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Leseprobe PTAheute 8/2020: Ernste Diagnose

Foto: Robina Weermeijer – Unsplash.com

In Krebsstatistiken liegt Lungenkrebs auf den vorderen Rängen: Jährlich erkranken in Deutschland etwa 57.500 Menschen an einem Bronchialkarzinom − bei Männern ist es die zweithäufigste Krebserkrankung, bei Frauen die dritthäufigste. Weil sich ein Bronchialkarzinom erst spät durch Beschwerden und Symptome bemerkbar macht und es zudem kein Früherkennungsprogramm für Lungenkrebs gibt, wird er oft erst in fortgeschrittenem Stadium entdeckt. Je nach Art der Krebszellen gibt es dann häufig schon Metastasen und es ist nur noch eine palliative Behandlung zur Linderung der Beschwerden möglich. So kommt es, dass Lungenkrebs bei Männern die Krebs-Todesursache Nummer eins ist, bei den Frauen rangiert er auf Platz zwei.

Lungenkrebs geht von den Zellen der Bronchien aus. Davon zu unterscheiden sind Metastasen in der Lunge, die sich von anderen Tumoren abgesiedelt haben. Nach einer Biopsie lassen sich die Krebszellen unter dem Mikro­­skop in zwei Unterarten einteilen, die sich durch das Aussehen und die Größe der Zellen unterscheiden. Nicht kleinzelliger Lungenkrebs (non-small cell lung carcinoma, abgekürzt NSCLC) ist für etwa 85 % der Lungenkrebsfälle verantwortlich, kleinzelliger Lungenkrebs (small cell lung carcinoma, abgekürzt SCLC) für etwa 15 %. Kleinzellige Tumoren wachsen in der Regel besonders schnell und bilden schon früh Metastasen.

Moderne Entwicklung

Neben der mikroskopischen Untersuchung wird heute auch eine molekulare Diagnostik angewendet, die den Krebs auf spezifische Merkmale hin untersucht, beispielsweise bestimmte Mutationen. Dadurch ergeben sich neue maßgeschneiderte Behandlungskonzepte, welche die Chancen für eine erfolgreiche Behandlung steigern − denn das Lungenkarzinom gehört zu den bösartigen Erkrankungen mit der höchsten Zahl an genetischen Veränderungen. Die modernen Entwicklungen in der Onkologie schlagen sich auch in der S3-Leitlinie zum Lungenkarzinom nieder: Sie wurde aufgrund der neuen Diagnostikmethoden und Therapiemöglichkeiten im Februar 2018 umfassend aktualisiert.

Kleinzelliger Lungenkrebs

Die meisten Betroffenen mit kleinzelligem Lungenkrebs (SCLC) haben selbst im frühen Stadium keinen Tumor, der sich operativ entfernen lässt. Dies gilt auch für den Großteil der Patienten mit kleinzelligem Lungenkrebs, die bei der Diagnose einen Tumor im fortgeschrittenen Stadium haben. „Fortgeschritten“ bedeutet, dass bereits Metastasen im anderen Lungenflügel oder in weiteren Organen vorliegen ­­− in dieser Situation geht es vor allem darum, die Lebensqualität zu erhalten oder zu verbessern sowie den Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Heilbar ist die Krankheit dann in der Regel nicht mehr.

Das Wichtigste in Kürze

  • Häufig wird ein Bronchialkarzinom erst spät entdeckt, weil im frühen Stadium keine Beschwerden auftreten und es kein Früherkennungsprogramm gibt.
  • Je nach Aussehen und Größe der Krebszellen unterscheidet man kleinzelligen und nicht kleinzelligen Lungenkrebs.
  • Kleinzellige Tumoren wachsen schneller und bilden früh Metastasen. Sie können selten operiert werden. Wegen der hohen Zellteilungsrate sprechen sie gut auf Chemotherapie und Bestrahlung an.
  • Beim nicht kleinzelligen Lungenkrebs wird der Tumor nach Möglichkeit operativ entfernt. Auch hier spielen Chemotherapie und Bestrahlung eine wichtige Rolle.
  • Neue Ansätze gehen zielgerichtet verschiedene Mutationen an, die in Lungenkrebszellen auftreten. Wichtige Arzneistoffe sind Immun-Checkpoint-Hemmer, welche die Immunabwehr gegen Krebszellen aktivieren, und verschiedene Kinasehemmer. Mutierte Kinasen sorgen für einen ständigen Wachstumsreiz bei den Krebszellen.

Schnelle Zellteilung

Da sich die Zellen beim kleinzelligen Lungenkrebs sehr schnell teilen, reagiert der Tumor besonders empfindlich auf eine Chemotherapie; deshalb ist diese die wichtigste Behandlung beim SCLC. Als Standardtherapie erhalten Betroffene eine Kombination aus zwei Medikamenten: Das eine enthält Platin, wie etwa Cis­platin oder Carboplatin. Das andere ist meist Etoposid. Auch andere Chemotherapeutika kommen infrage; die Kombination richtet sich auch nach dem Gesundheitszustand des Betroffenen. Die Standardtherapie enthält vier bis sechs Zyklen. Jeder Zyklus umfasst an drei aufeinanderfolgenden Tagen eine Infusion mit den Chemotherapeutika. Danach schließt sich eine Pause von zweieinhalb Wochen an. In der Pause soll sich das gesunde Gewebe von der Chemotherapie erholen, bevor der nächste Zyklus beginnt.

Zusätzliche Bestrahlung

Vor allem Frauen und Patienten unter 70 Jahren mit einem Resttumor profitieren von einer Primärtumorbestrahlung. Voraussetzung für die Bestrahlung ist, dass der Tumor und eventuelle Metastasen gut auf die Chemotherapie angesprochen haben. Betroffene müssen außerdem so gesund sein, dass sie die zusätzliche Belastung gut verkraften können.

Nach dem Gesundheitszustand richtet sich auch, ob die Ärzte die Bestrahlung gleichzeitig mit der Chemotherapie durchführen oder danach.

Neuer Ansatz Immuntherapie

Ein neuer Ansatz ist in den letzten Jahren in Deutschland zugelassen worden: sogenannte Immun-Checkpoint-Hemmer. Diese Kontrollpunkte oder englisch „Checkpoints“ auf der Zelloberfläche verhindern normalerweise eine überschießende Reaktion des Immunsystems gegen eigene, gesunde Zellen. Sie sind also ein Schutzmechanismus gegen Autoimmunreaktionen. Manche Tumoren weisen erhöhte Mengen des Proteins PDL-1 an der Zelloberfläche auf; dadurch hemmen sie die Aktivität von T-Zellen, die den Tumor eigentlich erkennen und bekämpfen könnten.

Die Wirkstoffe Atezolizumab und Pembrolizumab blockieren die Wirkung des vom Tumorgewebe hergestellten PDL-1-Proteins, aktivieren die Immunabwehr gegen Krebszellen und können so das Tumorwachstum hemmen. Bisherige Bewertungen zeigen, dass die neuen Arzneistoffe Patienten viele Vorteile bringen: In Wirksamkeits-Endpunkten wie Tumor­ansprechen, Überlebenszeit, Verträglichkeit und Lebensqualität ist die gezielte Therapie einer Chemotherapie überlegen.

Nicht kleinzelliger Lungenkrebs

Nicht kleinzelliger Lungenkrebs (NSCLC) wächst langsamer als der kleinzellige, trotzdem wird er oft erst spät entdeckt. Die Behandlung richtet sich vor allem danach, wie fortgeschritten die Krankheit ist. So weit es möglich ist, werden Betroffene operiert. Das Ziel in frühen Krankheitsstadien ist die vollständige Entfernung des Tumors und eine langfristige Heilung.

Wie erkläre ich es meinem Kunden?

  • „Ihr Arzt in der Klinik hat Ihnen ein Medikament gegen den Lungenkrebs verordnet. Es sind Tabletten zum Einnehmen, eine klassische Chemotherapie mit Infusion, wie Sie sie beschreiben, läuft völlig anders ab.“
  • „Die Ärztin aus der Klinik hat Ihnen die Dosierung auf dem Rezept notiert. Ich übertrage sie auf die Packung. Es ist sehr wichtig, dass Sie sich an die empfohlene Dosierung halten und die Tabletten nicht teilen oder zerdrücken.“

Operation: Ziel Heilung

Für eine Operation ist es wichtig, dass neben einem frühen Krankheitsstadium noch weitere Voraussetzungen erfüllt sind, unter anderem eine gute Herz- und eine gute Lungenfunktion. Das Ziel ist die vollständige Entfernung des Tumors; so haben Patientinnen und Patienten die Chance auf langfristige Heilung. Statistisch ist eine Operation aber nur bei 25 bis 30 von 100 Patientinnen und Patienten möglich. In der Regel entfernen Ärzte den ganzen Lungenlappen, in dem der Tumor sitzt (Lobektomie). Entfernt wird immer auch gesundes Gewebe um den Tumor herum, um sicherzugehen, dass auch die Tumoranteile entnommen werden, die für das bloße Auge unsichtbar sind. Bei Betroffenen mit größeren Tumoren oder mehreren kleinen Krebsherden in der Lunge kann es nötig sein, einen ganzen Lungenflügel zu entnehmen. Außerdem entfernen die Ärzte benachbarte Lymphknoten. Denn auch bei ihnen kann man mit bloßem Auge nicht erkennen, ob sie befallen sind. In der Regel wird anschließend eine Chemotherapie empfohlen, um winzige Tumorreste und Mikrometastasen zu zerstören. Ziel ist es, einen Rückfall möglichst zu verhindern.

Wenn nicht operiert werden kann

Wenn nicht operiert werden kann, weil es der Gesundheitszustand des Patienten nicht zulässt oder das Bronchialkarzinom zu weit fortgeschritten ist, kommen andere Behandlungsmöglichkeiten zum Einsatz: Chemotherapie, Strahlentherapie, eine kombinierte Radio-Chemotherapie, Immuntherapie und zielgerichtete Arzneimittel. Zielgerichtete Arzneimittel bedeuten für Lungenkrebspatienten einen großen Fortschritt, denn bei etwa 10 bis 15 Prozent der Patienten mit NSCLC findet man Mutationen in wachstumsfördernden Genen wie EGFR (epidermaler Wachstumsfaktor-Rezeptor), ALK (anaplastische Lymphomkinase) oder der Serin/Threonin-Kinase BRAF, die das maligne Wachstum der Krebszellen vorantreiben.

Mutationen gezielt ausnutzen

Es ist bekannt, dass aktivierende Mutationen im EGF-Rezeptor zu einem andauernden Wachstumsreiz für die betreffenden Zellen führen. Diesem kann man therapeutisch mit Tyrosinkinase-Inhibitoren entgegenwirken, die spezifisch an die mutierten EGF-Rezeptoren binden und diese blockieren. Beispiele dafür sind die Wirkstoffe Afatinib (Giotrif®), Gefitinib (Iressa® und Generika), Erlotinib (Tarceva®) oder Dacomitinib (Vizimpro®). Eine zielgerichtete Therapie zeigt in diesem Fall eine wesentlich bessere Wirksamkeit und auch eine bessere Symptomkontrolle als eine Chemotherapie.

Das Gen ALK codiert für eine Rezeptor-Tyrosinkinase, die im normalen Lungengewebe nicht aktiv ist, durch Mutation aber zum Onkogen wird und die Zellteilung antreibt. Findet sich diese Mutation in den Krebszellen eines Patienten, können ALK-Inhibitoren eingesetzt werden. Wirkstoffe sind Lorlatinib (Lorviqua®), Crizotinib (Xalkori®), Ceritinib (Zykadia®), Alectinib (Alecensa®) und Brigatinib (Alun­brig®). Auch Veränderungen der Serin/Threonin-Kinase BRAF, deren Aufgabe die Regulation von Wachstumsignalen für die Zelle ist, führen zu einem übermäßigen Wachstum. Hier können zum Beispiel die Wirkstoffe Dabrafenib (Tafinlar®) und Trametinib (Mekinist®) zu einer Apoptose der Tumorzellen führen. Gerade weil die Forschung so schnell voranschreitet, wird allen Lungenkrebspatienten empfohlen, sich im Rahmen klinischer Studien behandeln zu lassen, wann immer es möglich ist. So können sie bestmöglich von neuen Erkenntnissen profitieren.