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Quetiapin: Lieferengpass führt auch zu Off-Label-Problemen

Quetiapin zählt zu den atypischen Neuroleptika, die im Vergleich zu den klassischen Neuroleptika (z. B. Promethazin, Pipamperon, Melperon) weniger extrapyramidal-motorische Störungen hervorrufen und ein teilweise günstigeres Wirkprofil aufweisen sollen. Demgegenüber stehen andere Risiken, allen voran eine unerwünschte Gewichtszunahme, die nicht selten therapielimitierend ist.
Zur Erinnerung: Was sind extrapyramidal-motorische Störungen?
Extrapyramidal-motorische Störungen sind Fehlfunktionen des extrapyramidal-motorischen Systems, welches u. a. für Haltung und Muskelspannung zuständig ist. Störungen dieses Systems äußern sich durch diverse Bewegungsstörungen wie Tremor, Tics, Rigor oder Zittern. /mia
Quetiapin: Inflationärer Verordnungsanstieg
Der aktuelle Arzneiverordnungsreport zählt Quetiapin zu den „blockbuster drugs“ und spricht von einem inflationären Verordnungsanstieg, der sich nicht nur mit dem moderaten Rückgang der Verschreibung „klassischer“ hochpotenter Antipsychotika wie Haloperidol erklären lässt. Vielmehr vermuten die Autoren „eine sehr hohe Rate an Off-Label-Anwendungen“, darunter Angstzustände, Delirien und Schlafstörungen.
Gut zu wissen: Der Wirkstoff Quetiapin
Der Wirkstoff Quetiapin ist in Deutschland seit dem Jahr 2000 zugelassen zur Behandlung von bipolaren Störungen und Schizophrenien, seit 2008 als Monotherapie damit verbundener depressiver Phasen und seit 2010 in retardierter Form auch als Zusatztherapie bei Major Depression – als bis dato einziges Atypikum.
Durch die Blockade von Dopamin-Rezeptoren dämpft es Angst- und Erregungszustände, als Antagonist an 5-HT2-Rezeptoren lindert es Apathie und Depression. Zudem entwickelt Quetiapin infolge eines Histamin-H1-Antagonismus eine sedierende Wirkung. Das macht den Wirkstoff offensichtlich auch für die Anwendung abseits der zugelassenen Indikationen interessant.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) appellierte bereits im Jahr 2016, aufgrund von Bedenken bezüglich der Langzeittherapie (im Hinblick auf Spätdyskinesien und metabolische Komplikationen) und fehlender Wirksamkeitsbelege von einem Off-Label-Use von Quetiapin abzusehen.
Quetiapin: Von Off-Label-Use wird abgeraten
Explizit abgeraten wurde unter anderem von der Anwendung bei Ess- und Persönlichkeitsstörungen und Substanzmissbrauch. Für die Behandlung von Schlafstörungen fehlt es damals wie heute an Evidenz.
Dennoch ist der Trend zu beobachten, dass Quetiapin und andere sedierende Antipsychotika Hypnotika mit hohem Abhängigkeitspotenzial wie Benzodiazepine und Z-Substanzen in gewisser Weise „ersetzen“.
Die zu erwartende signifikante Gewichtszunahme und weitere Nebenwirkungen ergeben aber insgesamt ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis. Ärzte werden gebeten, Quetiapin-Präparate nur wie in der Fachinformation angegeben zu verschreiben. Ein Rückgang der Nachfrage zeichnet sich bisher aber nicht ab.
Und so stellt der Lieferengpass von Quetiapin-Retardformulierungen deutlich mehr Betroffene vor ein Problem, als mit Blick auf die zugelassenen Indikationen anzunehmen wäre. Die Hersteller begründen ihn wortkarg mit Produktionsproblemen.
Beachten: Andere Anwendung bei normalen Filmtabletten
Zur Versorgung der ohnehin vulnerablen Patientengruppe kommen in Zuge ärztlicher Rücksprache prinzipiell folgende Optionen in Betracht:
- der Bezug vergleichbarer Präparate aus dem EU-Ausland (Einzelimporte nach § 73 AMG, genehmigungspflichtig!),
- der Wechsel auf ein nicht-retardiertes Quetiapin-Präparat und
- die Umstellung auf andere Wirkstoffe aus der Gruppe der atypischen Neuroleptika.
In der Praxis wird in der Regel der zweite Weg gewählt, wenn auch als Off-Label-Use und zu Lasten der Adhärenz.
Während die Einnahme von Quetiapin retard einmal täglich ohne Nahrung erfolgt, müssen die Filmtabletten zweimal täglich eingenommen werden, dafür aber unabhängig von den Mahlzeiten.
Falls sich die Patienten im Zuge dieser Notlösung die Einnahme zum Essen angewöhnen, muss beim Wechsel zurück auf die Retardtabletten wieder an die Nüchternanwendung erinnert werden.
Quetiapin: Lieferbarkeit je nach Hersteller unterschiedlich
Im Juni warteten Apotheken noch vergeblich auf jegliche Retardformulierungen. Immerhin sind seit Anfang Juli zumindest 50-mg-Präparate wieder in überschaubarer Menge lieferbar. Für höhere Dosierungen (150 mg, 200 mg, 300 mg, 400 mg und 600 mg) vertrösten Neuraxpharm, Hexal und 1A Pharma auf frühestens Ende August.
Heumann rechnet mit der Verfügbarkeit von 50 mg, 200 mg und 300 mg retard bereits Ende Juli, ebenso Cheplapharm mit dem Original Seroquel Prolong 50 mg und 200 mg.
Im Fall von Quetiapin-ratiopharm 300 mg, Quetiapin AbZ 150 mg und Quetiapin Glenmark 150 mg spekuliert man auf September. Bei Seroquel Prolong 400 mg wird wohl erst im November wieder geliefert werden. Quellen:
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Leitfaden für Ärzte zur Verordnung von Quetiapin-haltigen Arzneimitteln, Stand: Dezember 2016, aktualisiert im Juni 2024, Version 2.0 verfügbar unter file:///C:/Users/HP/Downloads/quetiapin-seroquel-aerzte.pdf
Gemeldete Lieferengpässe für Humanarzneimittel in Deutschland, Stand: Juli 2025, https://anwendungen.pharmnet-bund.de/lieferengpassmeldungen/faces/public/meldungen.xhtml;jsessionid=1C7D9DB4264558B2006DA794DE
Ludwig WD et al. Arzneiverordnungsreport 2024, Springer Verlag, 2025
Mutschler E et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2013, 10. Auflage