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Leseprobe PTAheute 3/2022: Mangelernährung bei Senioren: Nicht nur die Menge macht's

Nachlassendes Durstempfinden, abnehmende Sinneswahrnehmung oder Beeinträchtigungen beim Kauen und Schlucken können unter anderem zu Mangelernährung bei Senioren führen. Der Mangel sollte rasch erkannt und entsprechend gegengesteuert werden. | Bild: monkeybusinessimages – iStockphoto.com

Im Alter sind oft mehrere Faktoren an der Entstehung einer Mangelernährung beteiligt. Nach den Leitlinien der DGEM (Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V.) werden die Kriterien zur Bestimmung einer krankheitsassoziierten Mangelernährung für Erwachsene ab 65 Jahren etwas enger gefasst als für Jüngere: „Ein BMI unter 20 kg/m2 oder ein ungewollter Gewichtsverlust von mehr als fünf Prozent in den letzten drei Monaten.“

Auch eine Nüchternperiode von mehr als sieben Tagen gilt als Risikofaktor. Eine Mangelernährung erschwert den Heilungsverlauf chronischer Erkrankungen und ist mit starken Veränderungen vieler Körperfunktionen verbunden. Wird sie nicht durch adäquate Ernährungsmaßnahmen therapiert, steigt auch das Sterblichkeitsrisiko. 

Verschiedene Formen der Mangelernährung 

Eine quantitative Mangelernährung, auch Unterernährung genannt, ist gekennzeichnet durch eine ungenügende Nahrungsaufnahme und somit einen Mangel an energieliefernden Nährstoffen wie Proteinen, Kohlenhydraten, Fetten sowie Vitaminen und Mineralstoffen. Bei der qualitativen Mangelernährung (Fehlernährung) ist die Qualität der aufgenommenen Nahrung unzureichend und führt zu einer zu geringen Zufuhr von hochwertigem Protein, essenziellen Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen.  

Mögliche Ursachen 

Faktoren, die im Alter die Mangelernährung begünstigen, sind unter anderem nachlassendes Durstempfinden, abnehmende Sinneswahrnehmung, Beeinträchtigungen beim Kauen und Schlucken, Appetitstörungen sowie eine schnellere Sättigung durch die verringerte Magendehnung und erhöhte Aktivität der Sättigungshormone. 

Psychischer Stress wie Trauer und Einsamkeit, geistige Beeinträchtigungen und finanzielle Probleme führen ebenso häufig zu einer reduzierten Nahrungsaufnahme. Weiterhin haben auch manche Arzneimittel Einfluss auf den Appetit, Geschmack oder die Bioverfügbarkeit der Nährstoffe.            

Woran erkennt man eine Mangelernährung?  

Alarmsignale sind Gewichtsabnahme, reduzierte Muskelkraft, erhöhte Infektanfälligkeit, verzögerte Wundheilung, Appetitlosigkeit, ständige Müdigkeit und Teilnahmslosigkeit, äußerlich zu erkennen auch an rissiger Haut, eingefallenen Wangen, „tiefliegenden Augen“ und knochig wirkenden Händen. Weitere Anzeichen sind, dass die Kleidung immer lockerer sitzt, der Gürtel enger geschnallt werden muss und der Schmuck sehr locker hängt. 

In vielen Fällen werden bei mangelernährten Senioren eine zunehmende Gebrechlichkeit, auch Frailty genannt, und eine Sarkopenie (ausgeprägter Muskelverlust) beobachtet. Frailty ist gekennzeichnet durch eine verringerte physische Aktivität, langsame Gehweise, geschwächte Handkraft und große Erschöpfung. Bei der Sarkopenie ist der Verlust an Muskelmasse, -funktion und -kraft höher als dem Alter angemessen. Häufig ist ein Verlust an Körpergewicht keine große Abnahme der Fettmasse, sondern insbesondere der Muskelmasse und führt daher zu großen funktionellen Einschränkungen. 

Auch eine nicht ausreichende Flüssigkeitszufuhr kann schwerwiegende gesundheitliche Folgen mit sich bringen. Anzeichen der Austrocknung sind beispielsweise Mundtrockenheit, geringe Urinmenge, dunkler Morgenurin, Blutdruckabfall, Schwäche, Verwirrtheit und Kopfschmerzen.            

Das Wichtigste in Kürze:

  • Eine Mangelernährung kann qualitativ (Fehlernährung) und quantitativ (Unterernährung) vorliegen.
  • Sie wird im Alter definiert mit einem BMI unter 20 kg/m2 oder einem ungewollten Gewichtsverlust von mehr als fünf Prozent in den letzten drei Monaten.
  • Mangelernährung bedingt häufig eine Frailty (Gebrechlichkeit) und eine Sarkopenie (ausgeprägter Muskelverlust).
  • Besondere Aufmerksamkeit erhalten die Nährstoffe Protein, Wasser, Vitamin E, D, Folat, Calcium und ungesättigte Fettsäuren.

Das sollte enthalten sein 

Bei einer bestehenden Mangelernährung oder dem Risiko dafür muss auf eine individuell ausreichende Menge an Nahrung und Flüssigkeit geachtet werden. Besondere Aufmerksamkeit erhalten Proteine, Wasser, Vitamin E, D, Folat, Calcium und ungesättigte Fettsäuren. 

Vitamin E ist in vielen Pflanzenölen (z. B. Weizenkeim-, Sonnenblumen-, Distel-, Rapsöl) und Nüssen sowie Samen enthalten. Täglich sollten daher je ein Esslöffel Öl und Nüsse bzw. Samen für Salate oder zur Speisenzubereitung eingesetzt werden. Bei Schluckschwierigkeiten können es auch gemahlene Nüsse oder Nussmus als Brotaufstrich sein. 

Bei Vitamin D reicht aufgrund der nachlassenden Eigensynthese mit zunehmendem Alter sowie häufig mangelndem Aufenthalt im Freien die Zufuhr über die Nahrung (Fett­fische, Leber, Eigelb, Margarine) in der Regel nicht aus, sodass in Absprache mit dem Arzt eine bedarfsgerechte Supplementation erfolgen sollte.  

Da viel Folat in Gemüse und Obst wie Spinat, Spargel, Kohlgemüse, Tomaten und Orangen enthalten ist, wird der tägliche Verzehr von mindestens je einer Portion Obst und Gemüse empfohlen. Je nach Verträglichkeit und möglichen Problemen beim Kauen oder Schlucken können sie als Rohkost und Salat oder konsistenzangepasst gekocht, gedünstet, zerdrückt oder püriert angeboten werden. 

Calcium liegt besonders reichlich in Milch und Milchprodukten sowie grünem Gemüse, Samen und calciumhaltigem Mineralwasser vor. Täglich 200 ml eines Milchprodukts oder eines calciumangereicherten Pflanzenersatzprodukts liefern ein Viertel des Tagesbedarfs. 

Ungesättigte Fettsäuren, die unter anderem die Wundheilung unterstützen und das Immun­system stimulieren, können über den wöchent­lichen Konsum von Fisch und die tägliche Verwendung hochwertiger Pflanzenöle (z. B. Oliven-, Raps-, Lein- und Walnussöl) aufgenommen werden. 

Tipps zur Ernährung 

Zur Vermeidung von Vitaminverlusten ist auch eine sachgemäße Lagerung (kühl, abgedeckt, dunkel) und ein nur kurzes Warmhalten zu beachten. Außerdem sollten die Speisen appetitlich aussehen und mit Kräutern gewürzt sein, um den Appetit wieder anzuregen.  

Das Protokollieren der Nahrungs- und Getränkeaufnahme über mehrere Tage kann dabei helfen, die individuelle Esssituation und mögliche Mangelzustände zu erkennen. Reicht die Nährstoffaufnahme nicht aus, können die Mahlzeiten beispielsweise mit Maltodextrin, Proteinpulver oder Ölen angereichert oder zusätzlich eine Trink- und Aufbaunahrung eingesetzt werden. 

Wie erkläre ich es meinem Kunden? 

  • „Achten Sie auf Alarmsignale einer Mangelernährung wie Gewichtsverlust, Gangunsicherheit, verminderte Handkraft, schlecht heilende Wunden und Mundtrockenheit.“
  • „Um den Aufbau der Muskeln und deren Funktion zu unterstützen, sollten Sie sich so viel bewegen, wie es Ihnen körperlich möglich ist. Außerdem brauchen Sie eine ausreichende Menge an Protein. Ich kann Ihnen gerne Ihren Bedarf berechnen und zeigen, welche Lebensmittel proteinreich sind.“
  • „Ein zusätzlicher Proteindrink mit 20 g Protein auf Basis von Molkenprotein oder eine bilanzierte Trinknahrung kann helfen, Ihren täglichen Nährstoffbedarf zu decken.“

Genügend Flüssigkeit 

Zur Deckung des Flüssigkeitsbedarfs gilt als Richtwert für Senioren ab 65 Jahren eine Gesamtwasserzufuhr über Getränke und feste Nahrung von 30 ml pro Kilogramm Körpergewicht. Fällt das Trinken schwer, kann der Bedarf auch über Suppen, Breie sowie wasserhaltiges Obst und Gemüse gedeckt werden. 

Farbige Getränke wie zum Beispiel Säfte oder Schorlen, an die Funktionalität angepasste Trinkbecher sowie Trinkwecker animieren zu häufigerem Trinken. Vielen Senioren hilft es auch, sich die erforderliche Trinkmenge morgens sichtbar auf einen Tisch zu stellen und dann über den Tag verteilt zu trinken.

Weitere praktische Tipps sind, zu jeder Tasse Kaffee und direkt nach dem Gang auf das WC ein Glas Wasser zu trinken. Smoothies oder Obstsäfte liefern zusätzlich noch Vita­mine und Mineralstoffe sowie Energie über den fruchteigenen Zucker und Milchmixgetränke zusätzlich hoch­wertiges Protein, Fett und Calcium. 

Muskeln erhalten 

Die wichtigsten anabolen Stimuli für die Muskelproteinsynthese sind die ausreichende Proteinzufuhr über die Nahrung und die körperliche Aktivität. Um eine Sarkopenie zu vermeiden, sollten die Muskeln so viel trainiert werden, wie es körperlich möglich ist. Es sollte eine gleichmäßige Verteilung der Pro­teinmenge auf die einzelnen Mahlzeiten erfolgen. Die empfohlene Zufuhr für Protein liegt bei Erwachsenen über 65 Jahre bei 1 g pro kg Normalgewicht. 

Für den Muskelerhalt und den Muskelmassenaufbau wird bei gebrechlichen älteren Menschen über eine Proteinzufuhr von 1,2 bis 1,5 g pro kg Normalgewicht diskutiert. Dem Molkenprotein wird aufgrund seines hohen Leucingehalts und der schnellen Verwertbarkeit eine hohe Stimulation der Muskelproteinsynthese zugesprochen. Leucinreich sind beispielsweise Thunfisch, Fleisch und Geflügel, Hülsenfrüchte, Hartkäse, Hirse, Haferflocken und Mandeln. 

Darüber hinaus zu beachten 

Essen und Trinken sind mehr als nur Nahrungsaufnahme und die Sicherung der Nährstoffzufuhr. Geregelte Mahlzeiten geben eine Tagesstruktur und sorgen für Lebensfreude beim gemeinsamen Essen. Zur Sicherung der oralen Ernährung sollte alles nur Mögliche unternommen werden wie etwa appetitanregende Vorspeisen und Getränke, konsistenzangepasste Speisen, erforderliche Ess- und Trinkhilfen, ein angenehmes Ambiente am Esstisch und eine gute Raumluft, die unterstützend wirkt.