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Neue Wechselwirkungen für L-Thyroxin bekannt

1 Packung L-Thyroxin 100 von Sanofi und 1 Packung L-Thyrox Hexal 88
Insbesondere die Wechselwirkung mit Biotin soll in die Packungsbeilage von L-Thyroxin aufgenommen werden. | Bild: Jens Hertel / AdobeStock

Für Levothyroxin werden in den Fachinformationen (Euthyrox® Tabletten, Stand Februar 2022) zahlreiche mögliche Wechselwirkungen mit den folgenden Arzneimitteln gelistet: Antidiabetika, Cumarinderivate und Protease-Inhibitoren, Phenytoin, Colestyramin/Colestipol, Aluminium, Eisen und Calcium, Salicylate, Dicumarol, Furosemid und Clofibrat, Protonenpumpenhemmer (PPI), Orlistat und Sevelamer, Tyrosinkinase-Inhibitoren, Propylthiouracil, Glucocorticoide, Beta-Sympatholytika, Amiodaron und iodhaltige Kontrastmittel, Sertralin, Chloroquin/ Proguanil sowie generell Arzneimittel mit enzyminduzierender Wirkung (wie Barbiturate oder Carbamazepin), Östrogene und Sojaprodukte. Doch wie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) mitteilt, werden es bald noch mehr.

So soll laut einer „Drug Safety Mail“ der AkdÄ von Ende letzten Jahres künftig auch Johanniskraut namentlich als Arzneimittel mit Interaktionspotenzial aufgeführt werden. Denn unter der Einnahme ist eine „reduzierte Serumkonzentration von L-Thyroxin möglich“.

Beim Absetzen von PPIs L-Thyroxin im Blick behalten

„Die gleichzeitige Verabreichung mit PPIs kann aufgrund der Erhöhung des intragastrischen pH-Werts durch die PPIs zu einer Abnahme der Absorption der Schilddrüsenhormone führen“ – das konnte man bereits im Februar 2022 in der Fachinformation nachlesen. Eine regelmäßige Kontrolle der Schilddrüsenfunktion und klinische Untersuchung wird deshalb empfohlen. „Eventuell ist die Dosis der Schilddrüsenhormone zu erhöhen“, heißt es dort.

Künftig soll zudem darauf hingewiesen werden, dass auch beim Absetzen von PPIs aufgepasst werden sollte. Die AkdÄ verweist dazu auf eine Stellungnahme der CMDh (Co-ordination group for Mutual recognition and Decentralised procedures – human) von Ende 2022. Doch die größte Veränderung laut der Stellungnahme der CMDh und somit in den Produktinformationen von L-Thyroxin betrifft Biotin.

Wechselwirkungen von Biotin und Streptavidin

Die Einnahme des B-Vitamins Biotin beeinflusst kardiale und endokrinologische Laborwerte. Dies gab die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) 2019 bekannt. Damals hieß es, dass klinische Studien und Fallberichte von falsch erhöhten Estradiolwerten sowie falsch erniedrigten Parathormon- oder TSH-Werten unter Biotin-Einnahme berichtet haben. 

Zur Vorsicht riet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) außerdem speziell auch bei schwangeren Frauen, die pränatale Nahrungsergänzungsmittel einnehmen – diese enthalten oft Biotin. So könnten nämlich durch eine fälschlich diagnostizierte Schilddrüsenüberfunktion antithyreoidale Arzneimittel (Carbimazol, Thiamazol) zum Einsatz kommen, was ein Risiko von Missbildungen für den Embryo darstellen würde.  

Änderung der Produktinformation von L-Thyroxin beschlossen

Seit Mai 2019 wird in den Produktinformationen von biotinhaltigen Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln bereits auf das Risiko hingewiesen: „Biotin kann Auswirkungen auf Laboruntersuchungen haben, die auf einer Wechselwirkung zwischen Biotin und Streptavidin beruhen und die in Abhängigkeit von der Untersuchungsmethode entweder zu falsch erniedrigten oder falsch erhöhten Untersuchungsergebnissen führen können.“

In der Dezember-Ausgabe des „Bulletin zur Arzneimittelsicherheit“ von 2022 wurde nun darauf hingewiesen, dass der Pharmakovigilanzausschuss der EMA (PRAC) zudem eine Änderung der Produktinformationen von Levothyroxin beschlossen hat, um auf die Wechselwirkungen von Biotin mit Streptavidin-Biotin-Immunassays hinzuweisen. Denn „angesichts der Notwendigkeit von regelmäßigen Schilddrüsenfunktionstests zur Anpassung der Dosis“ bestehe „ein erhebliches Potenzial für eine unangemessene klinische Patientenbehandlung“. 

In der Stellungnahme der CMDh heißt es zudem: 

„Die Kenntnis über die Einnahme von Biotin wäre besonders wichtig in Situationen, in denen eine genauere Einstellung der Dosis von Levothyroxin erforderlich ist, zum Beispiel bei Schwangeren, Kindern, älteren Menschen und Patienten, die hinsichtlich eines Resttumors bei Schilddrüsenkrebs oder rezidivierenden Schilddrüsenkrebses überwacht werden.“

Deshalb soll nun auch in den Produktinformationen von Levothyroxin auf die mögliche Wechselwirkung zwischen Biotin und Immunassays zur Beurteilung der Schilddrüsenfunktion hingewiesen werden. „Das Risiko einer Interferenz steigt bei höheren Dosen von Biotin“, heißt es dort beispielsweise künftig, und:

„Bei Patienten, die biotinhaltige Arzneimittel oder Produkte einnehmen, sollte bei Anforderung eines Schilddrüsenfunktionstests das Laborpersonal entsprechend informiert werden. Falls verfügbar, sollten alternative Tests angewendet werden, die für eine Interferenz mit Biotin nicht anfällig sind.“

Biotin und seine Namen

In der Packungsbeilage von L-Thyroxin soll künftig darauf hingewiesen werden, dass Biotin auch als Vitamin H, Vitamin B7 oder Vitamin B8 bekannt ist. Außerdem sollte man sich bewusst sein, dass auch Multivitaminpräparate oder Nahrungsergänzungsmittel für Haare, Haut und Nägel Biotin enthalten können. 

„Ihr Arzt/Ihre Ärztin wird Sie möglicherweise bitten, die Einnahme von Biotin zu beenden, bevor die Laboruntersuchungen bei Ihnen durchgeführt werden“, lautet künftig ein weiterer Hinweis.

Die Änderung der Produktinformationen muss von den Zulassungsinhabern bis zum 26. Januar 2023 eingereicht werden.