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Paracetamol mit Algin – Wirkung bereits nach 10 Minuten?

Paracetalgin ist ein neues Paracetamol-Präparat von Ratiopharm, aber bringt es auch Vorteile? | Bild: Ratiopharm / DAZ.online

In einer neuen Zusammensetzung sind Paracetamol-Tabletten (500 mg Wirkstoff) mit Algin und Calciumcarbonat erhältlich. Bei Kontakt mit der Magensäure soll sich die Tablette besonders schnell auflösen und den Wirkstoff freisetzen, schon nach 10 Minuten wäre Paracetamol resorbiert und eine Wirkung spürbar. Laut Firmenangaben wird das Blutspiegelmaximum schon nach 25 Minuten erreicht. Normalerweise werden diese maximalen Wirkstoffkonzentrationen nach oraler Einnahme erst nach 30 bis 60 Minuten gemessen.

Zur Erinnerung: Wirkungsweise und Anwendung von Paracetamol

Der genaue Wirkungsmechanismus von Paracetamol ist bis heute nicht im Einzelnen geklärt. Die Substanz kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden und hemmt in therapeutischer Dosierung im Zentralnervensystem das Enzym Cyclooxygenase und damit die Prostaglandinsynthese. Prostaglandine sind an der Entstehung von Fieber und Schmerz sowie an entzündlichen Reaktionen beteiligt. Die periphere Bildung von Prostaglandinen in den Organen und im entzündeten Gewebe wird dagegen nicht wesentlich gehemmt. Paracetamol wirkt deshalb gut antipyretisch und analgetisch, im Gegensatz zu den klassischen Nichtsteroidalen Antiphlogistika wie Ibuprofen und Acetylsalicylsäure aber nicht ausreichend entzündungshemmend. 

Der Arzneistoff steht in zahlreichen Darreichungsformen zur Verfügung, für Erwachsene kommen vor allem Tabletten und Brausetabletten zum Einsatz. Für den Einsatz in der Kinderheilkunde stehen Zäpfchen und Lösungen zur Verfügung. Ab einem Körpergewicht von 3 kg darf Paracetamol schon bei Säuglingen eingesetzt werden, die Einzeldosis liegt dabei für Kinder bei 10 bis 15 mg pro kg Körpergewicht bis zu einer maximalen Gesamtdosis von 60 mg pro kg Körpergewicht innerhalb von 24 Stunden. Ein Dosierungsintervall von 6 Stunden sollte dabei nicht unterschritten werden. Für Kinder ab 12 Jahren und 43 kg Körpergewicht sowie für lebergesunde Erwachsene beträgt die Einzeldosis Paracetamol 500 bis 1000 mg, die Tageshöchstdosis liegt bei 4000 mg. 

Bei kurzzeitiger Anwendung und üblicher Dosierung gilt Paracetamol als gut verträglicher Arzneistoff und kann auch während der Schwangerschaft und Stillzeit eingenommen werden. Die Substanz hat allerdings eine geringe therapeutische Breite, bereits bei Dosen ab 10 g kann es zu tödlichen Leberschädigungen kommen. Aus diesem Grund ist die Abgabe von rezeptfreien Packungen mit Paracetamol in Deutschland auf 10 g pro Packung begrenzt.

Was ist eigentlich Algin?

Chemisch gesehen handelt es sich bei Algin um eine Kette von miteinander verknüpften Zuckersäuren, die in Wasser unlöslich sind. Das Polysaccharid kann aus Braunalgen gewonnen werden und wird auch als Alginsäure bezeichnet. Bei Kontakt mit Wasser kann Algin das 200- bis 300-Fache des Gewichts aufnehmen und so als Sprengmittel in Tabletten eingesetzt werden. Diese pharmazeutischen Hilfsstoffe sorgen bei der Herstellung von Tabletten dafür, dass die Darreichungsform schnell in Wasser oder im Magensaft zerfällt. Wie die Alginsäure quellen die meisten dieser Zerfallsmittel in Wasser und heben dadurch die Bindungskräfte, die den Tabletten ihre Festigkeit verleihen, auf.

Welche Rolle spielt die Zerfallszeit einer Tablette?

Für den therapeutischen Effekt einer Tablette ist nicht nur die enthaltene Dosis an Arzneistoff entscheidend, auch die Freisetzung des Wirkstoffs aus der Arzneiform spielt eine wichtige Rolle. Denn vom Freisetzungsvermögen hängt es letztendlich ab, wie schnell hohe Blutspiegel erreicht werden und eine Wirkung überhaupt eintreten kann. Ein schneller Zerfall peroraler Arzneiformen begünstigt die Aufnahme des Wirkstoffs in die Blutbahn und kann durch den Einsatz bestimmter Hilfsstoffe erreicht werden.

Paracetamol wird nach oraler Gabe meist rasch aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert, die maximale Plasmakonzentration wird zwischen 30 und 60 Minuten erreicht. Die Bioverfügbarkeit beträgt dabei meist über 90 Prozent – darunter versteht man den Anteil einer Dosis, der am Ort der Wirkung auch tatsächlich zur Verfügung steht.

Schnelle Wirkung erwünscht

Zur Behandlung akuter Schmerzen ist ein schneller Wirkungseintritt besonders wichtig. Aus diesem Grund haben zahlreiche Hersteller von Analgetika mit Ibuprofen und Acetylsalicylsäure bereits mehrere orale Formulierungen mit schnellerer Wirkung entwickelt. Für Paracetamol gab es solche „schnellwirksamen“ Präparate bisher nicht, die Firma ratiopharm möchte mit ihrem neuen Produkt Paracetalgin diese Marktlücke wohl schließen.

Hat das Produkt einen Mehrwert?

Ob die neue Kombination von Paracetamol mit Algin nun tatsächlich einen Mehrwert bietet, scheint fraglich. Auch das Arznei-Telegramm ist von dem neuen Präparat nicht unbedingt überzeugt. Ratiopharm selbst bezeichnet das Produkt Paracetalgin als „innovatives Schmerzmittel“, doch wo genau nun die Besonderheit liegt, wird nicht ganz klar. Denn das als Tablettensprengmittel verwendete Algin wird schon seit langem für diesen Zweck als pharmazeutischer Hilfsstoff eingesetzt. Die bisher bekannten Paracetamol-Tabletten von ratiopharm enthalten im Übrigen mit Maisstärke und Mikrokristalliner Cellulose ebenfalls Zerfallsmittel mit ausgeprägter Quellfähigkeit. Inwieweit die in Paracetalgin verwendete Alginsäure diesen beiden Substanzen hinsichtlich ihres Einflusses auf den Tablettenzerfall überlegen sein soll, kann aus den Firmenangaben nicht abgeleitet werden. Des Weiteren gibt es den Wirkstoff Paracetamol von mehreren Herstellern auch als Brausetablette. Bei dieser Darreichungsform werden die Tabletten bereits zerfallen eingenommen und der Wirkstoff liegt in gelöster Form vor.

Laut Werbeaussagen soll das neue Präparat schneller wirken als andere Paracetamol-Tabletten, außerdem soll innerhalb der ersten Stunde ein Drittel mehr Wirkstoff vom Körper aufgenommen werden können. Auf welches Vergleichspräparat sich diese Aussagen beziehen, geht allerdings weder aus der Werbung noch aus der Fachinformation hervor, insofern können die beworbenen Aussagen fachlich nicht eingeordnet werden. Der Firma Ratiopharm liegen entsprechende Daten nicht vor, denn Paracetalgin ist als Generikum des irischen Präparats Panadol zugelassen und solche Informationen zur Pharmakokinetik werden zur Zulassung gar nicht benötigt.