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Rote-Hand-Brief: Antibabypille: Hinweis auf Meningeomrisiko in Fachinformation

Frau hält Blister von Antibabypille in Händen
Antibabypillen, die Chlormadinon und Nomegestrol enthalten, sollten unter Umständen nicht dauerhaft eingenommen werden. | Bild: methaphum / AdobeStock

Ende letzten Jahres startete die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) mit einer Untersuchung, die überprüfen sollte, ob durch nomegestrol- und chlormadinonhaltige Arzneimittel gutartige Tumoren der Hirnhaut entstehen könnten – sogenannte Meningeome. 

Bereits 2018 war die Anwendung von Cyproteronacetat wegen der möglichen Entstehung von Meningeomen eingeschränkt worden. Im September dieses Jahres kam schließlich nach dem Pharmakovigilanzausschuss (PRAC) auch der Humanarzneimittelausschuss (CHMP) der EMA zu dem Schluss, dass hochdosierte Präparate, welche die Gestagene Chlormadinon und Nomegestrol enthalten, nur noch so niedrig dosiert und kurz wie möglich eingenommen werden sollten, weil sie tatsächlich das Risiko für Meningeome erhöhen

Zur Erinnerung: Was ist ein Meningeom?

Bei einem Meningeom handelt es sich um einen Hirntumor, der aus der Hirnhaut entsteht. In aller Regel ist er gutartig, wächst langsam und hat eine günstige Prognose. Allerdings kann die Lage des Meningeoms im Gehirn und Rückenmark in „seltenen Fällen ernste Probleme“ verursachen, erklärt der PRAC. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterteilt Meningeome in drei Grade:

  • WHO-Grad I: > 85 Prozent aller Meningeome, gutartig, operativ meist komplett entfernbar und prognostisch günstig.
  • WHO-Grad II: etwa 10 Prozent aller Meningeome, erhöhtes Wachstumspotenzial, hohe Rezidivrate nach OP.
  • WHO-Grad III: 2–3 Prozent aller Meningeome, sogenanntes anaplastisches Meningeom, bösartig, Metastasierung möglich, Strahlentherapie postoperativ indiziert, ungünstige Prognose.

Da Meningeome meist langsam wachsen, können Symptome – wie Kopfschmerzen, Gang-, Seh-, Sprech- und Sensibilitätsstörungen oder neurologische Ausfälle wie Krampfanfälle – erst im Verlauf der Erkrankung auftreten. 

Die EU-Kommission sollte letztlich rechtlich bindend über die Empfehlungen entscheiden, außerdem wurde ein Rote-Hand-Brief angekündigt. Dieser wurde nun veröffentlicht, wie die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) informiert.

Hinweis auf erhöhtes Meningeomrisiko in allen Produktinformationen

Wie die AMK ausführt, sind in Deutschland derzeit zwar nur „niedrig dosierte Chlormadinon- (bis 2 mg) und Nomegestrol-haltige (bis 2,5 mg) Arzneimittel zugelassen“, jedoch soll auch in den Produktinformationen der niedrig dosierten Chlormadinon- und Nomegestrol-Arzneimittel auf das Risiko der höher dosierten Präparate hingewiesen werden, heißt es. Außerdem sind die Wirkstoffe – egal in welcher Dosierung – bei allen Patienten kontraindiziert, die ein Meningeom haben oder eines in der Vorgeschichte hatten.

Als hoch dosiert gelten Arzneimittel, die Chlormadinonacetat mit 5–10 mg je Tablette enthalten oder Nomegestrolacetat mit 3,75–5 mg je Tablette. Solche Präparate sind beispielsweise in Frankreich erhältlich. 

Bei welchen Dosierungen ist das Risiko für Meningeome erhöht?

Wie dem Rote-Hand-Brief (RHB) nun zu entnehmen ist, steigt das Risiko mit der kumulativen Dosis der Hormone. Diese Erkenntnis basiert auf zwei französischen epidemiologischen Kohortenstudien. Darin wurde die Inzidenz eines mittels Operation oder Strahlentherapie behandelten Meningeoms zwischen Frauen verglichen,  

  • die hochdosiertem Chlormadinonacetat (kumulative Dosis > 360 mg) oder hochdosiertem Nomegestrolacetat (kumulative Dosis > 150 mg) ausgesetzt waren,
  • und Frauen, die lediglich eine geringe Exposition gegenüber Chlormadinonacetat (kumulative Dosis ≤ 360 mg) oder Nomegestrolacetat (kumulative Dosis ≤ 150 mg) hatten.

Eine kumulative Dosis von beispielsweise 1,44 g kann einer etwa 5-monatigen Behandlung mit 10 mg/Tag entsprechen“, heißt es bei Chlormadinon zur Einordnung. Das entspricht in Patientenjahren einer Meningeom-Inzidenzrate von 11,3/100.000 gegenüber 6,8/100.000, wenn nur eine leichte Exposition vorliegt (kumulative Dosis ≤ 360 mg). 

Zu Nomegestrolacetat heißt es, dass eine kumulative Dosis von beispielsweise 1,2 g einer 18-monatigen Behandlung mit 5 mg/Tag für 14 Tage pro Monat entsprechen könne. Damit wird die Inzidenzrate in Patientenjahren von 7,0/100.000 bei leichter Exposition (kumulative Dosis ≤ 150 mg) auf 17,5/100.000 erhöht.

Gut zu wissen: Was bedeutet „kumulative Dosis“?

Der Begriff kumulative Dosis bezieht sich auf die Gesamtdosis eines Arzneimittels, die über einen bestimmten Zeitraum auf den gesamten Organismus einwirkt. Durch Addition der Einzeldosen ergibt sich die kumulative Dosis. 

„Angesichts dieser Daten sollte die Behandlung mit hochdosiertem Chlormadinonacetat oder hochdosiertem Nomegestrolacetat auf Situationen beschränkt werden, in denen alternative Maßnahmen als ungeeignet erachtet werden. Die Behandlung sollte auf die niedrigste wirksame Dosis und die kürzeste Dauer beschränkt werden.“

„Rote-Hand-Brief zu Chlormadinon und Nomegestrol: Maßnahmen zur Minimierung des Meningeomrisikos“, 9.11.2022

Auch bei niedrigdosierten Produkten ist Vorsicht geboten

Neue Sicherheitsbedenken hinsichtlich eines Meningeomrisikos im Zusammenhang mit der Anwendung von chlormadinonacetathaltigen Arzneimitteln in niedriger Dosierung (2 mg) oder nomegestrolacetathaltigen Verhütungsmitteln in niedriger Dosierung (2,5 mg) seien jedoch nicht festgestellt worden.

Allerdings heißt es auch zu solchen niedrig dosierten Präparaten: „Da jedoch das Risiko eines Meningeoms mit zunehmender kumulativer Dosis von chlormadinonacetat- oder nomegestrolacetathaltigen Arzneimitteln ansteigt, sind niedrigdosierte Produkte bei Patientinnen mit bestehendem Meningeom oder einem Meningeom in der Vorgeschichte kontraindiziert und die Behandlung sollte bei Anzeichen und Symptomen eines Meningeoms dauerhaft eingestellt werden.“ Das betrifft also auch in Deutschland erhältliche „Pillen“ zur hormonellen Verhütung.