersteuer habe in Großbritannien zu einer Reduktion des Zuckergehalts in den Rezepturen verschiedener Softdrink-Hersteller geführt. Um schon frühzeitig einen gesunden Lebensstil zu pflegen, werden die Bundesländer angehalten, im Schulunterricht das Thema Gesundheitserziehung zu behandeln.

Zusatzbezeichnung Homöopathie bleibt

Die deutsche Ärzteschaft hat sich für die ärztliche Zusatzbezeichnung Homöopathie ausgesprochen. Anlass war die Verabschiedung der überarbeiteten Muster-Weiterbildungsordnung (WBO) für Ärzte, die Weiterbildungen der Mediziner in unterschiedlichen Facharzt- und Schwerpunktbereichen regelt. Im Vorfeld der Verabschiedung der WBO hatte sich Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery gegenüber dem Bayerischen Rundfunk geäußert: Es sei eine Tatsache, dass Homöopathie vielen Menschen helfe. Wichtig sei, dass es jemand mache, der wisse, wann sie nicht mehr helfe und dann auf normale schulmedizinische Verfahren umsteigen könne. Montgomery sehe die Homöopathie als eine komplementäre Medizin. In Verbindung mit guter medizinischer Ausbildung sei sie sinnvoll. Kritiker hatten eine Änderung der ärztlichen Weiterbildungsordnung gefordert. Mit einer Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ auf dem Praxisschild der Ärzte werde das Patientenvertrauen untergraben. Denn der Titel gebe der homöopathischen Lehre den Anstrich wissenschaftlicher Seriosität. Tatsächlich handele es sich aber um eine „esoterische Heilslehre“, erklärten die Kritiker rund um die Münsteraner Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert im März 2018. Die Kritikergruppe „Münsteraner Kreis“, ein Zusammenschluss von 20 Wissenschaftlern und Homöopathie-Gegnern, wollte, dass beim Ärztetag in Erfurt die Weiterbildungsordnung so geändert wird, dass die Zusatzbezeichnung nicht mehr vergeben werden darf.

Widerspruchslösung bei Organspenden

In einem weiteren Beschluss sprach sich der Ärztetag für die Einführung der sogenannten Widerspruchslösung bei Organspenden aus. Das bedeutet, dass Menschen, die eine Organentnahme im Fall ihres Todes ablehnen, dies zu Lebzeiten ausdrücklich schriftlich oder mündlich erklären müssen. Eine solche Regelung gilt beispielsweise in Österreich. Bislang schreiben die Krankenkassen ihre Versicherten alle zwei Jahre an und bitten sie, sich eine Organspende zu überlegen. Aus Ärztesicht bringt das nicht viel, verursacht aber einen hohen Aufwand. Hintergrund ist der chronische Mangel an Spenderorganen für schwerkranke Menschen.

Die Telefonnummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes soll auf die eGK 

In zwei Anträgen forderte der Ärztetag die Krankenkassen auf, die Telefonnummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes 116117 schnellstmöglich auf der Vorder- und Rückseite der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) aufzudrucken. Nach Ansicht der Delegierten zeigen zahlreiche Untersuchungen, dass trotz aller Anstrengungen vonseiten der Kassenärztlichen Vereinigungen die Telefonnummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes 116117 noch nicht flächendeckend bekannt ist. Der Bekanntheitsgrad könne durch das Aufdrucken der 116117 auf jeder Versichertenkarte gesteigert werden.

Behandlungsspektrum von Heilpraktikern soll eingeschränkt werden

Im Interesse der Patientensicherheit soll - wie von Union und SPD gefordert, das zulässige Behandlungsspektrum von Heilpraktikern auf den Prüfstand gestellt werden. Besonders dringlich sei es, Heilpraktiker von invasiven Maßnahmen wie chirurgischen Eingriffen, Injektionen und Infusionen auszuschließen. Gleiches gelte für die Behandlung von Krebserkrankungen. Die moderne, evidenzbasierte Medizin stelle – anders als dies vor Jahrzehnten bei Erlass des Heilpraktikergesetzes der Fall war – für viele Krebserkrankungen wirksame Behandlungsmöglichkeiten bereit. Der Erfolg dieser Behandlungen hänge oft entscheidend von einem rechtzeitigen Behandlungsbeginn ab, begründet der Ärztetag seine Forderung. Es könne nicht länger zugelassen werden, dass auf Basis einer Heilpraktikererlaubnis der rechtzeitige Beginn einer wirksamen Behandlung verzögert oder verhindert wird. Nach Ansicht der Delegierten müssen Union und SPD schnell handeln. Die derzeitige Rechtslage setze Patienten „erheblichen Risiken“ aus, wie nicht zuletzt die tragischen Todesfälle in Brüggen-Bracht gezeigt hätten, heißt es weiter. Die Bundesregierung solle dabei den ärztlichen Sachverstand einbeziehen. Quellen: dpa, Ärztezeitung, Apotheker Zeitung, DAZ.online