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Neue Leitlinie: Rückenschmerzen bei Kindern – was tun?

Wie können nichtspezifische Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen behandelt werden? Eine neue Leitlinie gibt Hilfestellung. | Bild: Africa Studio / AdobeStock

Erwachsene mit nichtspezifischem Kreuzschmerz sollen sich vor allem bewegen, Arzneimittel können die Behandlung unterstützen. Am ehesten rät die Leitlinie „Nichtspezifischer Kreuzschmerz“ (erschienen 2017, gültig bis Ende 2021) zu Diclofenac und Ibuprofen. 

Was aber, wenn Kinder und Jugendliche an Rückenschmerzen leiden? Wie sieht eine sinnvolle Behandlung für jüngere Patienten aus? Damit beschäftigt sich die im Dezember 2021 erschienene S3-Leitlinie „Rückenschmerz bei Kindern und Jugendlichen“. 

Etwa jeder fünfte Jugendliche betroffen

Das Thema hat Relevanz: Immerhin berichtet einer Studie aus dem Jahr 2017 zufolge etwa jeder fünfte Jugendliche (18 Prozent) zwischen elf und 17 Jahren in Deutschland über wiederkehrende Rückenschmerzen in den letzten drei Monaten (zum Zeitpunkt der Studie). Zu jüngeren Kindern liegen keine Daten vor. 

Die Auswertung von Krankenkassendaten aus Deutschland zeigt zudem, dass 6,5 Prozent der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter bis 24 Jahre aufgrund einer Rückenschmerzdiagnose behandelt wurden. 

Die Leitlinie gibt außerdem an, dass zwischen 10 und 35 Prozent der Betroffenen einen immer wiederkehrenden oder persistierenden Verlauf beschreiben. Jeder fünfte bis zehnte Patient sei zudem durch die Rückenschmerzen stärker beeinträchtigt. Doch wann spricht man eigentlich von Rückenschmerzen?

Alle Schmerzen zwischen Kopf und Gesäß

Die neue Leitlinie definiert als Rückenschmerz alle Schmerzen zwischen Kopf und Po: „Unter dem Begriff Rückenschmerz werden alle Schmerzen zusammengefasst, die unterhalb des Kopfes und oberhalb der Gesäßfalten, mit und ohne Ausstrahlung in die Nachbarregionen, wahrgenommen werden, dabei wird zwischen Nacken-, rückseitigen Brust- und Kreuzschmerzen unterschieden.“ 

Mit und ohne bekannte Ursache

Einen Unterschied macht es auch, ob die Rückenschmerzen durch eine Ursache, durch eine Grunderkrankung, erklärbar sind – wie Infektionen, Erkrankungen des Kopfes, des Brust- und Bauchraumes oder der Arme und Beine. 

Ursachen für Rückenschmerzen können auch in der Struktur der Wirbelsäule, der benachbarten Muskulatur oder des Nervensystems liegen. In diesen Fällen handelt es sich um spezifische Rückenschmerzen. 

Von nichtspezifischen Rückenschmerzen hingegen spricht man, wenn sich keine andere Krankheitsursache oder eine Fehlhaltung finden lässt – kurzum: Man weiß nicht, woher die Rückenschmerzen kommen. 

Dauern die Schmerzen länger als drei Monate an (dauerhaft oder wiederholt auftretend), liegen laut der „International Association for the Study of Pain“ (IASP) chronische Rückenschmerzen vor.

Welche Ursachen haben Rückenschmerzen bei Kindern?

Spezifischen Rückenschmerzen können zahlreiche andere Erkrankungen zugrunde liegen: Infektionskrankheiten, Tumore der knöchernen Wirbelsäule oder an Rückenmark, Spinalnerven oder paraspinalen Ganglien, angeborene und erworbene strukturelle Erkrankungen der Wirbelsäule, neurologische, neuromuskuläre, rheumatische, inflammatorische, hämatologische (bezogen auf das Blutsystem) oder vaskuläre (bezogen auf das Gefäßsystem) Erkrankungen sowie abdominelle (Bauchraum) und thorakale (Brustkorb) Erkrankungen. 

Lassen sich die Rückenschmerzen einer Grunderkrankung zuordnen, gilt die Behandlung primär der Ursache der Rückenschmerzen – also der Grunderkrankung. Die Leitlinie beschäftigt sich, vor allem bei der Therapie, hauptsächlich jedoch mit nichtspezifischen Rückenschmerzen im Kindes- und Jugendalter.

Risikofaktoren für nichtspezifische Rückenschmerzen

Doch gibt es eigentlich Risikofaktoren, die Kinder und Jugendliche besonders anfällig für nichtspezifische Rückenschmerzen machen? Die Leitlinienautoren konnten mehrere Faktoren ausfindig machen. 

So seien zunehmendes Alter, weibliches Geschlecht und Leistungssport „nachgewiesene Risikofaktoren“ für nichtspezifische Rückenschmerzen. Auch bestimmte psychosoziale Faktoren gehen mit einem erhöhten Risiko für kindliche Rückenschmerzen einher – so neigten ängstliche, depressive Kinder mit einem geringen Selbstwert und geringer Lebenszufriedenheit eher zu Rückenschmerzen. 

Die gleichen Risikofaktoren nennen die Leitlinienautoren auch, wenn es darum geht, dass Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen chronisch werden, wobei sie hier auch noch regelmäßiges Rauchen dazu zählen.

Therapie von Rückenschmerzen bei Kindern

Ziel einer Behandlung ist bei Kindern und Jugendlichen laut Leitlinie, dass normale Alltagsaktivitäten, körperliche Aktivität und Sport, die Teilnahme am Schulunterricht und soziale Aktivitäten mit Freunden erhalten oder wiederhergestellt werden. 

Wesentliche Bestandteile der Therapie sind zunächst die Aufklärung und Beratung der Patienten (unter Einbeziehung der Familie) und die Vermittlung von nichtmedikamentösen Behandlungsmaßnahmen. Somit zählen Arzneimittel bei Kindern und Jugendlichen mit Rückenschmerzen nicht zur ersten Wahl.

Physiotherapie und multimodale Schmerztherapie

Die Leitlinienautoren raten vor allem zur aktiven Physiotherapie. Mit deren Unterstützung sollen Kinder und Jugendliche mit nichtspezifischen Rückenschmerzen zu selbstständigen Übungen, mehr Bewegung und sportlicher Aktivität angeleitet werden. Die Physiotherapie solle dabei regelmäßig durch Physiotherapeuten kontrolliert und angepasst werden. 

Auch die Möglichkeit einer Psychotherapie – genauer: einer kognitiven Verhaltenstherapie – räumt die Leitlinie ein, und zwar vor allem für Kinder mit wiederkehrenden oder chronischen Rückenschmerzen. Diese Kinder und Jugendlichen sollen – ebenso, wenn sie schmerzbezogen stark beeinträchtigt sind – eine „intensivierte interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie“ erhalten. 

Keine Schmerzmittel bei Kindern und Jugendlichen

Die Datenlage zu Schmerzmitteln bei Kindern und Jugendlichen mit nichtspezifischen Rückenschmerzen ist schlecht. Zwar gibt es durchaus Studien, doch betreffen diese bei nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), wie Ibuprofen oder Diclofenac, meist die Schmerzmittelanwendung aufgrund einer Grunderkrankung (Arthritis). Zudem sind sie nicht Placebo-kontrolliert. 

„Zusammenfassend lässt die Datenlage keine evidenzbasierte Empfehlung zur Wirksamkeit oder zu Risiken in der Behandlung mit antientzündlichen Medikamenten bei Kindern und Jugendlichen mit nicht tumorbedingten chronischen Schmerzen zu“, erklären die Leitlinienautoren. 

Gleiches gilt für die Anwendung von Paracetamol und Opioiden bei chronischen, nicht tumorbedingten Schmerzen im Kindes- und Jugendalter: Hier konnten keine Studien gefunden werden, die hinsichtlich der Qualität den Ansprüchen der Leitlinienautoren genügten. 

Auch Ko-Analgetika, wie zum Beispiel Gabapentin oder die Antidepressiva Amitriptylin und Citalopram, konnten nicht überzeugen. Eine 2019 in „Pain“ veröffentlichte Meta-Analyse lieferte zwar Hinweise, dass Amitriptylin und Gabapentin „geringe Effekte“ zeigten, doch wurde der primäre Endpunkt der Studie (Schmerzreduktion um mindestens 30 Prozent) nicht erreicht. Drei weitere Studien untersuchten die Antidepressiva Amitriptylin bzw. Citalopram an insgesamt 238 Kindern gegen Placebo. Auch hier konnten die Arzneimittel keine mindestens 30-prozentige Schmerzreduktion erzielen.

Keine Empfehlung für Schmerzmittel bei Kindern

Die Leitlinienautoren fassen zusammen: Für Kinder und Jugendliche existiere „keine gesicherte Evidenz“ für eine medikamentöse Therapie wiederkehrender oder langanhaltender nichtspezifischer Rückenschmerzen – weder für die Gruppe der nichtsteroidalen antientzündlichen Medikamente noch für Opioide oder Ko-Analgetika. 

Und weiter: „Zur Vermeidung möglicher Nebenwirkungen oder Komplikationen durch eine medikamentöse Therapie hat die Leitliniengruppe eine Empfehlung gegen eine medikamentöse Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit nichtspezifischen Rückenschmerzen ausgesprochen.“