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Erster Verhandlungstag im Fall Brüggen-Bracht: Verstoß gegen das AMG und fahrlässige Tötung?

Klaus R. muss sich seit vergangenem Freitag vor Gericht verantworten. Ihm werden neben fahrlässiger Tötung auch Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz vorgeworfen. | Bild: dpa

Im August 2016 sorgte der Tod dreier Krebspatienten des Heilpraktikers Klaus R. für Schlagzeilen: Sie starben kurz nach der Infusion mit dem Mittel 3-Brompyruvat (3BP), die R. selbst hergestellt hatte. Am vergangenen Freitag begann die Hauptverhandlung. Viele Journalisten reisten aus den Niederlanden an, da die Patienten R.s überwiegend von dort kamen. Die Staatsanwaltschaft legt dem 62-Jährigen zur Last, am 27. Juli 2016 in Brüggen-Bracht die drei Patienten fahrlässig getötet zu haben – ein weiterer Patient hatte gleichfalls Beschwerden, die jedoch nicht so gravierend waren.

3-Brompyruvat nicht als Arzneimittel zugelassen

R. soll bei seinen Patienten im Regelfall mehrwöchige Infusionen mit dem Mittel 3-Brompyruvat (3BP) vorgenommen haben, was er auf einer Homepage als das „aktuell beste Präparat zur Tumorbehandlung“ bewarb – es sei effektiver als heutige Chemotherapeutika. Hierbei handelt es sich um einen Stoff, der weder am Menschen erforscht ist noch eine Zulassung als Arzneimittel besitzt. Er greift in den Glukosestoffwechsel ein. Einige Forscher haben die Hoffnung, dass er zur Behandlung von Krebszellen geeignet sein könnte, die vermehrt Glukose verstoffwechseln. Gleichzeitig war auch R. bekannt, dass 3BP toxische Wirkungen haben kann und es bei Tierversuchen auch zu Todesfällen gekommen war. Die Staatsanwältin Rahel Plass bezeichnete 3BP als „wissenschaftlich und medizinisch unbekannte Substanz“.

3BP seit September 2016 verschreibungspflichtig

Nach Einschätzung von Behörden konnte R. zum Zeitpunkt der Behandlung davon ausgehen, dass er seine Patienten prinzipiell mit 3BP behandeln durfte. Hingegen stellte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im September 2016 klar, dass es sich seiner Einschätzung nach um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel handelt , so dass es einer Verschreibung eines Arztes bedürfe.

Normalerweise nicht mehr als 2,5 mg

Ab „gewissen Dosierungen“ könne es Schädigungen der Leber oder der Nieren geben, erklärte R. auf Nachfrage – es gebe ja das Sprichwort: „Die Dosis macht das Gift“. Als „Daumenregel“ sei er der Empfehlung gefolgt, normalerweise nicht mehr als 2,5 Milligramm 3BP pro Kilogramm Körpergewicht einzusetzen. Bei 3 Milligramm sei „absolut Schluss“ gewesen, betonte er. Diese höchste Dosis habe er nur eingesetzt, wenn der Patient es explizit wollte. „Gehen Sie davon aus, dass Ratten und Menschen, was diese Dinge angeht, gleich sind?“, fragte der Vorsitzende Richter. „Das weiß man nicht“, sagte R.

Angeklagter beschreibt Herstellungsverfahren

Beim ersten Verhandlungstag nahmen die Anklage und der Angeklagte zum Herstellungsprozess Stellung. R. beschrieb, dass er das von einer Firma aus den USA bezogene Pulver mit einem Dosierlöffel auf einer Feinwaage abgewogen, in Kochsalz aufgelöst, nanofiltriert und über eine Spritze in Infusionsflaschen gegeben habe. Er habe den Löffel zu etwa einem Drittel mit dem Pulver gefüllt und dieses auf ein Papierblatt auf die Waage gelegt. „Wenn das zu wenig war, dann habe ich noch eine Löffelspitze dazugetan“, erklärte er. Habe er vielleicht auch einfach mal nur mit dem Löffel gearbeitet, wollte der Vorsitzende Richter wissen. „Ich habe die Waage genutzt, ausnahmslos“, erklärte R.

Darf nicht pharmazeutisches Personal Arzneimittel herstellen?

Ärzte und andere zur Heilkunde beim Menschen befugte Personen (z. B. Heilpraktiker) benötigen derzeit keine Erlaubnis für die Herstellung von Arzneimitteln, sofern diese unter ihrer fachlichen Verantwortung und zum Zweck der persönlichen Anwendung bei einem bestimmten Patienten hergestellt werden (313 Abs. 2b AMG). Sie müssen diese Tätigkeit lediglich der zuständigen Behörde anzeigen und bei der Herstellung anerkannte pharmazeutische Regeln beachten. Mit dem „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV)“ möchte Gesundheitsminister Jens Spahn zukünftig jedoch diese Tätigkeit strenger kontrollieren und zumindest für Heilpraktiker eine Erlaubnispflicht für die Herstellung verschreibungspflichtiger Arzneimittel einführen.

Staatsanwältin: Waage war nicht geeignet

Doch das von ihm eingesetzte Modell sei „nicht geeignet“ gewesen, erklärte die Staatsanwältin: Mit ihm sei das Zuwiegen von Kleinstmengen nicht möglich, die Waage habe daher keine zuverlässigen Werte angezeigt. Daher entspreche die Herstellung nicht den anerkannten pharmazeutischen Regeln. Nach Ansicht der Anklage führten diese Probleme dazu, dass in sichergestellten Behältern das drei- bis siebenfache der eigentlich geplanten Dosis gefunden wurde. Für den nächsten Verhandlungstag am kommenden Freitag ist geplant, den Herstellungsprozess von R. im Gericht nachzustellen – allerdings voraussichtlich mit Haushaltszucker oder Salz, da ein Sachverständiger nur unter einem Abzug mit 3BP hantieren wollte. Es sind auch ein Amtsapotheker sowie eine Gutachterin geladen, die sich mit der Zuverlässigkeit der Waage beschäftigen soll.

Arzneimittel teilweise falsch beschriftet

Vor Gericht räumte R. ein, dass Flaschen teils falsch beschriftet waren – bei der Razzia war dies bei weggeworfenen Flaschen festgestellt worden. Dies sei „hier und da vorgekommen“, erklärte R. Es sei aber nicht so, dass er bewusst etwas Falsches drauf geschrieben habe: Er habe immer gewusst, welcher Patient welche Flasche erhalten sollte – und allein gearbeitet, so dass Verwechslungen seiner Ansicht nach ausgeschlossen waren.

Auffälligkeiten der letzten Chargen bemerkt

Insgesamt habe er aus den USA zehn Lieferungen 3BP zu je 10 Gramm erhalten, erklärte R. – außerdem geringe Mengen von einem hessischen Apotheker, welche jedoch nicht eingesetzt worden seien. Der amerikanische Lieferant sei sehr vertrauenswürdig gewesen, die Reinheit soll über 97 Prozent betragen haben. Jedoch waren die letzten vier Flaschen, die er einen Tag vor den tragischen Zwischenfällen erhielt, anders gewesen. Der Richter verlas eine E-Mail von R. an seinen Lieferanten: „Ich habe einige Probleme“, schrieb der Heilpraktiker – ein Patient habe erbrochen. „Das Pulver ist anders als das letzte.“ Er sei nicht glücklich damit, aber er brauche es. Vielleicht sei „das Zeug durch die Plastikflasche verdorben“, mutmaßte er. „Wenn Du Reaktionen siehst, reduziere die Dosis“, erhielt er als Empfehlung.

Sprachstörungen, Krampfanfälle und Gangprobleme

Eine Patientin reagierte laut Anklage am nächsten Morgen auf Ansprache durch ihre Tochter unverständig – und sprach anschließend nicht mehr. Am Nachmittag hatte sie einen Krampfanfall, Ärzte diagnostizierten ein ausgeprägtes Hirnödem. „Am Tag darauf verstarb sie gegen Mittag“, erklärte die Staatsanwältin. 3BP sei ins Gehirn gelangt, wo es zu Vergiftungserscheinungen kam. Bei anderen Patienten kam es teils zu ähnlichen Komplikationen. Er habe Vitamin C und einen anderen Stoff als Infusion gegeben, erklärte R. – „als Sofortmaßnahme“: Es sei bekannt, dass dies die Wirkung von 3BP stoppe, behauptete er. Während Angehörige laut dem Vorsitzenden Richter ausgesagt haben, dass die Verstorbenen nach der Behandlung Gangprobleme hatten und teils nicht mehr sprechen konnten, erklärte der Angeklagte, er habe dies nicht beobachtet.

Angeklagter hätte Überdosierung erkennen und verhindern müssen

Der Angeklagte hätte die Überdosierungen erkennen und verhindern müssen, erklärt die Staatsanwältin. Er habe vorhersehen können, dass Überdosierungen „erhebliche Schäden“ mit sich bringen: Er habe eine besondere Sorgfaltspflicht gehabt, da 3BP nicht zugelassen ist. Es täte ihm sehr leid, was passiert ist, betonte der Heilpraktiker – er könne sich nicht erklären, wie es zu den Zwischenfällen kam. Er habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, sagte R.: Er habe ein gutes Gefühl, dass er „richtig und sauber“ gearbeitet habe. Niemals sei es seine Intention gewesen, Menschen zu schaden. Er habe zum Dienste der Menschen als Heilpraktiker arbeiten wollen.

Klaus R.: Ich verstehe die Überdosierungen selbst nicht

„Es muss an der Substanz gelegen haben“, erklärte der Heilpraktiker zum Abschluss der Verhandlung als Grund für die Todesfälle – bis auf die Änderung des 3BP-Produkts sei alles andere gleich gewesen. Die Überdosierungen seien „das, was ich nicht verstehe“, erklärte R. Er sei froh, wenn er im Zuge des Prozesses eine klare Ansage bekäme, was passiert ist.

Mögliche Konsequenzen des Falls

Derzeit sind in dem Verfahren neun weitere Verhandlungstermine geplant. Als Reaktionen auf den Fall haben Patientenschützer strengere Regeln für den Berufsstand der Heilpraktiker gefordert. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Heilpraktiker zur Herstellung von rezeptpflichtigen Arzneimitteln zukünftig eine Genehmigung einholen müssen – bislang mussten sie dies nur der zuständigen Behörde anzeigen.