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Lorazepam: Ist die Schmelztablette ersetzbar?

Glas Wasser neben Tablettenblister
Der Wechsel von Schmelz- auf herkömmliche Tabletten ist möglich. | Bild: Sandy Schulze / AdobeStock

Mindestens bis zum 28. Februar 2024 müssen Apotheken und Kliniken gemäß Lieferengpassdatenbank noch auf die nächste Lieferung des Lorazepam-haltigen Präparates Tavor® 1,0 mg Expidet warten. Beliebt ist dieses aufgrund seiner Darreichungsform – es handelt sich um Schmelztabletten – unter anderem in der Palliativpharmazie.

Ausgewichen werden soll in der Zwischenzeit auf andere Lorazepam-Präparate, beispielsweise auf Lorazepam-neuraxpharm 1 mg Tabletten. Aber ist ein Wechsel von Schmelz- auf herkömmliche Tabletten überhaupt so einfach?

Zur Erinnerung: Wie wirken Benzodiazepine?

Die Wirkstoffgruppe der Benzodiazepine wird zur Therapie von Angstzuständen, Panikattacken sowie bei Schlafstörungen eingesetzt. Sie wirken bekanntermaßen anxiolytisch (angstlösend), sedativ (beruhigend), muskelrelaxierend (muskelentspannend) und antikonvulsiv (krampflösend). 

Resorption von Lorazepam erst im Dünndarm

Mit dieser Frage hat sich auch das Kompetenzzentrum Palliativpharmazie der LMU Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin beschäftigt. Eine wichtige Rolle spielt für die Beantwortung die Pharmakokinetik. 

Anders als so mancher vermuten würde, erfolgt die Resorption von Lorazepam, auch aus Schmelztabletten, nur in vernachlässigbarer Menge über die Mundschleimhaut. Vielmehr zerfällt die Tablette im Mund, der Wirkstoff löst sich im Speichel und wird mit diesem hinuntergeschluckt. Die Resorption erfolgt dann im Dünndarm. 

Wirkstoffe, die in der Mundhöhle resorbiert werden sollen, wie etwa Fentanyl, werden daher als Sublingual- oder Buccaltabletten formuliert, die längere Zeit im Mund verweilen.

Gut zu wissen: sublinguale und bukkale Applikation

Manche Arzneimittel werden unter die Zunge (sublingual) oder in die Wangentasche (bukkal) gelegt und nicht hinuntergeschluckt. Der Wirkstoff wird in der Mundhöhle freigesetzt und über die Mundschleimhaut in den Blutkreislauf aufgenommen. /vs

Wirkeintritt: kein Unterschied zwischen Tablettenarten

Weiterhin stellt sich jedoch die Frage: Erfolgt die Resorption des bereits gelösten Wirkstoffes aus der zerfallenen Schmelztablette nicht doch schneller als aus einer Tablette, bei welcher der Wirkstoff erst noch in Lösung gehen muss?

Laut Hersteller bestehen keine Unterschiede in der Kinetik der beiden Darreichungsformen. Bedacht werden sollte allerdings, dass der Wirkeintritt bei einer Schmelztablette als schneller empfunden werden kann als bei einer Tablette.

Tipps bei Schluckproblemen bei Tabletteneinnahme

Auf der Ebene der Pharmakokinetik sind Tabletten demnach ein vollwertiger Ersatz für die schnell freisetzende Darreichungsform. Was aber, wenn Patienten diese nicht schlucken können oder wollen?

In solchen Fällen ist ein Suspendieren oder Mörsern der Tabletten möglich (Maßnahmen zum Eigenschutz beachten). Die Experten der Palliativpharmazie empfehlen, eine Tablette mit 3 bis 5 ml Wasser in einer Spritze zerfallen zu lassen. Aus dieser kann das Arzneimittel anschließend direkt oral verabreicht werden.

Benzodiazepine: Bei Präparatewechsel Indikation beachten

Falls ein Wechsel auf ein anderes Benzodiazepin nötig wird, sollten die Halbwertszeit und die jeweilige Indikation beachtet werden. Ist eine länger anhaltende Anxiolyse (= Verminderung von Angst- bzw. Spannungszuständen mithilfe von Medikamenten oder Therapie) beabsichtigt, kann etwa die Halbwertszeit länger sein als bei der kurzfristigen Unterbrechung einer Panikattacke.  

Den Bedürfnissen der Patienten angepasst, kann hierbei ggf. direkt auf ein anderes Präparat gewechselt werden, das ohne das Schlucken von Tabletten auskommt – etwa durch Wahl eines subkutan oder als Tropfen applizierbaren Präparates. 

Weitere Informationen und eine Übersicht über Halbwertszeiten und verfügbare Darreichungsformen der verschiedenen Benzodiazepine finden sich im Informationsschreiben des Kompetenzzentrums Palliativpharmazie der LMU Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin. Quellen:

Lieferengpassdatenbank von Pharmabund.net. Suche nach „azepam“ und „azolam“ in der Kategorie „Wirkstoffe“ am 03.08.2023. https://anwendungen.pharmnet-bund.de/lieferengpassmeldungen/faces/public/meldungen.xhtml

Lieferengpass Tavor® Expidet –mögliche Alternativen? Informationen der LMU Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin. Kompetenzzentrum Palliativpharmazie. Stand Juli 2023. https://cdn.lmu-klinikum.de/0d932e4b2307de33/1f74fe7544a6/Frage-des-Monats-Juli-2023f_2.pdf

Wird Lorazepam bei Anwendung der Schmelztabletten über die Mundschleimhaut resorbiert? Informationen der LMU Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin. Kompetenzzentrum Palliativpharmazie. Stand Juni 2021. https://cdn0.scrvt.com/4d3e519fe5939342b95c7312343779ef/231fcd8d0cbc6e7e/10997b7ab243/Frage-des-Monats-Juni-2021.pdf