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Britische Forscher fordern umdenken: Antibiotika zu Ende nehmen?

Bild: dolgachov - iStockphoto.com

Wird in der Apotheke ein Antibiotikum abgegeben, so sollte das stets mit dem Rat verbunden sein: „Bitte nehmen Sie auf jeden Fall die ganze Packung, auch wenn Sie das Gefühl haben, dass es Ihnen schon besser geht.“ Dahinter steckt die Vorstellung, dass bei einem vorzeitigen Abbruch der Behandlung nicht alle Bakterien abgetötet und damit die Bildung resistenter Keime gefördert werden könnte. Dieses „eherne Gesetz“ gilt in Fachkreisen international als unumstößlich. Auch die Weltgesundheitsorganisation steht hinter dieser Regel. Wissenschaftler haben dieses Dogma schon manchmal in Frage gestellt – wie nun auch eine Gruppe britischer Wissenschaftler aus Brighton, Oxford, Southampton und London, die in der Fachwelt für Aufsehen sorgen. Antibiotika länger einzunehmen als notwendig, erhöhe das Risiko von Resistenzen, schreiben sie in der Fachzeitschrift „British Medical Journal" (BMJ). Die Autoren fordern damit Politiker, Mediziner und Anwender in der ganzen Welt zum Umdenken auf. 

Mehr Risiken für die Patienten bei längerer Behandlung

Wie begründen der Infektionsexperte Martin Llewelyn von der Brighton and Sussex Medical School und seine Kollegen ihren Vorstoß? Es gebe keine Evidenz dafür, dass eine kürzere Behandlung mit Antibiotika die Bildung resistenter Bakterien fördere oder dass diese weniger effektiv sei, stellen sie fest. Jedoch würden die Patienten unnötigen Risiken ausgesetzt, wenn sie die Mittel länger nehmen als nötig. Bei einer Behandlung mit Antibiotika könnten nämlich eigentlich harmlose Bakterien im menschlichen Körper Resistenzen entwickeln und eventuell später Infektionen auslösen. Je länger eine Antibiotika-Behandlung andauere, desto stärker sei dieser Effekt möglicherweise.

„Ich habe die Theorie, dass die frühe Beendigung einer antibiotischen Behandlung die Entstehung von resistenten Organismen fördert, immer für unlogisch gehalten“, kommentiert der Präsident der britischen Gesellschaft für Immunologie Peter Openshaw vom Imperial College London die neue Publikation. „Dieser kurze, aber maßgebliche Review stützt die Idee, dass Antibiotika sparsamer verwendet werden könnten. Außerdem zeigt er auf, wie dürftig die Beweise für eine lange Therapiedauer sind“, fügt Openshaw an.

Wie lange soll man behandeln?

Er schlägt vor, die bakterielle Belastung mit Hilfe von Antibiotika nur so weit zu reduzieren, bis sie durch das eigene Immunsystem bewältigt werden kann. Dabei denkt Openshaw in erster Linie an eigentlich gesunde Patienten mit akuten Infektionen, die die Einnahme stoppen könnten, wenn sie sich besser fühlen. Es gebe aber durchaus Situationen, in denen Antibiotika über eine längere Dauer gegeben werden müssten, wie etwa dann, wenn die körpereigene Immunabwehr mit dem Erreger überhaupt nicht zurechtkommt, bei einer geringen Penetration des Antibiotikums in den Infektionsort oder bei langsam wachsenden Organismen oder solchen mit stummen Phasen, wie etwa der Tuberkulose.

Datenlage nur ein Flickenteppich

Llewelyn und seine Kollegen sprechen sich im British Medical Journal mit Nachdruck dafür aus, die Empfehlungen für die Einnahme von Antibiotika zu überarbeiten und die Grundregel der fixen Behandlungsdauer fallen zu lassen. Sie sei nicht evidenzbasiert und falsch. Die Therapiedauer sei aus Angst vor einer Unterbehandlung und ungeachtet einer möglichen Überbehandlung wahrscheinlich meistens zu “großzügig” bemessen. Mit klaren Ideen, wie die antibiotische Therapie stattdessen gestaltet werden sollte, können die britischen Experten allerdings nicht aufwarten. Durch Studien hätten für manche Antibiotika bereits kürzere Therapiezyklen ermittelt werden können, teilen sie mit, aber die Datenlage sei derzeit noch ein Flickenteppich. Für die meisten Indikationen gebe es schlichtweg keine Studien zur Ermittlung der minimalen Behandlungsdauer. Auch die einfache Idee, aufzuhören, wenn es einem besser geht, müsse erst einmal wissenschaftlich untersucht werden.