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Am Puls der Zeit : Mit Apps und Wearables Vorhofflimmern erkennen

In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Häufigkeit von Herzrhythmusstörungen nahezu verdoppelt. Ein Grund dafür ist die stetig steigende Lebenserwartung. Digitale Helfer können bei der Diagnose behilflich sein. | Bild: DenPhoto / AdobeStock

Als häufigste, ernstzunehmende Herzrhythmusstörung gilt bei Erwachsenen das Vorhofflimmern. Darunter versteht man eine unkoordinierte Muskelerregung in den Vorhöfen, die zu einer Veränderung des Blutflusses führt. 

Die Gefahr des Vorhofflimmerns besteht vor allem darin, dass die veränderte Strömung zur Ausbildung von Blutgerinnseln (Thromben) führen kann. Diese gelangen via Blut in kleine Gefäße und können dort zu thromboembolischen Ereignissen, wie einem Schlaganfall, führen. Darüber hinaus werden auch Herzschwäche und Demenz mit Vorhofflimmern in Verbindung gebracht.

Zur Erinnerung: So kann sich Vorhofflimmern äußern

Oft macht sich Vorhofflimmern durch Herzstolpern oder Herzrasen, eine reduzierte Belastbarkeit, Enge in der Brust oder Schwindel bemerkbar. Allerdings kann die Herzrhythmusstörung auch symptomlos verlaufen.

Ausgedehntes Langzeit-EKG mit Hilfe von Apps

Kardiologische Fachgesellschaften empfehlen Risikopatienten mittlerweile sich regelmäßig auf Vorhofflimmern testen zu lassen. „Alle Menschen über 75 Jahre sowie Patienten über 65 Jahre mit weiteren Risikofaktoren für einen Schlaganfall sollten regelmäßig auf Vorhofflimmern untersucht werden“, erklärt Prof. Dr. Christian Veltmann, Kardiologe und Elektrophysiologe am Klinikum Links der Weser in Bremen.

Um Vorhofflimmern sicher zu diagnostizieren, sind Untersuchungen mit einem Elektrokardiogramm (EKG) notwendig. Da Vorhofflimmern allerdings oft nur sporadisch auftritt, sollte die Herzfrequenz dabei über einen längeren Zeitraum überwacht werden. 

„Wenn eine Rhythmusstörung nur kurz anhält, ist es eine Herausforderung, sie mit einem herkömmlichen EKG zu dokumentieren“, erläutert Veltmann. Apps und tragbare Geräte (sog. Wearables) könnten daher eine nützliche Hilfe sein: Sie ermöglichen es den Nutzenden, die Herzfrequenz selbstständig und somit auch über einen längeren Zeitraum zu beobachten. „Zum Screening auf Vorhofflimmern eignen sich Wearables deshalb besonders gut, weil sie sowohl ein regelmäßiges – etwa einmal am Tag – als auch ein gelegentliches Screening – immer mal wieder – ermöglichen“, so der Kardiologe.

Um Fehlinterpretationen zu vermeiden, sollte der Einsatz jedoch am besten gezielt und in Absprache mit dem behandelnden Arzt erfolgen. Zu diesem Zweck können die erhaltenen Werte exportiert und mit der Arztpraxis geteilt werden.

Die Smartphonekamera als Messgerät

Screenshot: www.preventicus.com

Die meisten zur Herzfrequenzbestimmung beworbenen Apps (z. B. Preventicus Heartbeats) basieren auf dem Prinzip der Photoplethysmografie – dem gleichen Verfahren wie apothekenübliche Pulsoxymeter.

Dabei wird der kleine Finger auf die Smartphonekamera gelegt und das ausgesendete Blitzlicht vom Hämoglobin der Blutzellen absorbiert. Abhängig vom Puls wird so unterschiedlich viel Licht absorbiert bzw. reflektiert. 

Die Reflektionsschwankungen können von der Kamera erkannt und von der App ausgewertet werden. Der Nutzer erhält anschließend eine Rückmeldung, ob die Ergebnisse einer ärztlichen Abklärung bedürfen. 

Nach Angaben von Preventicus erkennt die App unregelmäßige Herzschläge (z. B. Extrasystolen) sowie Anzeichen einer absoluten Arrhythmie mit Verdacht auf Vorhofflimmern. Die Genauigkeit der Messergebnisse ist App-abhängig und liegt z. B. bei „Preventicus Heartbeats“ für die Erkennung von Vorhofflimmern bei 96 Prozent (Sensitivität ca. 92%, Spezifität 99%).  

Aufgrund der Funktionsweise sind die Messergebnisse allerdings an eine entsprechend gute Smartphonekamera gebunden. Zudem ist die Messung von der Körpertemperatur abhängig. Ebenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass Erkrankungen wie Diabetes oder Gefäßerkrankungen, bestimmte Medikamente oder Herzschrittmacher die Genauigkeit der App verfälschen. 

Apps mit externem Zubehör

Herzfrequenzmessung mit „Kardia mobile“ und tragbarem EKG-Set | Screenshot: www.alivecor.com

Um die Aussagefähigkeit von der Kameraleistung zu entkoppeln, bietet z. B. der Hersteller AliveCor die CE-zertifizierte App „Kardia mobile“ mit einem mobilen EKG-Set an (entweder 1-Kanal- oder 6-Kanal-EKG). 

Ein weiteres CE-zertifiziertes Produkt ist der Herzsensor „ECG 247“. Dieser wird mithilfe eines wasserfesten Pflasters über dem Brustbein angebracht. Der Sensor sendet die ermittelten Daten kontinuierlich an das verbundene Smartphone, in der App wird dann der Herzrhythmus mit Hilfe von künstlicher Intelligenz in Echtzeit analysiert. 

Vorhofflimmern mit Smartwatch erkennen

Auch einige Smartwatches und Fitnesstracker (sog. Wearables) bieten ähnliche Funktionen an. Sie enthalten entweder optische Sensoren und eine Lichtquelle (meist Infrarot-LED), um die Herzfrequenz mittels PPG bestimmen zu können, oder zwei integrierte Elektroden zur Erzeugung eines 1-Kanal-EKGs. Im letzteren Fall befindet sich eine Elektrode an der Rückseite des Gerätes und stellt den Kontakt mit dem Trägerarm her. Um ein EKG zu erzeugen, muss die zweite Elektrode an der Oberseite der Uhr mit dem Finger der anderen Hand berührt werden (siehe Titelbild). 

So ist z. B. die EKG-App von Apple (in Kombination mit der Apple Watch Series 4 oder neuer) CE-zertifiziert. Laut Hersteller bietet die App die Möglichkeit, Vorhofflimmern (Sensitivität von 98,3%) und Sinusrhythmus (Spezifität von 99,6%) zu erkennen. Werden wiederholt Unregelmäßigkeiten registriert, die auf Vorhofflimmern hindeuten, werden die Nutzer via Smartwatch informiert. Laut der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie stimmten die Ergebnisse der Apple-Watch in Untersuchungen zu 95% mit klinisch dokumentiertem Vorhofflimmern überein. 

Gut zu wissen: Pflaster als EKG der Zukunft?

Künftig könnten auch kleine EKG-Pflaster zum Einsatz kommen: Bereits 2019 veröffentlichte Apple eine entsprechende Studie. Nachdem die Smartwatch einen ersten Verdacht auf Vorhofflimmern registriert hatte, wurden Probanden mit einem EKG-Pflaster ausgestattet, das mit dem Smartphone verbunden war. Eine App wertete das mobile EKG aus. Mit dieser Herangehensweise konnte die Apple-Software bei 84 Prozent der Probanden eine korrekte Dia­gnose stellen.

Im November 2021 stellte der Wearables-Anbieter Fitbit auf dem Jahreskongress der American Heart Association Ergebnisse einer ähnlichen Studie vor. Hier lag die Vorhersagegenauigkeit schon bei 98 Prozent. Quelle: DAZ / mp 

Allerdings ist die Apple-Anwendung nicht für Personen unter 22 Jahren geeignet. Zudem kann bei zu langsamer (< 50 Schläge pro Minute) oder zu hoher Herzfrequenz (> 120 Schlägen pro Minute [Version 1] bzw. > 150 Schläge pro Minute [Version 2]) nicht auf Vorhofflimmern geprüft werden. 

Neben Apple gibt es die EKG-Funktion auch bei Smartwatches von z. B. Samsung (Galaxy Watch), Withings (ScanWatch) und dem Google-Tochterunternehmen Fitbit (Fitbit Sense).

Herzinfarkt mit den meisten Apps nicht erkennbar

Alle bisher aufgeführten Systeme haben gemein, dass ihre Messdaten nicht ausreichen, um auch einen Herzinfarkt zu erkennen. Hierfür sind laut Europäischer Gesellschaft für Kardiologie (ESC) nämlich mindestens 12-Kanal-EKGs notwendig. 

Treten Hinweise auf einen Herzinfarkt (z. B. Schmerzen im Brustraum) auf, sollten die Betroffenen daher keine Zeit mit der Smartwatch oder App verschwenden und unverzüglich den Rettungsdienst kontaktieren.

Gut zu wissen: Erweiterte EKG-Funktion möglich

Wird die Smartwatch mit EKG-Funktion hintereinander an unterschiedlichen Körperstellen platziert, könnte es künftig möglich sein, ein Mehrkanal-EKG zu erstellen. Dies könnte bei Verdacht auf einen Herzinfarkt nützlich sein. Noch sind die Geräte dafür aber nicht zugelassen. Quelle: ESC Kongress 2020 

Mobiles EKG mit 15 Kanälen

Screenshot: www.cardiosecur.com

Um auch „lebensbedrohliche Durchblutungsstörungen und komplexe Arrhythmien“ aufzuzeichnen, setzt CardioSecure Active auf ein mobiles 15-Kanal-EKG. Dieses wurde speziell für Laien entwickelt und eignet sich – laut Anbieter – z. B. zur Überwachung nach einem Herzinfarkt.

Die Nutzenden benötigen für die Messung lediglich ein EKG-Kabel mit 4 Messelektroden sowie die passende Anwendung auf ihrem Smartphone. 

Innerhalb von 10 Sekunden liefert die App einen ausführlichen EKG-Bericht und eine dazu passende Rückmeldung. Darin erfahren die Anwendenden, ob Veränderungen vorliegen und ob ein baldiger oder sofortiger Arztbesuch notwendig ist. Auf Wunsch kann der EKG-Bericht direkt mit dem Arzt geteilt werden.

Was sagen die Fachgesellschaften?

Laut der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie erlaubt es die aktuelle Datenlage, Wearables „als Eventrekorder oder zum Screening auf Vorhofflimmern zu nutzen“. Und auch die aktuelle Leitlinie „Diagnose und Behandlung von Vorhofflimmern“ der ESC erkennt die EKG-Aufzeichnung via Wearable (30 Sekunden mittels 1-Kanal-EKG) an.

Allerdings konnte noch nicht gezeigt werden, ob auch über die Diagnose hinaus ein Nutzen besteht. Daher ist derzeit unklar, ob die Verwendung tatsächlich einen gesundheitlichen Vorteil mit sich bringt.  

Auf CE-Kennzeichnung Wert legen 

Um verlässliche Ergebnisse zu erzielen, sollten Kunden beim Kauf entsprechender Produkte bzw. Applikationen auf eine CE-Kennzeichnung achten. Darüber hinaus kann die Bezeichnung „Medical App“ ebenfalls ein Hinweis auf eine als Medizinprodukt zertifizierte Anwendung sein. Ähnlich klingende „Health Apps“ unterliegen dagegen keiner gesetzlichen Regelung.

Um zu vermeiden, dass Anwendende durch falsche Messergebnisse beunruhigt werden, sollten diese die Gebrauchsanweisung der jeweiligen Systeme exakt befolgen. Bei der Messung per Smartwatch ist z. B. darauf zu achten, dass die Uhr eng an der Haut anliegt und sowohl Handgelenk und Finger als auch Sensoren sauber sind. Gegebenenfalls sollte die Messung wiederholt werden.

Fazit

EKG-ähnliche Apps und Wearables stellen eine große Chance für die frühzeitige Erkennung von Herzrhythmusstörungen dar. Besonders für Risikogruppen könnten sie daher sinnvoll sein. Jedoch sollte auf eine CE-Kennzeichnung geachtet und alle kritischen Ergebnisse zeitnah ärztlich abklärt werden. Schlussendlich dienen die Anwendungen als Anhaltspunkt und ersetzen keine ärztliche Diagnose bzw. Behandlung.