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Sind Nikotinpflaster bei Long COVID wirksam?

Die möglichen Langzeitfolgen einer COVID-19-Infektion, besser bekannt als Long COVID, sind immer noch in großen Teilen rätselhaft. Rund fünf bis zehn Prozent aller COVID-19-Infizierten entwickeln ein Spektrum unterschiedlicher anhaltender Gesundheitsbeeinträchtigungen nach der Genesung, die länger als drei Monate anhalten.
Nach derzeitigem Stand wird davon ausgegangen, dass etwa ein bis zwei Prozent aller SARS-CoV-2-Infizierten eine schwere Form von Long COVID entwickeln, bei der nach mindestens sechs Monaten auch die Diagnosekriterien für das Chronische Erschöpfungssyndrom (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS)) erfüllt werden.
Laut der klinischen Falldefinition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert sich Long COVID anhand von zwölf Modulen:
- Anamnese einer SARS-CoV-2-Infektion
- Bestätigung von SARS-CoV-2 im Labor
- Mindestzeitraum ab Auftreten der Symptome (oder ab Datum des positiven Tests bei Asymptomatik) drei Monate
- Mindestdauer der Symptome zwei Monate
- Symptome und/oder Beeinträchtigungen: kognitive Funktionsstörungen, Müdigkeit, Kurzatmigkeit, andere
- Mindestanzahl von Symptomen
- Häufung der Symptome
- Art des zeitlichen Verlaufs der Symptome (fluktuierend, zunehmend, neu auftretend, anhaltend, rückfallend)
- Folgeerscheinungen gut beschriebener Komplikationen von COVID-19 (Schlaganfall, Herzinfarkt usw.)
- Die Symptome können nicht durch eine andere Diagnose erklärt werden
- Anwendung der Definition auf verschiedene Bevölkerungsgruppen: Separate Definition für Kinder und andere einbeziehen
- Auswirkungen auf das tägliche Leben
Im Klartext definiert die WHO Long COVID beziehungsweise den „Post-COVID-19-Zustand“ folgendermaßen:
„Der Post-COVID-19-Zustand tritt bei Personen mit einer wahrscheinlichen oder bestätigten SARS-CoV-2-Infektion in der Anamnese auf, in der Regel 3 Monate nach dem Auftreten von COVID-19 mit Symptomen, die mindestens 2 Monate andauern und nicht durch eine andere Diagnose erklärt werden können.
Häufige Symptome sind Müdigkeit, Kurzatmigkeit, kognitive Funktionsstörungen, aber auch andere und sie haben im Allgemeinen Auswirkungen auf das tägliche Leben. Die Symptome können neu auftreten, nach einer zunächst Erholung von einer akuten COVID-19-Episode oder seit der Ersterkrankung bestehen bleiben. Die Symptome können auch schwanken oder im Laufe der Zeit wiederkehren.“
Dementsprechend gibt es ein Spektrum an Symptomen – einige Studien listen mehr als 200 auf. Für einen Teil der neurologischen Symptome haben deutsche Forschende einen möglichen, recht unkomplizierten Therapieansatz gefunden.
Studie: Nikotin reduziert Long-COVID-Symptome
Die Forschenden um Dr. med. Marco Leitzke, Oberarzt am Department für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie und Palliativmedizin der Helios Klinik Leisnig, der mit einem Forschungsteam der Universitätsmedizin Leipzig zusammenarbeitete, veröffentlichten ihre Ergebnisse im Fachmagazin Bioelectronic MedicineBioelectronic Medicine: "Long COVID – a critical disruption of cholinergic neurotransmission?", Stand: 02/2025 .
Ihr Ansatz: Sie behandelten Patienten mit Nikotinpflastern und machten vor und nach der zehntägigen Behandlung Aufnahmen mit einem PET-CT (Kombination aus Positronen-Emissions-Tomografie und Computertomografie). Außerdem füllten die 231 Studienteilnehmenden einen Fragebogen zu ihrem Befinden aus.
„Bei der Behandlung mehrerer Patienten mit Long-COVID-Syndrom durch die Anwendung von Nikotinpflastern konnten wir Verbesserungen beobachten, die von sofortigen und erheblichen bis hin zu vollständigen Remissionen innerhalb sehr unterschiedlicher Zeiträume reichten“, sagt Leitzke.
Nikotin bei Long COVID: Worauf beruht der Effekt?
Der Ansatz, Nikotin als Wirkstoff im Zusammenhang mit COVID-19 zu verwenden, beruht dabei auf einem Paradox, das Forschende bereits zu Beginn der Pandemie entdeckt hattenQeios: "Low rate of daily active tobacco smoking in patients with symptomatic COVID-19", Stand: 05/2020 : Unter den COVID-19-Erkrankten waren deutlich weniger Raucher als erwartet. Rauchen galt (und gilt immer noch) an sich als ein Risikofaktor, sich eher zu infizieren oder einen schlimmeren Verlauf zu erleiden – was sich im Großen und Ganzen im Verlauf der Pandemie auch als gegeben herausstellte.
Dennoch blieb ein Effekt, der sich direkt mit Nikotin in Verbindung bringen lässt. So stellte ein französisches Forschungsteam bereits 2020 die Hypothese aufNational Library of Medicine:" A nicotinic hypothesis for Covid-19 with preventive and therapeutic implications", Stand: 06/2020 , „der nikotinische Acetylcholinrezeptor (nAChR) spielt eine Schlüsselrolle in der Pathophysiologie der COVID-19-Infektion und könnte ein Ziel für die Prävention und Kontrolle der COVID-19-Infektion darstellen“.
Demnach besitzt das Spike-Protein des COVID-19-Erregers, des SARS-CoVirus-2, die Fähigkeit, an den nAChR zu binden – SARS-CoV-2 selbst würde so als Antagonist des Neurorezeptors fungieren. Die nikotinischen Acetylcholinrezeptoren reagieren auf Acetylcholin und sind durch Nikotin und andere nikotinerge Substanzen aktivierbar. Im Nervensystem steuern diese Rezeptoren unter anderem auch die Ausschüttung verschiedener weiterer Neurotransmitter.
Nikotin verdrängt Viruspartikel von den Rezeptoren
Die Forschenden um Leitzke gingen nun davon aus, dass bei Long COVID Viruspartikel im Körper persistieren. Diese, so ihre Hypothese, blockieren einen Großteil der nAChR, was eine Erklärung für etliche der neurologischen Symptome sein könne, so die Forschenden.
„Durch die Bindung des Virus-Proteins und die Blockade dieser Rezeptoren werden die gesunde Kommunikation des Nervensystems und die damit verbundenen Abläufe gestört. Dies erklärt sowohl die kognitiven, geistigen und neuromuskulären Einschränkungen als auch die Stimmungsbeeinträchtigungen sowie die vegetativen Symptome, die das Long-COVID-19-Syndrom kennzeichnen“, schreiben sie.
In ihren Untersuchungen machten sie mittels PET-CT die nAChR vor der Behandlung bei einem Patienten mit Long COVID sichtbar, die mit Virenpartikel besetzt waren. Sie konnten zeigen, dass nach einer zehntägigen Behandlung mit Nikotinpflastern die Rezeptoren wieder befreit waren.
„Mithilfe dieses modernsten aller derzeit verfügbaren PET-CT-Systeme hatten wir die Möglichkeit, die nikotinischen Acetylcholinrezeptoren der Patientin im Rahmen eines Heilversuchs vor und nach Therapie sichtbar zu machen“, sagt Professor Dr. Osama Sabri, Seniorautor des Artikels und Direktor der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin an der Uni Leipzig.
„Wir haben die Patientin vor und nach der Nikotinpflaster-Therapie bildgebend untersucht. Die Auswertung der PET-CT/MRT-Bilder zeigt eindrucksvoll, dass das Nikotinmolekül die Rezeptoren von dem viralen Spike-Protein befreit und so die physiologische cholinerge Neutransmission wieder ermöglicht hat“, sagt Leitzke. Durch seine hohe Bindungsstärke an nAChR könne Nikotin das Virus-Protein verdrängen und somit die blockierten Rezeptoren befreien, erklärt er weiter.
Entsprechende Verbesserungen ihrer Symptome berichteten auch die übrigen 230 behandelten Studienteilnehmenden.
Nikotin bei Long COVID: Weitere Studien müssen Evidenz untermauern
„Randomisierte kontrollierte Studien seien allerdings noch erforderlich, um festzustellen, ob diese vorläufigen Ergebnisse durch Beweise untermauert werden können“, schreiben die Forschenden. „Mit der LDTN-Anwendung steht jedoch vielen Patienten eine Methode zur Verfügung, die eine hohe Wahrscheinlichkeit der Symptomlinderung bei nur geringen Nebenwirkungen bietet und für die Mehrheit der Betroffenen weltweit eine erschwingliche therapeutische Intervention darstellt. Darüber hinaus sind Dosisfindungsstudien erforderlich, um individuell angepasste Therapieschemata in Bezug auf Dosierung und Dauer der Therapie zu entwickeln“, heißt es weiter in ihrer Schlussfolgerung.
Insgesamt könnten die deutschen Forschenden so zumindest eine mögliche Erklärung und gleichzeitig eine mögliche Therapie für einen Teil der Long-COVID-Symptome anbieten. Allerdings sind weiterhin viele Fragen offen und für eine ganze Reihe der weiteren Symptome dürften zumindest noch ganz andere Pathomechanismen eine Rolle spielen.
Im Übrigen ist es nach allgemeiner Meinung von Forschenden aber keine Option, „aus gesundheitlich präventiven Gründen“ mit dem Rauchen anzufangen – die negativen Auswirkungen des Rauchens überwiegen die möglichen positiven des Wirkstoffs Nikotin bei weitem. Quellen:
- RKI; Long COVID; Stand. 16.06.2025 https://www.rki.de/SharedDocs/FAQs/DE/COVID-19/Long-COVID/FAQ_Liste_Gesundheitliche_Langzeitfolgen.html#entry_16871572
- Long COVID Deutschland, Was ist LongCOVID? https://longcoviddeutschland.org/
- World Health Organization. (2021). A clinical case definition of post COVID-19 condition by a Delphi consensus, 6 October 2021. World Health Organization. https://iris.who.int/handle/10665/345824 . Lizenz: CC BY-NC-SA 3.0 IGO
- Davis, Hannah E. et al.; Characterizing long COVID in an international cohort: 7 months of symptoms and their impact; eClinicalMedicine, Volume 38, 101019 https://www.thelancet.com/journals/eclinm/article/PIIS2589-5370(21)00299-6/fulltext
- Leitzke, M., Roach, D.T., Hesse, S. et al. Long COVID – a critical disruption of cholinergic neurotransmission?. Bioelectron Med 11, 5 (2025). https://doi.org/10.1186/s42234-025-00167-8
- Makoto Miyara, Florence Tubach, Valérie Pourcher, Capucine Morelot-Panzini, et al. (2020). Low rate of daily active tobacco smoking in patients with symptomatic COVID-19. Qeios. doi:10.32388/WPP19W.4. https://www.qeios.com/read/WPP19W.4
- Helios Klinik Leisnig; Studienerfolg verspricht wirksame Hilfe für Long-COVID-Betroffene; Pressemitteilung https://www.helios-gesundheit.de/standorte-angebote/kliniken/leisnig/news/2025/studienerfolg-verspricht-wirksame-hilfe-fuer-long-covid-betroffene/
- Changeux JP, Amoura Z, Rey FA, Miyara M. A nicotinic hypothesis for Covid-19 with preventive and therapeutic implications. C R Biol. 2020 Jun 5;343(1):33-39. doi: 10.5802/crbiol.8. PMID: 32720486. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32720486/
- Arik J. Hone, Ulises Santiago, Peta J. Harvey, Bassel Tekarli, Joanna Gajewiak, David J. Craik, Carlos J. Camacho, and J. Michael McIntosh; Design, Synthesis, and Structure–Activity Relationships of Novel Peptide Derivatives of the Severe Acute Respiratory Syndrome-Coronavirus-2 Spike-Protein that Potently Inhibit Nicotinic Acetylcholine Receptors; Journal of Medicinal Chemistry 2024 67 (11), 9587-9598; DOI: 10.1021/acs.jmedchem.4c00735; https://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/acs.jmedchem.4c00735
- Benjamin Chen, Boris Julg, Sindhu Mohandas, Steven B Bradfute, RECOVER Mechanistic Pathways Task Force (2023) Viral persistence, reactivation, and mechanisms of long COVID eLife 12:e86015; https://doi.org/10.7554/eLife.86015; https://elifesciences.org/articles/86015#s2
- Uni Leipzig; Mögliche Ursache von Long Covid erforscht; Pressemitteilung; https://www.uni-leipzig.de/newsdetail/artikel/moegliche-ursache-von-long-covid-erforscht-2025-03-13