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Semaglutid & Tirzepatid: Abnehmspritzen: Gewichtsabnahme im Alltag geringer

Semaglutid und Tirzepatid zählen zu den effektivsten Arzneimitteln zur Gewichtsreduktion bei Adipositas. Beide Wirkstoffe sind in Deutschland für die Adipositastherapie zugelassen, wobei Semaglutid (Wegovy®) als GLP-1-Rezeptoragonist und Tirzepatid (Mounjaro®) als dualer GIP/GLP-1-Rezeptoragonist wirken.
Im klinischen Alltag fehlen bislang belastbare Langzeitdaten zur Wirkung gewichtsreduzierender Therapien mit GLP-1-Rezeptoragonisten. Vor allem ist unklar, ob die in Studien dokumentierten Erfolge auch unter realen Versorgungsbedingungen erzielt werden. Anlass zur Skepsis geben die vergleichsweise hohen Abbruchraten dieser Therapieform. Zudem ist wenig darüber bekannt, welche Faktoren das Absetzen begünstigen und in welchem Ausmaß dies den angestrebten Behandlungserfolg beeinträchtigt.
Eine neue Kohortenstudie der Cleveland Clinic untersuchte nun, wie sich die Gewichtsabnahme und die glykämische Kontrolle unter Alltagsbedingungen entwickeln – insbesondere in Abhängigkeit davon, ob und wann Patienten die Therapie abbrechen.
Studie: Veränderungen der Gewichtskontrolle unter Semaglutid oder Tirzepatid
Die retrospektive Kohortenstudie wertete elektronische Gesundheitsdaten von 7.881 Patienten ohne Typ-2-Diabetes aus, die zwischen 2021 und 2023 mit Semaglutid (n = 6.109) oder Tirzepatid (n = 1.772) in der Cleveland Clinic (Ohio und Florida) behandelt wurden. Alle Teilnehmenden hatten einen BMI ≥ 30 kg/m² oder ≥ 27 kg/m² bei mindestens einer adipositasbedingten Komorbidität. Das durchschnittliche Alter betrug 51,3 Jahre, das durchschnittliche Körpergewicht lag bei 112,2 kg, der mittlere BMI bei 39,7 kg/m².
Ziel war es, Veränderungen des Körpergewichts und des HbA1c-Werts über einen Zeitraum von zwölf Monaten zu analysieren – abhängig davon, ob die Medikation beibehalten oder innerhalb des ersten Jahres abgebrochen wurde.
Ein Therapieabbruch wurde definiert als ein mehr als 90-tägiger Abstand zwischen dem Ende einer Medikamentenversorgung und dem nächsten Rezept oder dem Studienende. Abbrüche wurden in „früh“ (innerhalb von drei Monaten) und „spät“ (nach drei bis zwölf Monaten) unterteilt.
Zur Erinnerung: Was ist der HbA1c?
HbA1c steht für Hämoglobin A1c und beschreibt den Teil des Hämoglobins (Blutfarbstoff der roten Blutkörperchen), der Zucker binden kann.
Wie viel Glucose sich an Hämoglobin bindet, hängt von der Höhe des Blutzuckerspiegels ab. Diagnostisch ist der HbA1c-Wert als Langzeitblutzucker wertvoll, da er Aufschlüsse über die Blutzuckerspiegel der letzten acht bis zwölf Wochen gibt. Dies entspricht der Lebensdauer der roten Blutkörperchen.
Die Einheit des HbA1c wird in Prozent angegeben und beschreibt den Anteil am Gesamthämoglobin. Bei Gesunden liegt der HbA1c-Wert bei 5 Prozent, die Grenze für einen Diabetes zieht man bei einem Wert ab 6,5 Prozent.
Ergebnis: Gewichtsabnahme auch bei Therapieabbruch
Über 20 % der Patienten beendeten die Behandlung bereits in den ersten drei Monaten, und knapp ein weiteres Drittel setzte die Therapie im weiteren Verlauf ab. Insgesamt führten somit weniger als die Hälfte der Betroffenen die Medikation über den gesamten Zeitraum von zwölf Monaten fort. Die durchschnittliche Gewichtsreduktion nach einem Jahr betrug:
- 3,6 % bei frühem Abbruch
- 6,8 % bei spätem Abbruch
- 11,9 % bei durchgehender Therapie
Patienten, die Tirzepatid anwendeten und die Behandlung nicht abbrachen, erreichten die höchste Gewichtsreduktion: 15,3 %. Zum Vergleich: Unter durchgehender Semaglutid-Therapie waren es 10,9 %.
Besonders hohe Effekte wurden bei höherer Erhaltungsdosierung beobachtet (≥ 10 mg Tirzepatid bzw. ≥ 1,7 mg Semaglutid), mit einem mittleren Gewichtsverlust von 18,0 % (Tirzepatid) bzw. 13,7 % (Semaglutid).
HbA1c: Besserung bei Patienten mit Prädiabetes
Von den Teilnehmenden hatten 1.320 zu Studienbeginn einen prädiabetischen HbA1c-Wert (5,7 %–6,4 %). Von diesen Patienten lagen für 895 auch HbA1c-Werte nach einem Jahr vor – nur diese konnten für die Auswertung der glykämischen Entwicklung herangezogen werden. Nach einem Jahr zeigte sich auch hier ein deutlicher Zusammenhang zwischen Therapieadhärenz und Wirksamkeit:
- Früh abgebrochen: HbA1c-Senkung 0,1 %
- Spät abgebrochen: 0,2 %
- Therapie durchgehend: 0,4 %
Auch die Rückkehr zur Normoglykämie war stark abhängig vom Therapieerhalt:
- 67,9 % erreichten Normoglykämie bei durchgehender Behandlung,
- nur 33,1 % bei frühem Abbruch und
- 41 % bei spätem Abbruch.
Semaglutid oder Tirzepatid: Was beeinflusst den Therapieerfolg?
In der multivariaten Analyse waren folgende Faktoren mit einer ≥ 10%igen Gewichtsabnahme assoziiert:
- durchgehende Therapie
- spätere Abbrüche
- Tirzepatid
- hohe Dosierung
- weibliches Geschlecht
Auffallend ist, dass jene Patienten, die die Therapie über ein Jahr hinweg fortsetzten und eine hohe Erhaltungsdosis erhielten, Gewichtsverluste erzielten, die nahe an die Ergebnisse anderer klinischer Studien heranreichen (15 %–20 % Verlust des Körpergewichts): Im Mittel verloren Patienten mit Semaglutid 13,7 % und mit Tirzepatid 20,2 % ihres Körpergewichts.
Gut zu wissen: Was ist eine multivariate Analyse?
Bei einer multivariaten Analyse werden mehrere Einflussfaktoren gleichzeitig statistisch berücksichtigt. In der hier beschriebenen Studie wurde beispielsweise geprüft, welche Merkmale (z. B. Geschlecht, Medikament, Dosierung, Therapietreue) unabhängig voneinander mit einem Gewichtsverlust ≥ 10 % assoziiert sind. Ziel ist es, verzerrende Effekte auszuschließen und aussagekräftige Zusammenhänge zu identifizieren.
Klinischer Erfolg ist abhängig von Therapietreue und Dosierung
Die durchschnittliche Gewichtsabnahme unter Alltagsbedingungen fällt geringer aus als in den zulassungsrelevanten Phase-3-Studien. Ein entscheidender Grund dafür ist die hohe Abbruchrate. Zur Erinnerung: Weniger als die Hälfte der Patienten hielt die Behandlung ein Jahr lang durch.
Doch selbst unter denjenigen, die die Medikamente durchgängig anwendeten, war der Therapieerfolg unterschiedlich stark ausgeprägt. Ein wesentlicher Grund: Die Mehrzahl der Patienten erhielt eine vergleichsweise niedrige Erhaltungsdosis (≤ 1 mg wöchentlich Semaglutid bzw. ≤ 7,5 mg wöchentlich Tirzepatid). In der Studie lagen bei über 80 % der Fälle die verschriebenen Dosen unterhalb der in Studien als wirksam getesteten Höchstdosierungen (z. B. < 2,4 mg Semaglutid oder < 15 mg Tirzepatid wöchentlich).
Mehrere Faktoren dürften hierfür verantwortlich sein: Zum einen kann die Dosissteigerung aufgrund von Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen oder gastrointestinalen Beschwerden nicht bei allen Patienten planmäßig erfolgen. Insbesondere zu Beginn der Therapie ist die Verträglichkeit oft eingeschränkt, sodass höhere Dosen nicht erreicht werden.
Zum anderen spielen auch Versorgungsprobleme eine Rolle: In den USA kam es während des Studienzeitraums immer wieder zu Lieferengpässen, was eine kontinuierliche Versorgung erschwerte. Auch Kostenfaktoren und Erstattungsprobleme könnten den Zugang zu höheren Dosen limitiert haben.
Mögliche Einschränkungen der Studie bedenken
Die Ergebnisse sind vor allem im Kontext des Studiendesigns zu sehen: Erfasst wurden ausschließlich Daten aus der Cleveland Clinic in Ohio und Florida, was die Übertragbarkeit auf andere Versorgungsstrukturen und Patientencharakteristika einschränken kann. Hinzu kamen Lieferengpässe bei den untersuchten Präparaten, die Therapieabbrüche begünstigt haben könnten.
Nicht berücksichtigt wurden außerdem begleitende Maßnahmen wie Ernährungsberatung oder Bewegungstherapie, ebenso die individuellen Gründe für ein Absetzen der Medikation. Als retrospektive Studie wurden zudem bereits dokumentierte Daten ausgewertet, wodurch mögliche Verzerrungen nicht ausgeschlossen werden können.
Patienten mit Semaglutid oder Tirzepatid langfristig begleiten
Für das pharmazeutische Personal bedeutet das: Nicht nur die Therapietreue, sondern auch die Frage der individuellen Dosisanpassung sollte bei der Betreuung von Patienten aktiv im Blick behalten werden. Wer zu früh abbricht oder auf einer suboptimalen Dosis verbleibt, hat deutlich geringere Chancen auf eine Gewichtsreduktion – oder auf eine Verbesserung des glykämischen Profils bei Prädiabetes. Quellen:
- Gasoyan H, Butsch WS, Schulte R, et al. Changes in weight and glycemic control following obesity treatment with semaglutide or tirzepatide by discontinuation status. Obesity (Silver Spring). 2025;1‐11. doi:10.1002/oby.2433
- https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/oby.24331
- https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2025/06/17/wie-vielen-patientenhelfen-semaglutid-und-tirzepatid
- https://www.pharmazeutische-zeitung.de/abnehmspritzen-in-der-realitaet-weniger-effektiv-alsin-studien-156631/
- https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Adipositas-Medikamente-Gewichtsabnahme-imklinischen-Alltag-wohl-geringer-als-in-Studien-458875.html
- https://www.doccheck.com/de/detail/articles/51325-semaglutid-nadelt-es-im-spritzenwald
- https://allgemeinarzt.digital/medizin/abnehmspritzen-geringerer-gewichtsverlust-unteralltagsbedingungen/
- https://www.docinside.ch/abnehmspritzen-praxis-gewichtsverlust-studien
- https://www.it-boltwise.de/cleveland-clinic-studie-gewichtsverlust-durch-injektionen-in-derpraxis-geringer-als-in-studien.htm