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Wer sollte keine Migräne-Antikörper erhalten?

Seit 2018 sind drei Migräne-Antikörper in Deutschland zugelassen. Doch wer sollte besser keine Antikörper erhalten? | Bild: Krakenimages.com / Adobe Stock

„Grundsätzlich sind wenige behandlungsabhängige Nebenwirkungen bei der Einnahme von monoklonalen CGRP-Antikörpern über einen Anwendungszeitraum von einem Jahr zu beobachten“, erklären Migräne-Experten, die eine Behandlungsleitlinie zu Migräne und im Speziellen auch zu den neuen Migräne-Antikörpern erstellt haben. Gerade eine gute Verträglichkeit scheint einer der eminenten Vorteile der innovativen Antikörper im CGRP-System zu sein, die, beginnend mit der Zulassung von Erenumab (Aimovig®) 2018, seit Kurzem die Möglichkeiten der Migräneprophylaxe erweitern. Es folgten kurze Zeit später Galcanezumab (Emgality®) und  Fremanezumab (Ajovy®). Allen gemeinsam ist, dass sie einen entzündungsfördernden Botenstoff (CGRP, Calcitonin Gene-Related Peptide), der eine bedeutende Rolle in der Krankheitsentstehung von Migräne spielt, ausschalten. 

Trotz der guten Verträglichkeit gibt es dennoch Patienten, die sich nach aktuellem Stand der Wissenschaft nicht für eine Antikörpertherapie eignen. Einen Überblick schafft ein neuer Anhang zur Migräne-Leitlinie, der sich speziell den CGRP- und CGRP-Rezeptor-Antikörpern widmet. Ein Punkt beschäftigt sich auch mit der Sicherheit und Verträglichkeit der Antikörper.

Welche Nebenwirkungen rufen Migräne-Antikörper hervor?

Zu den häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen zählen bei Erenumab laut den Experten Nasopharyngitis (kombinierte Entzündung der Nase und des Rachens) und Infektionen der oberen Atemwege. Diese traten jedoch unter Erenumab annähernd so häufig auf wie unter Placebo. Gleichermaßen verhielt es sich mit örtlichen Schmerzen und Juckreiz an der Einstichstelle. Auch zu Verstopfung (Obstipation) ist es im Zusammenhang mit der Anwendung von Erenumab gekommen, teils war diese so ausgeprägt, dass der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA zufolge operative Eingriffe erforderlich wurden. 

Galcanezumab und Fremanezumab scheinen hinsichtlich des Profils der Nebenwirkungen mit Erenumab vergleichbar zu sein – mit Schmerzen an der Einstichstelle, Juckreiz und Obstipation. Letzteres scheint ein Klasseneffekt zu sein: „Relevant sind bei allen monoklonalen Antikörpern Obstipationen, die selten schwerwiegend sein können“, so die Beobachtung von Migräne-Experten. Unter Fremanezumab kam es zudem noch zu Blasenentzündungen, unter Galcanezumab zu Schwindel. Dass die Migräne-Antikörper so gut verträglich scheinen, könnte auch an den für die Studien ausgewählten Patienten liegen.

Nur an gesunden Migränikern geprüft

In den bislang mit Migräne-Antikörpern durchgeführten Studien waren vor allem – abgesehen von ihrer Migräne – gesunde Patienten eingeschlossen. Es gibt der Leitlinie zufolge „kaum Vorerfahrungen bei Patienten mit zusätzlichen anderen Erkrankungen“, das beobachtete Nebenwirkungsspektrum beziehe sich im Wesentlichen auf ansonsten gesunde Migränepatienten.

Wie sicher sind die Antikörper fürs Herz?

Novartis untersuchte Erenumab auch in einer kardiovaskulären Sicherheitsstudie bei Patienten mit stabiler Angina pectoris. Wie Novartis bereits 2017 berichtete, gab es damals keine Unterschiede zwischen Placebo und Erenumab hinsichtlich des Auftretens des Angina-pectoris-Schmerzes (Brustschmerz aufgrund einer Mangeldurchblutung des Herzens) und myokardialen Ischämien (Minderdurchblutung des Herzmuskels) sowie EKG-Veränderungen unter Belastung. Dies bestätigen aktuell auch die Migräne-Experten der Leitlinie – „kein Unterschied zu Placebo“. Allerdings existieren solche kardiovaskulären Sicherheitsdaten bislang nur für Erenumab. Für die direkten CGRP-Antikörper Fremanezumab und Galcanezumab liegen bislang keine vergleichbaren Studien vor. 

Insgesamt berichten nun die Leitlinien-Autoren über vier kardiovaskuläre Ereignisse unter Erenumab, wobei diese durch koronare Herzerkrankung (KHK), Substanzmissbrauch und genetische Einflüsse bedingt waren. Es gab keine Todesfälle unter Galcanezumab, unter Fremanezumab starben zwei Patienten (ein Selbstmord, ein Patient mit schwerer COPD =chronischer Lungenerkrankung).

Für wen nicht?

Auch wenn das Nebenwirkungsprofil der Antikörper bislang gut aussieht, schränken die Leitlinien-Experten den Einsatz der Migräne-Antikörper vorsichtshalber ein. Patienten mit symptomatischer koronarer Herzerkrankung, ischämischem Insult (häufigste Form des Schlaganfalls aufgrund einer Minderdurchblutung des Gehirns), Subarachnoidalblutung (Blutung im Subarachnoidalraum, einem Teil des Zentralnervensystems), peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK), COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung), pulmonaler Hypertension (Bluthochdruck im Lungenkreislauf) oder Morbus Raynaud (anfallsartiges Erblassen der Finger durch Verkrampfung der Blutgefäße) und Transplantationsempfänger sollten keine Migräne-Antikörper erhalten.

Nicht für Schwangere und kardiovaskulär Vorerkrankte

Auch in Schwangerschaft und Stillzeit dürfen Erenumab und Co. nicht angewendet werden. Die Leitlinie begründet diesen Rat damit, dass Antikörper ab Tag 90 der Schwangerschaft die Plazenta über einen aktiven Transportmechanismus überqueren, weswegen sie mit Eintritt der Schwangerschaft abgesetzt werden sollen. Vor diesem Hintergrund rät die Leitlinie auch von der Möglichkeit der nur vierteljährlichen Gabe bei Fremanezumab für Frauen im gebärfähigen Alter ab. Unter Antikörpertherapie sollten Frauen auf eine sichere Verhütung achten.

Migräne-Antikörper bei Kindern?

Für Kinder und Jugendliche gibt es bisher keine Informationen zur Verträglichkeit und Sicherheit. Auch umfasste das Studienkollektiv vorwiegend ansonsten gesunde Migräniker. Patienten mit Autoimmunerkrankungen waren ausgeschlossen. Bis auf weiteres sollten Migräne-Antikörper folglich auch nicht bei Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen oder Wundheilungsstörungen eingesetzt werden. Bei diesen Patienten sollte ein Migräne-Antikörper nur „im begründeten Einzelfall vom Experten verordnet werden, da keine Sicherheitsdaten vorliegen“.