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Titandioxid in Lebensmitteln ist ab 2022 verboten: Wofür braucht man Titan­dioxid in Arznei­mitteln?

Mit dem ab 2022 geltenden Verbot von Titandioxid in Lebensmitteln stellt sich die Frage.: Darf der Stoff in Arzneimitteln dann noch eingesetzt werden? Die EMA gibt ein Statement dazu. | Bild: neirfy / AdobeStock

Es ist so weit: Wenn der Rat oder das Europäische Parlament bis Ende des Jahres keinen Einspruch mehr erheben, beginnt Anfang 2022 eine sechsmonatige Auslaufphase, nach der ein vollständiges Verbot für Titandioxid in Lebensmitteln gelten wird. Denn die EU-Mitgliedstaaten haben vergangene Woche dem Vorschlag der Europäischen Kommission zugestimmt, die Verwendung von Titandioxid (E171) als Zusatzstoff in Lebensmitteln ab 2022 zu verbieten. Man handle damit auf der Grundlage solider wissenschaftlicher Erkenntnisse, so Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) war zuvor zu dem Schluss gekommen, dass Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff nicht mehr als sicher angesehen werden kann – insbesondere hinsichtlich einer möglichen Genotoxizität, die jedoch nicht nachgewiesen, sondern nur nicht entkräftet werden konnte. Eine akute Gesundheitsgefahr besteht also nicht. Dass sich dennoch auch die Pharmaindustrie mit dem Thema auseinandersetzen muss, zeichnete sich schon 2019 ab. Was bedeutet nun das Verbot von Titandioxid in Lebensmitteln für die Arzneimittelherstellung? 

Titandioxid als Farbstoff in Arzneimitteln

In den FAQ äußert sich die Europäische Kommission neben Lebensmitteln auch zu Arzneimitteln, die E171 enthalten: Auf der Grundlage einer ebenfalls am vergangenen Freitag veröffentlichten Analyse der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zur Verwendung von Titandioxid in Arzneimitteln, soll Titandioxid bis auf Weiteres als Zusatzstoff erlaubt bleiben – um seine Verwendung in Arzneimitteln als Farbstoff zu ermöglichen. Einer der Gründe für diese Entscheidung sei die Vermeidung von Engpässen. Man müsse zunächst geeignete Alternativen untersuchen und prüfen, um negative Auswirkungen auf die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der Arzneimittel auszuschließen. Unbegrenzt Zeit lassen darf sich die Industrie aber nicht, denn die Situation soll in drei Jahren durch die EMA und die Europäische Kommission neu bewertet werden.

Gibt es Alternativen zu Titandioxid?

Wie die EMA in ihrer Analyse weiter ausführt, wird Titandioxid extensiv in der Arzneimittelherstellung genutzt: Laut den EU-Handelsverbänden enthalten etwa 91.000 Humanarzneimittel und 800 Tierarzneimittel in der EU Titandioxid. Das betrifft so gut wie alle oralen Arzneiformen: Tabletten, Weichkapseln, Hartkapseln, Granulate/Pulver für orale Lösungen oder Suspensionen, orale Pasten oder Gele – aber auch in kutanen, inhalativen (Kapselhüllen), oromukosalen, sublingualen, transdermalen und vaginalen Arzneiformen kann Titandioxid enthalten sein. Essenzielle Arzneimittel wie Antidiabetika oder Antibiotika seien betroffen.  

Dieser weit verbreitete Einsatz ist offenbar damit zu begründen, dass bislang kein einziges Material identifiziert worden sei, das über die gleiche Kombination an Eigenschaften verfügt: 

  • Lichtundurchlässigkeit
  • Kontrastverstärkung
  • TiO2 ist inert
  • UV-Schutz
  • Oberflächenbeschaffenheit des finalen Produkts

Alternativen bergen Nachteile

Gerade dort, wo Titandioxid für mehr als eine dieser Funktionen benötigt wird, sei ein Ersatz schwierig. Calciumcarbonat, Talkum und Stärke seien zwar mögliche Alternativen, diese sollen aber Nachteile mit sich bringen:  

  • keine ausreichend dünnen Filmüberzüge
  • Probleme in der Lieferkette
  • Verunreinigungsrisiko

Jedes betroffene Arzneimittel müsse zudem individuell hinsichtlich Alternativen, Neuformulierung, Auflösungs- und Stabilitätsdaten sowie potenziell Bioäquivalenz untersucht werden. All das müsse dann durch die zuständigen Zulassungsbehörden nochmals bewertet werden.

Weltweites Verbot von Titandioxid nötig

Außerdem befürchtet die EMA, dass Europa am Ende die einzige Region weltweit sein könnte, in der Titandioxid in Arzneimitteln nicht mehr verwendet werden darf. Die Industrie müsste also neue Formulierungen speziell für die EU entwickeln. Schließlich könne man jetzt auch noch keinen Zeitplan vorgeben, in dem eine schrittweise Abschaffung von Titandioxid in allen oder auch nur bestimmten Arzneimitteln machbar wäre. Eine Neuformulierung könne Jahre dauern. Lieferengpässe und Marktrücknahmen wären damit vorprogrammiert. 
Es ist also eine Frage der Zeit. Aus rein technischer Sicht, erklärt die EMA, sollte ein (jeweils individueller) Ersatz von Titandioxid möglich sein.