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Schärfere Gesetze für Nahrungsergänzungsmittel

Bild: Ingo Bartussek - Fotolia.com

Ob ein Präparat ein Arzneimittel oder ein Nahrungsergänzungsmittel ist, lässt sich beim ersten, schnellen Blick auf die Packung oft nicht leicht sagen. Zu ähnlich sind die Fertigpackungen gestaltet. Selbst Apotheker und PTAs drehen nicht selten die Schachteln in ihren Händen und suchen nach den verräterischen Hinweisen zur eindeutigen Zuordnung. Zwar unterschieden sich die beiden Produktgruppen – Arzneimittel und Nahrungsergänzung – optisch nur geringfügig, hinsichtlich ihres rechtlichen Status und der Regelung ihres Marktzugangs könnten die Diskrepanzen allerdings weitreichender nicht sein. Gerade im Bereich der Nahrungsergänzung sehen Verbraucherschützer hier noch enormen Bedarf zur Regulierung. Auch der Aufklärungsbedarf in der Bevölkerung sei groß, die Mittel zur Nahrungsergänzung würden meist zu bedenkenlos, dafür jedoch mit ausgeprägter Unwissenheit zu Gefahren und Sinnhaftigkeit der Präparate eingenommen, finden die Verbraucherschützer.

Genau hier setzt das neue Online-Informationsportal des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) an, das Mitte Januar dieses Jahres erstmals im Rahmen der „Grünen Woche“ in Berlin vorgestellt wurde. Auf klartext-nahrungsergänzung.de finden Interessierte alles rund um das Thema der Nahrungsergänzung: rechtliche Hintergründe und Informationen zu gesundheitliche Risiken von Nahrungsergänzungsmitteln, aber auch zu ihrem Nutzen. Wer profitiert von den Präparaten? Und: Was ist ein Nahrungsergänzungsmittel (NEM) überhaupt? Wie groß das Unwissen der Bevölkerung tatsächlich ist, zeigen Umfragezahlen des Marktforschungsinstituts Forsa vom September 2016: 47 Prozent der Verbraucher glauben, dass NEM wie Medikamente auf Wirksamkeit und Sicherheit geprüft würden – was falsch ist.

Nahrungsergänzungsmittel sind keine Arzneimittel

Nahrungsergänzungsmittel fallen in die Kategorie der Lebensmittel. Diese benötigen – anders als Arzneimittel – keine Zulassung, damit der Hersteller sie vertreiben darf. Somit werden NEM auch nicht auf ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit untersucht, bevor sie in den Regalen von Apotheken, Drogerien und Supermärkten landen. Einzige Ausnahmen: Die Produktgruppen der neuartigen Lebensmittel (Novel Food) und gentechnisch veränderte Lebensmittel benötigen ein Zulassungsverfahren. Zuständig für das Inverkehrbringen von NEM ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL).

Was ist ein Nahrungsergänzungsmittel?

Was ein NEM ist, definiert § 1 der deutschen Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NEMV): Wie der Name bereits selbst erklärt, sind NEM Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die allgemeine Ernährung lediglich zu ergänzen. Sie werden in dosierter Form in den Verkehr gebracht und sind ein Konzentrat aus Vitaminen und Mineralstoffen. Tatsächlich ist es so, dass die NEMV in Deutschland bislang nur Vitamine und Mineralstoffe regelt – alle „sonstigen Stoffe wie Aminosäuren, Fettsäuren oder Pflanzenextrakte“ nicht. Nach § 2 dürfen NEM gewerbsmäßig auch nur in „Fertigpackungen“ in den Verkehr gebracht werden – was rein von der Packung eine enge Nähe zu Arzneimitteln schafft. Zudem erschwert die Darreichungsform in „dosierter Form“ – seien es Tabletten, Kapseln, Dragees, Portionsbeutel, Flüssigampullen – die klare Abgrenzung zum Arzneimittel.

Nahrungsergänzungsmittel – ein Milliardengeschäft

Der Markt der NEM scheint beliebt: Das zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit registriert jährlich etwa 5.000 neue Produkte. Ganz im Gegensatz zu Arzneimitteln gestalten sich die Hürden des Marktzugangs äußerst niederschwellig, zudem ist das Antragsverfahren kostenfrei. Der Abnahmemarkt ist fraglos vorhanden – das Interesse der Bevölkerung zur Nahrungsergänzung ist immens, auch deren Bereitschaft, für diese Produkte Geld auszugeben. Nach Angaben der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen investieren die Bundesbürger jährlich mehr als eine Milliarde Euro in Produkte aus diesem Sektor. Und das, obwohl der Großteil der Bevölkerung Deutschlands heutzutage mit Nährstoffen ausreichend versorgt sei, erklärt Angela Clausen als Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale in NRW.

Keine Höchstgrenzen bei Nahrungsergänzungsmitteln

Nicht nur das Unwissen der Bevölkerung bei den rechtlichen – zugegeben wenigen – Vorschriften bei Nahrungsergänzungsergänzungsmittel ist groß, sondern auch das Vertrauen in den positiven Nutzen der Präparate. Der Forsa-Umfrage vom September 2016 zufolge, hält rund die Hälfte der Befragten die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln für „sehr beziehungsweise eher förderlich“. An der Datenerhebung des Marktforschungsunternehmens nahmen 1.001 Befragte teil. 20 Prozent der Umfrageteilnehmer bestätigten außerdem, NEM in den vergangenen sechs Monaten verwendet zu haben. Auffällig bei den Ergebnissen der Untersuchung war, dass jüngere Generationen den Produkten zur Nahrungsergänzung wohl aufgeschlossener gegenüberstehen: Junge Erwachsene im Alter von 18 bis 29 Jahren zählen zu den Hauptkonsumenten der Präparate.

Kritik der Verbraucherschützer: Auch NEM müssen sicher und wirksam sein

Was Verbraucherschützer kritisieren ist, dass es keine Höchstgrenzen für die Inhaltsstoffe in den Produkten gibt. Es existiert zwar eine EU-Richtlinie für Nahrungsergänzungsmittel, die legt aber lediglich fest, welche Vitamine und Mineralstoffe die Präparate enthalten dürfen. Bei Höchstmengen herrscht Fehlanzeige.

Auch bei den „Heilungsversprechen“ in den werbenden Texten der NEM-Hersteller fordern die Verbraucherschützer schärfere Regelungen. Die Health-Claims-Verordnung schützt die Verbraucher zwar bereits vor irreführender Werbung, insbesondere vor Versprechen zu gesundheitsfördernden Eigenschaften von Produkten. So darf für Cranberry in NEM zum Beispiel nicht mit Aussagen zur „Blasengesundheit“ geworben werden. Unzulässig ist außerdem, Ballaststoffe mit „Gewichtsmanagement“, Sojaisoflavone mit „Linderung von Wechseljahrsbeschwerden“ oder L-Carnitin mit „Steigerung der Fettverbrennung“ zu bewerben.

Allerdings, warnt der Verbraucherzentrale Bundesverband auf seiner Homepage, ist auch im zulässigen Werbetextbereich „die Werbung für NEM oftmals so geschickt, dass sie viele Menschen überzeugt“. Und weiter müssten „versprochene Wirkungen wissenschaftlich abgesichert sein“, erklärt der Verband. „Solange es keine europaweiten Regelungen gäbe, seien nationale Vorgaben nötig.“

Welche Risiken bergen NEM?

Nach Ansicht der Verbraucherschützer bergen vor allem Präparate aus dem asiatischen Raum die Gefahr, dass sie Rückstände von Pestiziden und Schadstoffen enthielten. Abgesehen davon könnten auch natürliche Pflanzeninhaltsstoffe wie Pyrrolizidinalkaloide in gesundheitlich bedenklichen Mengen bei pflanzlichen Präparaten noch enthalten sein. Hier warnt auch das Bundesamt für Risikobewertung (BfR): Nahrungsergänzungsmittel auf Pollenbasis enthielten häufig Pyrrolizidinalkaloide in erhöhten Konzentrationen.

Aufpassen sollten Verbraucher auch vermehrt bei Präparaten für Sportler zum Muskelaufbau oder auch zur Gewichtsreduktion, da diese teilweise zusätzlich Arzneimittel enthielten, die anabol oder appetitzügelnd wirkten. Das Stimulans Ephedrin findet sich nicht selten in „Abspeckpräparaten“. Generell warnen die Verbraucherschützer vor Präparaten aus dem Internet – hier gelte es, das „Kleingedruckte“ besonders sorgfältig zu lesen.

Manche Nahrungsergänzungsmittel bergen ein hohes Potenzial an Wechselwirkungen mit Arzneimitteln. Klassische Interaktionen bestehen bei Präparaten mit Calcium, Magnesium oder Eisen und bestimmten Antibiotika – Norfloxacin, Ciprofoxacin, Ofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Doxycyclin und Minocyclin. Ein zeitlicher Abstand zwischen der Einnahme von NEM und Arzneimittel ist unabdingbar – ansonsten besteht die Gefahr, dass das Antibiotikum nicht ausreichend wirkt. Gleiches gilt für Schilddrüsenpräparate.

NEM haben keinen klassischen Beipackzettel wie er für Arzneimittel Pflicht ist und der über potenzielle Wechselwirkung ausführlich informiert. Allerdings listet auch nicht jede Gebrauchsinformation eines Arzneimittels konkret dessen potenzielle Interaktion mit Nahrungsergänzungsmitteln. Bestimmte Hinweise können hilfreich sein: So kann die Warnung, das Arzneimittel nicht zusammen mit Milchprodukten einzunehmen, auch auf calciumhaltige NEM ausgedehnt werden.

Kritisch wird es auch bei Patienten, die Phenprocoumon oder Warfarin benötigen und ein Vitamin K-haltiges Nahrungsergänzungsmittel nehmen. Antikoagulanzien vom Typ des Phenprocoumons (Marcumar) sind Vitamin K-Antagonisten. Kombiniert der Patient diese nun mit Vitamin K in einem NEM, reduziert sich die Gerinnungshemmung. Die Gefahr: Thrombosen und Embolien.

Die fehlende Höchstgrenze bei den Inhaltsstoffen von NEM kann zusätzlich Probleme durch Überdosierungen schaffen. Als Beispiel führt klartext-nahrungsergänzung Magnesiumpräparate an, „die beliebtesten Nahrungsergänzungsmittel in Deutschland“. Das BfR empfiehlt eine Tageshöchstmenge in NEM von 250 mg – bei einer aktuellen Marktanalyse fanden die Verbraucherschützer in 64 Prozent der getesteten Magnesiumpräparate (27 von 42) zu viel Magnesium. „Im Durchschnitt enthielten diese überdosierten Nahrungsergänzungen 423 Milligramm Magnesium pro Tagesdosis“, kritisieren die Verbraucherschützer auf ihrer Homepage. Die unterschiedliche Bioverfügbarkeit der einzelnen Magnesiumpräparate differenzierte die Untersuchung nicht näher.

Zum Schutz der Verbraucher fordert der vzbv „eine Zulassungspflicht mit einer Sicherheitsprüfung für Nahrungsergänzungsmittel.“ Außerdem müsse es Verbrauchern möglich sein, online einzusehen, welche NEM behördlichen Prüfungen standgehalten haben. Verbindliche Höchstmengen und das Verbot unzulässiger Gesundheitsversprechen stehen ergänzend auf ihrer Forderungsliste. Für Beschwerden müsse eine zuständige Meldestelle eingerichtet werden, an die sich Verbraucher auch bei Verdacht auf unerwünschte Wirkungen direkt wenden könnten, verlangen die Verbraucherschützer.