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Wann gibt es wieder Venlafaxin?

Patienten mit Depressionen, die auf Venlafaxin eingestellt sind, haben in letzter Zeit mit Lieferschwierigkeiten zu kämpfen. | Bild: Sergey Nivens / Adobe Stock

Venlafaxin zählt aktuell, wie so viele andere Wirkstoffe auch, zu den Liefer-Sorgenkindern in Apotheken. Seit Monaten gibt es immer wieder bestimmte Stärken und Darreichungsformen (schnellfreisetzende Tablette oder Retardpräparat) nicht. Das Problem: Das Antidepressivum ist nicht einfach zu ersetzen, denn eine direkte Alternative existiert nicht.

Venlafaxin nicht einfach ersetzbar

Auch wenn Duloxetin und Milnacipran – wie Venlafaxin – zu den Serotonin-Noradrenalin- Wiederaufnahmehemmern (SNRI, Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren) zählen und Venlafaxin sozusagen am „nächsten“ kommen, gibt es zwischen den Wirkstoffen Unterschiede.

Erschwerend kommt hinzu, dass Depressionen kein ganz leicht zu therapierendes Feld sind. 20 Prozent der Patienten mit einer Major Depression erweisen sich als therapieresistent – meist sind Arzt, Patient und Psychotherapeut froh, einen Wirkstoff gefunden zu haben, auf den der Patient anspricht und den er auch gut verträgt.

Venlafaxin das häufigste SNRI

Venlafaxin wird aus der Gruppe der SNRI am häufigsten eingesetzt. 2018 waren es 200,7 Millionen definierte Tagesdosen (DDD = defined daily dose), bei Duloxetin waren es 79,4 Millionen DDD und bei Milnacipran lediglich 3,4 Millionen DDD. Wobei vor allem Milnacipran (einziges Präparat in Deutschland: Milnaneurax®) auf dem Vormarsch ist. 2018 wurden 43,4 Prozent mehr DDD verordnet als noch 2017. Allerdings kostet die Tagesdosis von Milnacipran 1,65 Euro, bei Duloxetin im Mittel 1,19 Euro und bei Venlafaxin nur 40 Cent.

Zur Erinnerung: Bei welchen Erkrankungen wird Venlafaxin eingesetzt?

Venlafaxin mit verzögerter Freisetzung (retardiert) wird eingesetzt zur Behandlung von Episoden einer Major Depression (schwere Depression), Rezidivprophylaxe von Episoden einer Major Depression, zur Behandlung der generalisierten Angststörung und der sozialen Angststörung sowie zur Behandlung der Panikstörung, mit oder ohne Agoraphobie (Platzangst). Die schnellfreisetzenden Tabletten sind lediglich indiziert zur Behandlung von Episoden einer Major Depression und zur Vorbeugung des Wiederauftretens neuer depressiver Episoden (Rezidivprophylaxe).

Der antidepressive Wirkmechanismus von Venlafaxin wird auf eine Erhöhung der Aktivität bestimmter Botenstoffe im Zentralnervensystem zurückgeführt. Venlafaxin hemmt dort die Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme und laut Fachinformation auch schwach die von Dopamin.

Behörde beschäftigt sich mit Venlafaxin

Der Engpass bei Venlafaxin hat auch das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) erreicht. In regelmäßigen Abständen findet dort – unter anderem mit Vertretern aus Industrie, Politik und Pharmaverbänden – ein Jour fixe zum Thema Liefer- und Versorgungsengpässe statt. Im letzten Jour fixe stand auch Venlafaxin auf der Tagesordnung.

Jour fixe zu Liefer- und Versorgungsengpässen – was ist das? 

In regelmäßigen Abständen treffen sich Vertreter vom BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte), PEI (Paul-Ehrlich-Institut), von den Arzneimittelkommissionen der Ärzte und Apotheker (AkdÄ und AMK), aus Politik (Bundesgesundheitsministerium) und Pharmaverbänden, Krankenhausapotheker, der ABDA, dem Großhandel und der Wissenschaft, um über Lieferengpässe zu sprechen. Welche Arzneimittel sind knapp, bei welchen gibt es einen Lieferabriss, welche Wirkstoffe sind „versorgungsrelevant“ und für welche Präparate ist der Lieferengpass beendet – das sind unter anderem Themen und Fragen, mit denen sich die Experten im sogenannten Jour fixe (Definition laut Duden: regelmäßig stattfindendes Treffen eines bestimmten Personenkreises) auseinandersetzen.

Sie pflegen auch eine Liste mit besonders versorgungsrelevanten, engpassgefährdeten Arzneimitteln. Diese soll dabei helfen, gezielt die Versorgung mit diesen Arzneimitteln sicherzustellen. Am 08.09.2016 fand der erste Jour fixe im BfArM statt. Die Ergebnisse des Jour fixe veröffentlicht das BfArM regelmäßig auf seiner Homepage. Zuletzt tagten die Experten im November 2019.

Venlafaxin: kein „versorgungsrelevanter“ Wirkstoff

Die Jour-fixe-Experten sehen die Situation bei Venlafaxin allerdings, dem Ton der nun veröffentlichten Kurzinformation zufolge, nicht so dramatisch – es handele sich nicht um einen „versorgungsrelevanten“ Engpass. Wörtlich zu lesen ist dort: „Venlafaxin: Wirkstoff ist nicht Bestandteil der Liste versorgungsrelevanter Wirkstoffe. Einige Arzneimittel sind nicht oder nur eingeschränkt verfügbar. Ein Lieferabriss ist nach Kenntnis des BfArM nicht eingetreten.“

Was sind „versorgungsrelevante“ Arzneimittel?

Nach Ansicht der Behörde müssen zwei grundsätzliche Voraussetzungen erfüllt sein: Damit Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen „Versorgungsrelevanz“ erlangen, müssen sie verschreibungspflichtig und „für die Gesamtbevölkerung relevant“ sein, definiert das BfArM auf seiner Seite. Letzteres ist für Venlafaxin nach dem Ergebnis des Jour fixe nicht gegeben.

Depressionen unterschätzt

Interessant ist an dieser Stelle allerdings einer der ersten Sätze der S3-Leitlinie Unipolare Depression: „Depressionen zählen zu den häufigsten, aber hinsichtlich ihrer individuellen und gesellschaftlichen Bedeutung meistunterschätzten Erkrankungen“ – der vielleicht zum Nachdenken anregt.

Lieferbar Ende März 2020

Entspannung ist wohl bei der Lieferbarkeit von Venlafaxin zumindest in Sicht. Auch hier äußerten sich die Jour-fixe-Experten. Bereits zum Ende 2019 sollte sich die Liefersituation verbessern. Eine umfassende Verfügbarkeit für das Antidepressivum ist für Ende des ersten Quartals 2020 vorausgesagt.