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Teil 11: Camu-Camu und Acerola – die Vitamin-C-Bomben

Zwei Gramm Vitamin C sollen in hundert Gramm Camu-Camu-Fruchtfleisch enthalten sein. Das ist das Vierzigfache an Vitamin C, das Orangen enthalten. Acerola punktet mit immerhin 1.000 bis 2.500 Milligramm Vitamin C pro hundert Gramm Presssaft. | Bild: samurai / AdobeStock

Das geheimnisvolle Wissen rund um Camu-Camu entspringt angeblich der heilkundlichen Schatzkiste indigener Völker, die im südamerikanischen Regenwald zuhause sind. Demnach sollen die Früchte der Camu-Camu-Pflanze gesunden Menschen jede Menge Power geben, Krankheiten und Entzündungen vorbeugen, das Immunsystem stärken, selbstverständlich auch Krebs abwehren und den Alterungsprozess verzögern. Weiterhin sollen sie das Bindegewebe straffen, die Haut festigen, Erkältungsviren und Bakterien aller Art in Schach halten, Kopfschmerzen oder gar Migräne verhindern, Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterbinden, indem sie den Blutdruck senken und die Blutgerinnung günstig beeinflussen. Die Amazonas-Völker nutzen Camu-Camu auch als Aphrodisiakum. Betont wird darüber hinaus die antidepressive Wirkung.

Der Bevölkerung westlicher Industrienationen muss die Wunderbeere zusätzlich noch beim Abnehmen helfen – sonst wäre der Kaufanreiz nicht perfekt. Angeblich haben mit Camu-Camu gefütterte Mäuse bei reichlichem Futterangebot weniger zugenommen als ihre Artgenossen aus der „Placebogruppe“. Geballtes Vitamin C, Eisen und vor allem Bioflavonoide mit höchstem antioxidativen Potenzial sind die Inhaltsstoffe, auf die die propagierten Wirkungen zurückgeführt werden.

Acerola verspricht in erster Linie die Vorbeugung von Erkältungen. Darüber hinaus soll der Verzehr der Acerola-Kirsche verjüngen und alle Organe schützen.

In Südamerika zu Hause

Camu-Camu gehört zur Familie der Myrtengewächse. Der immergrüne Strauch oder drei bis acht Meter hohe Baum ist in der Amazonasregion beheimatet. Aus den duftenden, gelblich-weißen Blüten entwickeln sich glatte, fleischige, rundliche Beeren von rötlicher bis schwärzlicher Farbe. Sie können zwei bis fünf Zentimeter groß werden. Das weiche, sehr saure Fruchtfleisch ist hellrosa. Die bitter schmeckende Beere enthält bis zu vier nierenförmige braune Samen.

Acerola-Kirschen wachsen an Sträuchern und Bäumen, die zur Familie der Malphigiengewächse zählen. Sie sind in Mittel- und Südamerika zuhause. Die fast kugeligen, roten und dünnschaligen Steinfrüchte sind ein bis zweieinhalb Zentimeter groß, meist  glatt und kahl. Sie enthalten einen harten Samen.

Kein „frischer“ Import möglich

Weder Camu-Camu-Beeren noch Acerola-Kirschen sind in Europa frisch erhältlich. Sie würden die lange Transportzeit von Südamerika nicht überstehen. Daher werden die Früchte nach der Ernte für den Export in speziellen Gefriertrocknungsverfahren zu Pulver verarbeitet. In Deutschland sind Camu-Camu und Acerola als Nahrungsergänzungsmittel in geschmacksneutralen Kapseln im Handel oder als Pulver, das in Joghurt, Müslis, Smoothies eingerührt werden soll. Es gibt auch Kapseln, die beide Vitamin-C-Bomben kombiniert enthalten. Acerola wird gerne zur Vitaminanreicherung oder zur Verstärkung des Eigenaromas anderer Fruchtsäfte verwendet. Als exotische Note findet man Acerola in Fruchteis, Konfitüren und anderen Süßigkeiten, zum Beispiel Kaubonbons.

Was ist drin?

Zwei Gramm Vitamin C sollen in hundert Gramm Camu-Camu-Fruchtfleisch enthalten sein. Das ist das Vierzigfache an Vitamin C, das Orangen enthalten. Außerdem werben die Hersteller entsprechender Nahrungsergänzungsmittel mit dem Gehalt an Vitaminen B1, B2 und B3, Eisen, Zink, Calcium, Kalium und reichlich Bioflavonoiden. Manche Produkte werden damit angepriesen, dass sie gemahlene Fruchtsamen enthalten mit zusätzlichen Polyphenolen und Betulinsäure, für die man im Internet wiederum Hinweise auf eine krebshemmende Wirkung findet. Wissenschaftliche Belege gibt es dafür nicht.

Um der Camu-Camu-Werbung einen seriösen Anstrich zu geben, wird auf Gesundheitsportalen zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) zitiert und deren Empfehlung, dass Erwachsene täglich 100 mg Vitamin C verzehren sollen. Ein Teelöffel Camu-Camu-Pulver würde ausreichen, um den Tagesbedarf an Vitamin C zu decken, heißt es dann, was suggerieren könnte, dieser Tipp komme von der DGE.

Acerola punktet mit 1.000 bis 2.500 Milligramm Vitamin C pro hundert Gramm Presssaft und ebenfalls Bioflavonoiden.

Bioflavonoide – ja, aber …

Sekundäre Pflanzenstoffe sind Bestandteile unserer täglichen Ernährung mit Gemüse, Obst, Kartoffeln, Nüssen, Getreide. Sie beeinflussen den menschlichen Stoffwechsel und es werden ihnen verschiedene gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben. Viele wissenschaftliche Studien beschäftigen sich mit sekundären Pflanzenstoffen und versuchen, deren präventives Potenzial zu bewerten. Immer wieder gibt es neue Erkenntnisse, die in der Fachliteratur veröffentlicht und in der Wissenschaft auch Anerkennung finden. Meistens handelt es sich jedoch um Tier- oder In-vitro-Versuche. Doch es gibt durchaus epidemiologische Studien am Menschen, die dazu geführt haben, dass Flavonoide heute mit einem verringerten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmte Krebserkrankungen assoziiert werden. Dennoch lassen sich aus keiner seriösen wissenschaftlichen Studie Empfehlungen für die Zufuhr einzelner oder gar isolierter sekundärer Pflanzenstoffe ableiten. Vielmehr wird die Ansicht vertreten, dass für eine potenzielle Wirkung die Zufuhr von verschiedenen Pflanzenstoffen im Verbund eines Lebensmittels notwendig ist. Deshalb empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) ganz allgemein einen hohen Verzehr an Gemüse und Obst einschließlich Hülsenfrüchten und Nüssen sowie Vollkornprodukten, um eine optimale Versorgung mit sekundären Pflanzenstoffen in ihrer ganzen Vielfalt sicherzustellen.

Auch wenn das Nahrungsergänzungsmittel-Marketing äußerst eindringlich mit der gesundheitsfördernden Wirkung seiner Produkte argumentiert: eine gesunde Kost besteht nicht aus der Gabe einzelner, konzentrierter Nahrungsbestandteile in Kapsel- oder Pulverform. Gesunde Ernährung ist ein Gesamtkonzept aus allen Lebensmittelgruppen im richtigen Verhältnis.

Vitamin C aus exotischen Früchten?

Brauchen wir zusätzliches Vitamin C aus exotischen Früchten, deren Konzentrat um die halbe Welt geflogen wird? Für deren Anbau im Regenwald Flächen gerodet und Ökosysteme noch mehr aus dem Gleichgewicht gebracht werden müssen? Diese Fragen kann man sich im Zusammenhang mit Camu-Camu und Acerola stellen. Die Antwort ist einfach: Unsere Vitamin-C-Zufuhr lässt sich problemlos mit heimischen bzw. europäischen Früchten decken. Vor allem lässt sich auf diese Weise reichlich Geld sparen. Gesunde Ernährung muss nicht teuer sein – auch wenn das häufig vermutet wird. Wer sich die geschmackliche Vielfalt allerdings etwas kosten lassen möchte, darf bei Camu-Camu und Acerola zugreifen, ohne Gefahren für seine Gesundheit zu befürchten. Als Verbraucher sollte man sich allerdings von romantischen Vorstellungen lösen, dass die Amazonas-Früchte aus „Wildwuchs“ stammen, von indigenen Völkern per Hand liebevoll aus dem Gebüsch gesammelt und ausgelesen. Oder dass man damit einen sozialen Beitrag in den einkommensschwachen Gebieten des Regenwaldes leistet. Auch wenn manche Hersteller das auf ihren Internetseiten so darstellen, dürfen Zweifel angebracht sein.

Auf einen Blick:

  • Camu-Camu-Beeren und Acerola-Kirschen gehören zu den Vitamin-C-reichsten Früchten der Welt.
  • Sie werden nach der Ernte in Süd- oder Mittelamerika für den Export zu Konzentraten und Pulvern verarbeitet.
  • Der Vitamin-C-Bedarf lässt sich problemlos mit in Europa heimischen Früchten decken. Wer seine Ernährung trotzdem mit Camu-Camu und Acerola bereichern möchte, muss keine gesundheitlichen Gefahren befürchten.
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