Superfoods
Serien
9 min merken gemerkt Artikel drucken

Tag der Chia-Samen am 23. März: Chia-Samen – nur fette Vorteile?

Aufgequollen in einem Pudding sind Chia-Samen gute Sattmacher. | Bild: Vladislav Nosik / AdobeStock

Chia-Samen tragen nicht nur das verkaufsträchtige Label „Superfood“. Sie haben innerhalb der EU auch einen rechtlichen Status, denn sie sind – mit bestimmten Auflagen – als „Novel Food“ bzw. „Neuartiges Lebensmittel“ zugelassen. 

Werbung mit Gesundheitsversprechen ist zwar nicht erlaubt, dennoch wimmelt es an Erfahrungsberichten über die schier unglaubliche Wirksamkeit von Chia. So gelten die kleinen Körner als „perfekte Gesundheitsallrounder“. In der veganen Ernährung dient Chia als Ersatz für Eiklar und Formgeber von Speisen.

Für Sportler und Azteken

Am Anfang waren es Sportler, die Chia als magischen Energiespender für sich entdeckten. Im Jahr 1997 gewann ein Nordmexikaner vom indigenen Stamm der Tarahumara einen 100-Meilen-Lauf in den USA – offenbar dank Chia. Ein amerikanischer Autor rührte mit einem Buch die Werbetrommel für die bereits bei den Azteken beliebte, dann aber in Vergessenheit geratene Nahrungspflanze und löste einen nachhaltigen Chia-Boom aus. 

Durch ihr starkes Quellvermögen gelten Chia-Samen als „Geheimwaffe“ beim Abnehmen. Ihr Gehalt an wertvollen, ungesättigten Fettsäuren soll den Blutdruck senken, den Lipidstoffwechsel normalisieren, für ein gesundes Herz-Kreislauf-System sorgen und Diabetes vorbeugen. Versprochen werden auch gesunde Haut und schöne Haare sowie eine erhöhte Leistungsfähigkeit im Sport durch starke Muskeln und Knochen.

Ein beliebter „Sattmacher“

Chia-Samen stammen vom Mexikanischen Salbei, Salvia hispanica L., einer krautigen, einjährigen Sommerpflanze aus der Lippenblütler-Familie. Das Pseudogetreide wird traditionell in vielen Ländern Lateinamerikas angebaut. Bei den mittelamerikanischen Ureinwohnern waren die circa 2 mm kleinen, geschmacklich neutralen Samenkörner der Chia-Pflanze jahrhundertelang ein beliebter „Sattmacher“, der sich roh und getrocknet verzehren ließ. 

Die Spanier brachten Chia im 15. Jahrhundert nach Europa, wo es sich gegenüber anderen Nahrungspflanzen jedoch nicht behaupten konnte. Als dann vor gut zwei Jahrzehnten in den USA der große Chia-Boom einsetzte, bekam die Pflanze in Europa ihre zweite Chance: Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) betrachtete sie mit amtstypischen Argusaugen und erteilte ihr ab 2009 stufenweise verschiedene Zulassungen, die den Verkauf in der EU erlaubten und das Importgeschäft vorantrieben.

Chia-Samen in Müslimischung, Öl und Nahrungsergänzung

Seit 2009 dürfen zum Beispiel Backwaren und Müslimischungen hierzulande Chia-Samen als „neuartige Lebensmittelzutat“ enthalten – inzwischen in einem Anteil von bis zu zehn Prozent. Seit 2013 dürfen auch ganze Chia-Samen als verpacktes Lebensmittel in den Handel gebracht werden. Vorgeschrieben ist der Hinweis, dass eine tägliche Aufnahme von 15 Gramm Chia-Samen nicht überschritten werden darf. Begründet wird die Limitierung mit fehlenden Langzeituntersuchungen in Europa. In den USA sind die Behörden großzügiger: sie halten einen Chia-Verzehr von 48 Gramm pro Tag für ungefährlich.

Auch Chia-Öl ist als „neuartige Lebensmittelzutat“ in der EU zugelassen: als Bestandteil von Ölen und Fetten in einer Menge bis zu zehn Prozent, in Nahrungsergänzungsmitteln mit einer Tageshöchstdosierung von zwei Gramm.

Heute werden Chia-Samen nicht nur in Mittel- und Südamerika angebaut und nach Europa exportiert, sondern sie kommen auch aus Südostasien und zunehmend aus Afrika, wo zwei Ernten pro Jahr möglich sind.

Woraus bestehen Chia-Samen?

Das Wort „Chia“ soll sich vom aztekischen Begriff für „fettig“ ableiten. Chia-Samen bestehen zu fast einem Drittel aus Fett, was auch die hohe Kalorienzahl von 580 kcal pro 100 Gramm erklärt. Vorteilhaft ist der hohe Anteil an Alpha-Linolensäure, einer für die menschliche Ernährung essenziellen Omega-3-Fettsäure. Kohlenhydrate sind zu 40 Prozent enthalten, drei Viertel davon sind Ballaststoffe, die eine hohe Quellfähigkeit aufweisen und das Zwölffache ihres Eigengewichtes an Flüssigkeit aufnehmen können. 

Proteine machen rund 17 Prozent der Zusammensetzung aus, darunter befinden sich vier essenzielle Aminosäuren: Isoleucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin. Im Bereich der Mikronährstoffe punkten Chia-Samen mit 631 mg Calcium, 335 mg Magnesium, 7,7 mg Eisen und 4,6 mg Zink auf 100 Gramm. Nennenswert ist auch der Gehalt an Vitamin A sowie den B-Vitaminen Niacin, Thiamin, Riboflavin und Folsäure (Angaben aus der US-Nahrungsmitteldatenbank). 

Wer jetzt ausrechnet, wie viele Mikronährstoffe sich damit im Alltag zuführen lassen, sollte dabei nicht die Tageshöchstdosis aus dem Auge verlieren: 15 Gramm Chia-Samen würden also 95 mg Calcium liefern oder 1,15 mg Eisen.

Hoher Anteil an Ballaststoffen

In verkaufsfördernden Artikeln und Erfahrungsberichten wird hauptsächlich auf die Vorteile des Ballaststoffgehalts sowie den hohen Anteil an wertvollen ungesättigten Omega-3-Fettsäuren in Chia-Samen hingewiesen.

Ballaststoffe fördern das Sättigungsgefühl und wirken günstig auf Verdauung und Darmflora. Für Diabetiker vorteilhaft ist, dass sich durch ballaststoffreiche Mahlzeiten Blutzuckerspitzen in Schach halten lassen. Auch der Cholesterinspiegel kann positiv beeinflusst werden: Wasserlösliche Ballaststoffe binden im Dünndarm freie Gallensäuren, die mit dem Stuhl ausgeschieden werden. Für die Neusynthese von Gallensäuren in der Leber greift der Körper auf seine Cholesterin-Vorräte zurück, wodurch der Gesamtcholesterinspiegel sinkt.

Diese Vorteile, die nicht speziell auf Chia, sondern auf Ballaststoffe generell zurückzuführen sind, werden im blumigen Chia-Marketing mit Vokabeln wie „Wunderwaffe“, „Gesundheitsallrounder“ oder „Nährstoffwunder“ hochgepuscht. Auch wenn gesundheitsbezogene Aussagen in der Werbung verboten sind: Ausdrücklich erlaubt ist es, mit dem hohen Ballaststoff-Gehalt (34 Gramm pro 100 g) von Chia-Samen zu werben. Dabei muss auf der Verpackung jedoch der Hinweis stehen, dass die tägliche Verzehrsmenge auf 15 Gramm begrenzt ist. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt eine tägliche Zufuhr von 30 Gramm Ballaststoffen. Mit Hilfe von 15 g Chia-Samen werden nur 17 Prozent dieser Menge abgedeckt.

Vorsicht bei Reizdarm

Es gibt im Internet aber nicht nur Jubelberichte, sondern auch Warnungen: Empfindliche Därme können auf das reichliche Ballaststoff-Angebot in Chia-Samen mit schmerzhaften Blähungen reagieren – in diesem Fall wird ein langsames Eingewöhnen mit allmählicher Dosissteigerung empfohlen.

Ein Extra-Warnhinweis ergeht an Reizdarm-Patienten: Bereits geringe Mengen der in Chia-Samen enthaltenen Saponine sowie Lektine können die Darmwand reizen. Wer zu Darmerkrankungen neigt oder gar vom Reizdarmsyndrom betroffen ist, sollte daher vorsichtig sein. Auf alle Fälle sind die Samen vor dem Verzehr einzuweichen, das macht sie verträglicher.

Chia-Samen zuvor schroten

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät zur Aufnahme von 0,5 Prozent Omega-3-Fettsäuren bezogen auf die tägliche Kalorienzufuhr. Das entspricht bei einem Erwachsenen mit einem Bedarf von 2.400 Kilokalorien etwa 1,3 Gramm Alpha-Linolensäure, das beispielsweise in einem Esslöffel Rapsöl enthalten ist. Nahrungsergänzungsmittel sind laut DGE nicht erforderlich, um den Bedarf an Omega-3-Fettsäuren zu decken.

Was Chia-Samen betrifft, so kann die darin enthaltene Alpha-Linolensäure nur dann vom Körper verwertet werden, wenn der Samen geschrotet ist – vergleichbar dem Leinsamen. Chia-Öl, dessen Tagesmenge auf 2 g beschränkt ist, enthält zu zwei Dritteln Alpha-Linolensäure und damit ungefähr genauso viel wie der Esslöffel Rapsöl.

Chia in der Küche

Es gibt weiße und schwarze Chia-Samen, die sich nur durch die Farbe unterscheiden. Im Handel angeboten werden ganze Samen, Müslis, Brotbackmischungen mit Chia, Müsliriegel, ja sogar Hundekekse mit Chia. Vegetarier und Veganer scheinen eine beliebte Zielgruppe des Chia-Marketings zu sein. 

Bei der Zubereitung veganer Speisen kann der sich bildende Schleim aus eingeweichten Chia-Samen das beim Kochen und Backen stabilisierend wirkende Eiklar ersetzen. Säfte, Smoothies und Suppen lassen sich durch gequollene Chia-Samen andicken, bis hin zur Herstellung fester Puddinge.

Man kann Chia-Samenkörner auch keimen lassen und nach wenigen Tagen die grünen Sprossen ernten. Sie schmecken würzig auf Butterbrot oder Salat. Wer Chia „pur“ essen will, sollte unbedingt an eine reichliche Flüssigkeitszufuhr denken. Oder die am besten geschroteten Samen bereits vorher einweichen, ähnlich wie bei Leinsamen. Ohne ausreichende Flüssigkeitszufuhr kann es zu bedrohlichen Verstopfungen kommen. 

Auch sollte man bei allen Koch-, Back- und Mixrezepten daran denken, die empfohlene Tageszufuhr von 15 g Samen bzw. 2 g Chia-Öl nicht zu überschreiten.

Beratung in der Apotheke

Bereits beschrieben wurde die Reizwirkung der Ballaststoffe auf einen empfindlichen Darm. Wenn ein Apothekenkunde Präparate gegen Darmbeschwerden verlangt, wäre es sinnvoll, ihn zum Beispiel auch nach dem Verzehr von Chia-Samen zu fragen. Es gibt zudem erste Hinweise auf Allergien durch Chia-Samen. Wer auf Lippenblütlerpflanzen wie Minze, Thymian, Rosmarin, Salbei oder auch auf Senf allergisch reagiert, sollte sich vor Chia in Acht nehmen.

Außerdem lassen sich Wechselwirkungen mit blutverdünnenden Arzneimitteln nicht ausschließen. Die Verbraucherzentrale empfiehlt, vor der Verwendung von Chia-Kapseln mit dem Arzt oder Apotheker zu sprechen. In der Apotheke kann das Personal seine Patienten, die Antikoagulanzien nehmen, von sich aus auf mögliche Interaktionen mit Nahrungsmitteln bzw. Nahrungsergänzungsmitteln ansprechen.

Sonstige Bedenken?

Wer Chia-Samen als „natürliche“ Quelle für wertvolle Nährstoffe betrachtet, sollte daran denken: Was ist heute schon naturbelassen? Wie natürlich ist es vor allem, Produkte tonnenweise von einem Kontinent auf den nächsten zu verfrachten? 

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) weist in ihrer Sicherheitsbewertung von Chia-Samen auf Folgendes hin: In den Anbauländern wird das Saatgut mit Pflanzenhormonen behandelt, um das Auskeimen zu synchronisieren. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die Böden vor der Aussaat mit Herbiziden behandelt werden, die in Europa nicht mehr zugelassen sind. Die Verbraucherzentrale informiert darüber, dass im Europäischen Schnellwarnsystem für Lebensmittel und Futtermittel (RASFF) mehrfach Meldungen über Aflatoxine in Chia-Samen zu finden waren. Aflatoxine sind gesundheitsschädliche Schimmelpilzgifte, die bei wiederholter Aufnahme karzinogen wirken können.

Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, haben in der Regel ein höheres ökologisches Bewusstsein. Daher ist es schwer zu verstehen, wenn gerade diese Personengruppe Nahrungsmittel kauft, die lange Transportwege hinter sich haben und die in den Herkunftsländern die heimische Landwirtschaft aus dem Gleichgewicht bringen.

Wie wäre es mit Leinsamen?

Leinsamen und Leinöl sind von ihrer Zusammensetzung her ernährungsphysiologisch den Chia-Samen ähnlich. Leinsamen bietet Ballaststoffe und die im Pflanzenbereich reichhaltigste Quelle an Alpha-Linolensäure. Leinöl bietet – wie auch Raps und Walnussöl – ebenfalls reichlich pflanzliche Omega-3-Fettsäuren.

Wer die Preise für Chia-Samen im Internet recherchiert, findet Angebote zwischen 5 und 20 Euro pro Kilo, Chia-Öl kostet zwischen 50 und 100 Euro pro Liter. Traditionelles Leinsamenschrot, Raps- und Walnussöl sind in der Regel viel preisgünstiger und haben keine interkontinentalen Transportwege hinter sich.

Auf einen Blick:

  • Chia-Samen und Chia-Öl sind als Novel Food von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit zugelassen.
  • Die Tagesdosis von 15 Gramm Chia-Samen und 2 ml Chia-Öl sollte nicht überschritten werden.
  • Chia-Samen enthalten reichlich Fett, besonders Alpha-Linolensäure.
  • Chia-Samen enthalten außerdem reichlich Ballaststoffe, was auch auf der Verpackung beworben werden darf.
  • Weitere Gesundheitsaussagen sind nicht zulässig.
  • Keine für Chia behauptete Gesundheitsaussage in Marketing-Artikeln ist wissenschaftlich bewiesen.
  • Warnhinweise gibt es für Reizdarmpatienten und Patienten, die zu Blähungen neigen. Möglich erscheinen Interaktionen mit blutverdünnenden Arzneimitteln.
Zurück