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Zum Internationalen Tag der seelischen Gesundheit: Mental Health auf TikTok: Helfen Online-Psychologen?

junge Frau schaut traurig auf Smartphone
Experten mahnen zur Vorsicht, mithilfe von Online-Psychologen auf Social Media Selbstdiagnosen zu stellen. | Bild: Paolese/ AdobeStock

Sind Sie manchmal unkonzentriert? Finden Sie oft blaue Flecken an sich, weil Sie immer wieder gegen Möbel stoßen? Und blödeln Sie manchmal herum? Tja, dann wird das vermutlich ADHS sein. Solche und ähnliche pauschale Diagnosen werden in bestimmten Filterblasen in sozialen Medien wie Instagram oder TikTok exzessiv vergeben. 

Sucht man etwa nach dem Stichwort „Psychologie“ auf Instagram, werden auf Anhieb Dutzende Profile angezeigt. Die Psychologin Angelina Hahn nimmt ein sehr diverses Angebot an therapeutischen Inhalten wahr. „Es gibt gute Therapeuten und Ärzte, die Themen rund um psychische Gesundheit der breiten Masse verfügbar machen. Es gibt aber auch Laien, die das vielleicht gerade erst studieren“, sagt sie.

Mentale Gesundheit kein Tabu in sozialen Medien

Was sich nach dummem Internetgequatsche anhört, muss nicht immer negativ sein. „Ich finde, es ist eine großartige Sache, dass mehr über psychische Krankheiten gesprochen wird, und vor allem junge Menschen für diese Themen sensibilisiert werden“, sagt der Medienpsychologe Joachim Schmidt. 

Auch Hahn sieht das ähnlich. „Ich finde es schön, dass das Thema auf diese Weise den Menschen zugänglich gemacht wird. Bei der älteren Generation wäre das vielleicht noch ein Tabu.“ Solche Angebote reduzierten ihrer Meinung nach auch die Hemmschwelle, sich echte Hilfe zu suchen. „Und: Ich denke, es gibt den Menschen das Gefühl, dass sie nicht alleine sind.“

Denn: Im Netz geht es natürlich nicht nur um ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung), weiß Schmidt. „Depression, Narzissmus, Ängste: Das sind Diagnosen, die in solchen Beiträgen oft vorkommen.“ Das liege seiner Ansicht nach auch daran, dass solche Krankheitsbilder auf den ersten Blick vermeintlich einfacher erkennbar seien. „Und viele Menschen meinen, Ahnung von psychischen Krankheiten zu haben.“

Vorsicht vor Selbstdiagnosen mit Social Media

Ebenso wie man mit seinen Leiden nicht alleine bleiben müsse, sei auch Vorsicht bei Selbstanalysen geboten, so der Psychologe. „Bei meinen Klienten stelle ich immer wieder fest, dass sie sich die Infos aus Social Media besorgen und dann versuchen, es auf ihr eigenes Empfinden anzuwenden“, sagt Schmidt. 

„Selbstdiagnosen sind (...) zweifelhaft bis gefährlich und oft nicht passend.“

Medienpsychologe Joachim Schmidt

Wie auch in anderen medizinischen Fragen setze die Diagnose einer psychischen Erkrankung viel Wissen und Handwerkszeug voraus. Es gebe auch keine Patentrezepte, da sich gerade psychische Krankheiten auch sehr individuell ausprägen können. „Viele Ratgeber werden der Komplexität eines Krankheitsbildes nicht gerecht.“

Social-Media-Profile auf Seriosität prüfen

Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen rät, die Profile genau zu überprüfen. „Wer gibt die Informationen heraus, welche Interessen können damit verbunden sein, wie seriös und vertraulich ist die Quelle und wie vollständig wird informiert?“, sagt Verbandspräsidentin Thordis Bethlehem. 

Sie mahnt zur Vorsicht: Menschen sähen in Krisen kaum eigene Stärken, Ressourcen und Chancen. Der Fokus auf Belastungen, Probleme und Defizite aber mache sie empfänglich für Selbstdiagnosen. Therapie „aus der Gießkanne“ werde dem, was Menschen brauchen, eben nicht wirklich gerecht.

Psychische Erkrankungen nehmen zu

In Deutschland seien jedes Jahr etwa ein Viertel der erwachsenen Menschen von einer psychischen Erkrankung betroffen, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. 

Von diesen 17,8 Millionen Menschen nähmen demnach aber nur rund ein Fünftel (18,9 Prozent) Kontakt zu entsprechenden Experten auf. Den Zahlen dieses Jahres zufolge gehören Angststörungen, affektive Störungen wie etwa Depressionen sowie Störungen durch Alkohol- und Medikamentenkonsum zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Menschen mit psychischem Leiden haben statistisch gesehen eine um zehn Jahre geringere Lebenserwartung.

Internationaler Tag der seelischen Gesundheit

Der Welttag der geistigen Gesundheit wurde 1992 durch die World Federation for Mental Health gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ins Leben gerufen und findet stets am 10. Oktober statt. An diesem Tag sollen mit Aktionen und Informationsveranstaltungen auf Ursachen, Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen aufmerksam gemacht werden.

In diesem Jahr bildet der Internationale Tag der seelischen Gesundheit den Auftakt zur „Woche der seelischen Gesundheit“, die vom 10. bis 20. Oktober 2023 stattfindet. Unter dem Motto „Zusammen der Angst das Gewicht nehmen“ setzt sich die Aktionswoche mit dem Thema Ängste in Krisenzeiten auseinander. Die Aktionswoche möchte auf die unterschiedlichen Strategien zur Bewältigung und auf das vielfältige psychosoziale Hilfsangebot in Deutschland aufmerksam machen sowie zum gemeinsamen Austausch und gegenseitiger Unterstützung aufrufen.